Nach Verfassungsschutzbericht: Solidarität mit Ende Gelände

Über 100 Organisationen stärken Ende Gelände nach der Einstufung als Verdachtsfall den Rücken

Unter Beobachtung, nicht nur von der Polizei: Seit Juni gilt Ende Gelände als »linksextremistischer Verdachtsfall«.
Unter Beobachtung, nicht nur von der Polizei: Seit Juni gilt Ende Gelände als »linksextremistischer Verdachtsfall«.

Konzerne schüchtern Aktivist*innen mit überzogenen Klagen ein, Staatsanwaltschaften bezichtigen Teile der Letzten Generation, eine kriminelle Vereinigung zu bilden und seit Juni führt der Verfassungsschutz die Gruppe Ende Gelände als »linksextremistischen Verdachtsfall«: Wenn die zunehmende Kriminalisierung von Klimaaktivismus etwas Gutes hat, dann dass die Bewegung dadurch zusammenrückt – und neue Allianzen entstehen.

Und so finden sich in der am Mittwoch veröffentlichten Solidaritätsbekundung für die Gruppe Ende Gelände die Unterschriften der Letzten Generation genau wie die der Hamburger Professur für Globale Klimapolitik und des Solarenergie-Fördervereins Deutschland. Über 100 Organisationen sind es, die sich mit ihren Unterschriften gegen die Einstufung von Ende Gelände als linksextremer Verdachtsfall positionieren. Darunter auch die Parteijugenden Jusos und Linksjugend solid, die Umweltschutzorganisation Robin Wood und das Komitee für Grundrechte und Demokratie. Auf der Petitionsplattform WeAct kamen bis Mittwochabend knapp 600 weitere Unterschriften dazu.

Antikapitalismus ist nicht verfassungsfeindlich

Die unterzeichnenden Gruppen zeigten sich »erschüttert«, dass der Verfassungsschutz die antikapitalistische Haltung von Ende Gelände als Beleg für einen Extremismusverdacht aufführe. »Die Verfassung schützt Grundrechte, keine bestimmte Wirtschaftsform«, heißt es in dem offenen Brief, der an Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang und Bundesinnenministerin Nancy Faeser adressiert ist.

Doch warum wird Ende Gelände jetzt, im Jahr 2024, als Verdachtsfall aufgeführt, nachdem die letzten Aktionen, etwa gegen das LNG-Terminal auf Rügen, deutlich weniger Menschen anlockten als noch zu Vor-Corona-Zeiten?

Maßgeblich verantwortlich dafür zu sein scheint eine Publikation von 2022. In »Überall Polizei, nirgendwo Sicherheit« fordert Ende Gelände, die Polizei müsse abgeschafft werden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz zitiert die Klimagruppe so: »Für Gerechtigkeit braucht es keine Polizei und keinen Staat«; andere »Repressionsorgane« wie Behörden und Gerichte seien bei dieser Kritik »definitiv mitgemeint«. Kann man in solchen Aussagen nicht tatsächlich eine Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung sehen? Fußt die Rechtsstaatlichkeit nicht genau auf jenen Organen, die Ende Gelände abschaffen möchte?

»Geheimdienste schützen nicht die Verfassung, sondern den Staat und den Status Quo.«

Michèle Winkler
Komitee für Grundrechte und Demokratie

Jakob Hohnerlein ist Rechtswissenschaftler am Max-Planck-Institut in Freiburg. Er hat die Einstufung von Ende Gelände schon auf der akademischen Plattform »Verfassungsblog« kritisiert. Gegenüber dem »nd« sagt Hohnerlein: »Wenn die Forderung von Ende Gelände wirklich wäre, staatliche Strukturen ersatzlos abzuschaffen, dann wäre es sicherlich nachvollziehbar, darin eine Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu sehen.« Allerdings sei fraglich, dass der zitierte Text für die gesamte Gruppe spreche (da Ende Gelände kein eingetragener Verein ist) und ob ihm eine solche Forderung tatsächlich zu entnehmen ist. »Ohne die gesamte Schrift gelesen zu haben, habe ich eher den Eindruck, dass es eine Kritik an den bestehenden polizeilichen Strukturen ist«, so Hohnerlein. »Es wurde Repression erlebt und man wünscht sich, dass es anders läuft.«

Polizeikritik ist kein Fall für den Verfassungsschutz

Benjamin Rusteberg von der Universität München ergänzt: »Staats- und Polizeikritik für sich genommen ist nie ein Fall für den Verfassungsschutz.« Dieser habe nicht die Aufgabe, Meinungen zu überwachen, sondern Bestrebungen, die sich aktiv gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung wenden, so der Jurist. Eine Kritik auf theoretischer Ebene, wie Ende Gelände sie geliefert habe, reiche hierzu niemals aus, zumal der Verfassungsschutzbericht »lediglich einige vollkommen aus dem Zusammenhang gerissene Passagen« kritisiere.

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie, das zu den Erstunterzeichnern des offenen Briefes gehört, geht mit seiner Kritik an der Erfassung von Ende Gelände als linksextremistischen Verdachtsfall noch weiter. Das zugrundeliegende Extremismuskonzept erlaube es Geheimdiensten, auf Basis politischer Überlegungen festzulegen, wo die Grenze der Legitimität politischer Inhalte liegt, sagt Michèle Winkler, die politische Referentin des Komitees, dem »nd«. »Damit wird allerdings nicht die Demokratie oder die Verfassung geschützt, sondern der Staat und der Status Quo.«

Rechtswissenschaftler Hohnerlein kritisiert darüber hinaus, dass die Einstufung als Verdachtsfall nicht nur heimliche Überwachungsmaßnahmen ermöglicht, sondern Ende Gelände auch stigmatisiert: »Mit dem Bericht wendet sich der Verfassungsschutz ja an die Öffentlichkeit und sagt: Diese Gruppe ist gefährlich, haltet euch davon fern.«

Doch die breitgefächerten Solidaritätsbekundungen zeigen, dass der Versuch einer Ächtung ins Leere läuft. Mehr noch: Er könnte sogar nach hinten losgehen. Denn in den Augen vieler Engagierter fürs Klima verliert der Verfassungsschutz mit seinem Handeln an Glaubwürdigkeit, so Hohnerlein. Ende Gelände nutzt die Einstufung derweil, sich selbst als »gelebten Verfassungsschutz« zu präsentieren, denn mit seinen Aktionen setze sich die Gruppe für den Erhalt der Lebensgrundlagen ein – so wie es auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2021 fordere.

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