Titelmusik für Tierdoku

Vor 40 Jahren erschien Talks Talks Album »It’s my Life«

  • Jens Buchholz
  • Lesedauer: 4 Min.
Musik machen, die man noch zwanzig Jahre später hören will: Mark Hollis, Sänger von Talk Talk
Musik machen, die man noch zwanzig Jahre später hören will: Mark Hollis, Sänger von Talk Talk

Über die britische Band Talk Talk wird immer wieder behauptet, sie sei ihrer Zeit voraus gewesen. Aber das ist Quatsch. »Der Zeit voraus« ist ein aus der Gegenwart zurückblickendes Urteil, das aus Glorifizierungsgründen im Nachhinein rote Fäden in den Lauf der Dinge hineininterpretiert, die es nie gegeben hat. Rote Fäden entstehen durch den Einfluss, den eine Band oder eine Künstler*in auf die Popkultur hat. Wenn Popmusiker später Bezug auf Talk Talk genommen haben, dann ging es nicht so sehr um die Musik. Es ging um die Haltung, sich konsequent weiterzuentwickeln und ein eigenes Klanguniversum zu schaffen. Was das betrifft, hatten Talk Talk sicher großen Einfluss auf Bands wie Radiohead oder Blur. Die Musik von Talk Talk war der Versuch, dem ziemlich artifiziellen Pop der 80er Jahre eine eigene, introvertiertere und organischere Vision entgegenzuhalten.

Aber während Bands wie die Housemartins oder die Smiths das mit einem klaren Bezug zu den 60ern taten, war es bei Talk Talk nur ein Bezug auf sich selbst. Sänger Mark Hollis wurde damals in der Frauenzeitschrift »Frau im Spiegel« mit den goldenen Worten zitiert, dass seine Gruppe Musik machen wolle, die man auch in zwanzig Jahren noch hören könne. Und tatsächlich ist das der Kern des Projektes Talk Talk: Die Suche nach einem Sound, der keiner Mode folgt und deshalb nicht einstauben kann.

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1984 veröffentlichten Talk Talk ihr zweites Album »It’s my Life«. Das erste Album »The Party’s Over« hatte sich 1982 nur ziemlich schleppend verkauft. Und jetzt lief das neue auf der Insel noch schlechter. Aber auf dem europäischen Festland wurde das Album besser angenommen und warf drei Hits ab, die man auch heute noch kennt: »Such a Shame«, »It’s my Life« und »Dum Dum Girl«.

Während sich das Debüt noch stark an den Synthiepop der frühen 80er anbiederte, klang die Musik des zweiten Albums ganz anders. Die Band hatte ein ganz und gar eigenes Klangbild entwickelt, das merkwürdigerweise trotz aller Seltsamkeit zu 100 Prozent eingängige Popmusik war. Talk Talk waren kein Synthiepop mehr, aber auch keine Rockmusik. Und obwohl das genau eine Minute dauernde Intro ihres Hits »Such a Shame« klang wie die Titelmusik zu einer Tierdokumentation, machten sie keinen Krautrock.

Entscheidend für die Weiterentwicklung ihres Sounds dürfte die Songwritingpartnerschaft zwischen dem Band-Sänger und Komponisten Mark Hollis und dem Produzenten und Musiker Tim Friese-Greene gewesen sein, der für »It’s my Life« als Toningenieur und Produzent verpflichtet worden war. Im Lauf der Zeit wurde er zum inoffiziellen vierten Bandmitglied. Er war es, der die Drumcomputer programmierte und die merkwürdigen Synthiesounds beisteuerte. Und er war es auch, der verstand, nach welchem Klang die Band suchte. Neben Mark Hollis gehörten der brillante Bassist Paul Webb und der Schlagzeuger Lee Harris zur Band. Gemeinsam mit Friese-Greene entschieden sie, zusätzlich ein halbes Dutzend professionelle Studiomusiker zu den Aufnahmen einzuladen.

Besonders markant tritt der Trompeter Henry Lowther in Erscheinung, der die Songs »Renee« und »Tomorrow Started« mit seinen Performances jazzig veredelte. Zusammen kreierten die Musiker einen geschlossenen Klanghorizont jenseits von allem, was in den 80ern angesagt war. Wahrscheinlich begannen Hollis und Friese-Green schon hier mit ihrer Suche nach der »Perfect Silence«, nach der Lücke zwischen den Tönen, indem sie poppige Songstrukturen und Klänge immer mehr aussiebten. Eine Entdeckungsreise, die sie mit den nächsten drei Talk Talk-Alben fortsetzten und mit dem reinsten Talk Talk-Destillat »Laughing Stock« vollendeten.

Vielleicht ist es ja diese Entdeckungsreise, der der Designer und Künstler James Marsh mit dem Cover des Albums Ausdruck verleihen wollte? Vor einem roten Himmel zieht über einem purpurfarbenen Meer das zu einem Puzzle zerlegte Gemälde »The Boyhood of Sir Walter Raleigh« vorbei. Der Seefahrer aus dem Gemälde deutet auf den Horizont, während der künftige Abenteurer Raleigh noch ein Kind ist und mit angezogenen Knien gebannt zuhört. Marsh hat übrigens für jedes Talk Talk-Album das Cover gestaltet. Und er hat es immer verstanden, die rätselhafte Klarheit des Bandsounds mit seinem an den Surrealismus angelehnten Stil einzufangen.

»It’s my Life« erreicht noch nicht die stille akustische Tiefe des Folgealbums »The Colour of Spring«, auf dem die Lieder 1986 länger, improvisierter und anspruchsvoller wurden. Aber es ist der erste Schritt. »The Colour of Spring« wurde das meistverkaufte Album der Band, die daraufhin von ihrer Plattenfirma EMI Carte Blanche bekamen. Talk Talk durften nun im Studio machen, was sie wollen und klangen dann 1988 auf dem vierten Album »Spirit of Eden« ebenso avantgardistisch wie unkommerziell und bekamen großen Ärger mit EMI.

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