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»Junge Welt«: Meinungsfreiheit vor dem Aus

Christoph Ruf über die Beobachtung der »Jungen Welt« durch den Verfassungsschutz

Die »Junge Welt« klagt dagegen, dass sie in Verfassungsschutzberichten aufgeführt wird - und verlor.
Die »Junge Welt« klagt dagegen, dass sie in Verfassungsschutzberichten aufgeführt wird - und verlor.

Die Zeitung »Junge Welt« (JW) darf vom Verfassungsschutz weiter als »extremistische Bestrebung« beobachtet werden. Das hat das Berliner Verwaltungsgericht entschieden. Im Verfassungsschutzbericht steht das linke Blatt also auch künftig neben Reichsbürgern, Salafisten und Nazis. Das seit 1949 gültige Mantra, wonach »links« so schlimm sei wie »rechtsextrem«, erfreut sich auch 2024 bester Gesundheit. Bereits 2017 wurde deshalb »Linksunten« verboten. Das geht alles deshalb so locker durch, weil sich Linke meist freuen, wenn rechte Publikationen verboten werden – und umgekehrt. Zuletzt wurde dieser Umstand beim Verbot des extrem rechten »Compact«-Magazins deutlich. Die ach so demokratische bürgerliche Mitte schweigt in beiden Fällen.

Bei der JW spricht aus der Berliner Urteilsbegründung eine Sichtweise, die man nur fehlender politischer Bildung zuschreiben kann. »Sozialismus« ist jedenfalls keine Idee, die das Grundgesetz als demokratiefeindlich identifiziert. Da unterscheidet es sich von Standardwerken der politischen Bildung wie »Rambo« oder ein paar tausend anderen Hollywoodstreifen, die von Marx über Kalschnikoff bis Stalin alles zum »Reich des Bösen« (Ronald Reagan) zusammenrühren.

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.

Das Grundgesetz hingegen schützt Meinungspluralismus, Rede- und Versammlungsfreiheit. Ein Wirtschaftssystem hingegen ist darin nicht definiert, Eigentum ist gar »sozial verpflichtet«, was man nicht unbedingt als Liebeserklärung an den Neoliberalismus und die Privatisierung von städtischen Wohnungen und kommunaler Wasserversorgung verstehen muss. Was also ist das Problem an der Terminologie der JW? Wenn sich nur noch Reiche eine Wohnung in der City leisten können, wenn das Portemonnaie der Eltern über den Schulabschluss der Kinder entscheidet, kann man das Kapitalismus nennen. Die fünf reichsten Männer der Welt haben ihr Vermögen seit 2020 mehr als verdoppelt. Was passiert, wenn rohe Marktkräfte sinnlos walten, hat dieser bärtige Mann aus Trier ziemlich genau beschrieben.

Umso interessanter ist es, wie die Verfolgung der JW 2021 vom damaligen Innenstaatssekretär Günter Krings begründet wurde: »Beispielsweise widerspricht die Aufteilung einer Gesellschaft nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit der Garantie der Menschenwürde.« Das wäre für einen CDU-Politiker ein verdammt kluger Satz, wenn er ihn so gemeint hätte, wie er sich liest. Doch leider meinte er nicht, dass es der Menschenwürde widerspricht, wenn der soziale Status die gesellschaftliche Teilhabe bestimmt. Sondern er behauptet, dass derjenige, der diesen Zusammenhang benennt, verfassungsfeindlich sei. Das ist so logisch, wie wenn man einen Arzt, der auf die höhere Sterblichkeit im Umfeld eines Chemiewerkes hinweist, wegen Freisetzung von Giftstoffen verklagt.

Auch ist die Behauptung des Verfassungsschutzes, die Zeitung bekenne sich nicht ausdrücklich zur Gewaltfreiheit, aus Sicht des Verwaltungsgerichts berechtigt. So biete sie etwa einem RAF-Terroristen die Möglichkeit, politische Gewaltanwendung positiv darzustellen. Und die JW kommentiere das nicht einmal. Aus lauter Angst vor dem Verfassungsschutz werde ich also künftig jedes Interview, das ich führe, mit Anmerkungen versehen. Vorausgesetzt, ich kriege von den Redaktionen genug Platz dafür.

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