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Les Soulèvements de la Terre: Der Fluch von Sainte-Soline
In Frankreich fanden erneut große Proteste gegen Wasserraub statt
Über den gelben Getreidestoppeln lodern rote Flammen, schwarze Rauchwolken verdecken die Sicht. Eine Horde von Menschen begibt sich zügig in Sicherheit. Gelegt hat das Feuer jemand anderes: die Polizei. Genauer gesagt, es waren Tränengasgranaten, die das trockene Feld angesteckt haben. Die Einsatzkräfte wollten Aktivist*innen damit daran hindern, zu einem »Méga-Bassin« zu gelangen – einem riesigen Wasserbecken, das mit Grundwasser gefüllt wurde und Großbauern in Zeiten der Dürre als Vorrat für die Bewässerung dient.
Letztes Wochenende hat sich ein breites Bündnis um die Umweltgruppe »Les Soulèvements de la Terre« (deutsch: die Aufstände der Erde) in der Nähe von La Rochelle versammelt, um gegen diese Megabecken zu protestieren: Sie sind Kristallisationsorte des Wasserkampfes in Frankreich, in dem industrielle Akteure ein öffentliches Gut privatisieren, weiter verknappen und so den Kleinbauern und dem Rest der Bevölkerung wegnehmen – Watergrabbing (deutsch: Wasserraub) nennt sich dieses Phänomen.
Von Berlin in ein Dorf am Atlantik
Begonnen hat der Protest schon zu Beginn der Woche in einem kleinen Dorf nahe der Stadt Poitiers. Dort versammelten sich Menschen aus ganz Europa, um sich für die Aktionen am Wochenende vorzubereiten. Zu ihnen gehörte auch Alice. Sie engagiert sich in der Arbeitsgruppe Wasser des linksradikalen Bündnisses Interventionistische Linke (IL). Bereits vergangenen Dienstag ist sie von Berlin nach Westfrankreich aufgebrochen. Bei einem »wunderschönen Dörfchen, in einer weiten Ebene« – so drückt es Alice aus – ist für eine Woche ein großes Protestcamp entstanden. Bis zu 10 000 Personen sollen dort nach Angaben der Veranstalter übernachtet haben.
Trotz der Größe wurde das Camp liebevoll gestaltet, erzählt Alice dem »nd« per Sprachnachricht. Fast könnte man meinen, man befinde sich auf einem Festival – wäre da nicht die ständige Polizeipräsenz. Denn außerhalb des Camps war ständig mit Kontrollen zu rechnen, etwa wenn man vom Parkplatz zu seinem Zelt möchte. »Wir mussten uns ausweisen, unsere Rucksäcke ausräumen und bei uns wurde eine Schwimmbrille konfisziert«, sagt Alice.
Grund für das Vorgehen der Polizei sind wohl die Vorjahresereignisse. Im März waren 30 000 Personen in die Gemeinde Sainte-Soline gezogen, um dort ein Méga-Bassin zu »entwaffnen« – so bezeichnet Les Soulèvements de la Terre Sabotageakte. Die Polizei antwortete mit massiver Gewalt. Nach Angaben der Organisatoren trugen 200 Protestierende Verletzungen davon, mehrere lagen infolgedessen sogar im Koma.
Große Enttäuschungen, kleine Erfolge
Auch ein Jahr danach spürt man die Nachwirkungen, wie etwa entstandene Traumata, findet Alice. »Man merkt, dass hier Konfrontationen auf alle Fälle vermieden werden sollen«, beschreibt sie die Kommunikation vor den Aktionen. »Und das meinen die hier auch ernst.« Hinzu kämen die Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung in Frankreich, da wären linksradikale Ausschreitungen strategisch ungünstig.
»Konfrontation mit der Polizei sollte auf alle Fälle vermieden werden.«
Alice Interventionistische Linke
Für den Freitag stand deshalb eine angemeldete Demonstration auf dem Programm. Die wurde allerdings kurz vorher verboten. Als die Protestierenden – es ist von 6500 die Rede – trotzdem in Richtung zweier Méga-Bassins losziehen, folgen die Szenen auf dem brennenden Feld. »Um eine Eskalation zu vermeiden und die Kräfte zu schonen, wurde entschieden, dass wir uns zurückziehen«, sagt Alice.
Eine kleine Erfolgsmeldung gab es für die Protestierenden dennoch: Ein Konvoi mit 600 Fahrrädern erreichte die beiden Wasserbecken. Anders als in den Vorjahren fanden dort aber eher symbolische Aktionen statt: Vor einem Méga-Bassin platzierten Aktivist*innen drei Vogelscheuchen; über dem zweiten ließen sie Drachen steigen, mithilfe derer sie Wasserlinsen in das Becken warfen, als »natürliche Waffe gegen die Bassins«, wie es in einer Presseerklärung heißt. Die Schwimmpflanzen sollen Pumpen und Rohre verstopfen.
Der Hafen von La Rochelle
Noch am selben Abend ging es für Alice in die Küstenstadt La Rochelle, eine knapp zweistündige Autofahrt und eine logistische Herausforderung für die Tausenden Teilnehmenden an dem Protest – zumal die Polizei massenhaft kontrollierte und Equipment beschlagnahmte. In der Stadt am Atlantik sollte der Industriehafen blockiert werden. Denn dort wird jenes Getreide verschifft, das mithilfe der großen Grundwasservorräte kultiviert wird.
Allerdings machte die Polizei diesem Plan erneut einen Strich durch die Rechnung. Beamt*innen attackierten einen Demonstrationszug von beiden Seiten mit Knüppeln und Tränengas, schildert Alice die Szenen später. Wie schon am Vortag war es auch diesmal wieder eine Aktion abseits der Massen, die zumindest zu einem Teilerfolg führte: Mit geschickt versteckten Traktoren gelang es, den Betrieb des Hafens einige Stunden lang zu stören.
Alice stimmt das Protestwochenende nachdenklich. Sie fand es schön, die »französische Protestkultur« kennenzulernen. Am Samstag sorgte etwa ein Blasorchester trotz Polizeigewalt für gute Stimmung. Trotzdem hat sie gemerkt: »Repression funktioniert, die Aufrüstung der Polizei hält Leute von Blockaden ab.« Angesichts dessen und den immer höheren Haftstrafen für friedlichen Protest, stellt sich Alice die Frage, wie es um die Zukunft von massenhaftem, zivilem Ungehorsam bestellt ist. Denn eines sei für sie klar: »Die Bewegung braucht Orte des Zusammenkommens«.
Und wie bewertet Les Soulèvements de la Terre den Protest? Auf der Heimfahrt und im Camp habe sie vor allem eines wahrgenommen, erzählt Alice: Erleichterung. Erleichterung, dass eine große Mobilisierung ohne Hunderte Verletzte möglich war. »Der Fluch von Sainte-Soline ist gebrochen«, sagte ihr eine der Organisatorinnen im Bus.
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