Joachim Oellerich: Bedingungslos aufseiten der Mieter

Joachim Oellerich war lange Zeit das Gesicht der Berliner Mietergemeinschaft

Rathaus Schöneberg, 5. Juni 1987: Das Ergebnis der Unterschriftensammlung für die Beibehaltung der Mietpreisbindung wird vorgestellt.
Rathaus Schöneberg, 5. Juni 1987: Das Ergebnis der Unterschriftensammlung für die Beibehaltung der Mietpreisbindung wird vorgestellt.

Wer auf einer Veranstaltung der Berliner Mietergemeinschaft (BMG) gewesen ist, wird den älteren Herrn mit weißen Haaren und randloser Brille gesehen haben. Joachim Oellerich war lange Zeit das Gesicht der BMG. Bei größeren Veranstaltungen hielt er sich meist im Hintergrund. Doch bei kleineren Runden brillierte er nicht nur mit theoretischen Einschätzungen, sondern auch mit großem Wissen über die Berliner Mieter*innenbewegung. Jüngere Mietrebell*innen, die sich in den letzten Jahrzehnten in Berlin gegen Verdrängung und hohe Mieten engagierten, gerieten ins Staunen, wenn Oellerich die Geschichte einer weitgehend vergessenen Mieter*innenbewegung im Westberlin der späten 80er Jahre vermittelte. Damals gingen über mehrere Monate Tausende Menschen zur Verteidigung der Mietpreisbindung auf die Straße.

Da beide Teile Berlins im Kalten Krieg als Schaufenster der jeweiligen Systeme fungierten, waren die Mieten auch ein Politikum. Dass die Mieten in Westberlin im Vergleich zu anderen Städten niedrig waren, hatte einen simplen Grund: Wohnraum war damals auch in Westberlin dem kapitalistischen Markt entzogen. »Die Mietpreise wurden vielmehr politisch festgesetzt. Auch jede Mieterhöhung war somit klar und deutlich als das Ergebnis einer direkten oder indirekten Entscheidung des Berliner Senats oder auch der jeweiligen Bundesregierung erkennbar«, schreibt Max Welch Guerra, deutscher Politologe und Städteplaner, in dem Buch »Mieterkämpfe. Vom Kaiserreich bis heute – Das Beispiel Berlin« über die Situation auf dem Westberliner Wohnungsmarkt vor 40 Jahren.

Mit dem für 1988 angekündigten Ende der Mietpreisbindung gab es ein Thema, an dem sich innerhalb kurzer Zeit eine massive Protestbewegung entzündete. Entschieden wurde darüber von der Bundesregierung in Bonn, die aus CDU/CSU und FDP bestand.

Der Weiße Kreis – so hießen die Wohngegenden, für die die Mietpreisbremse entfallen sollte. Der Kampf dagegen mobilisierte in den 1986er und 1987er Jahren viele in Westberlin. So gab es zahlreiche Demonstrationen, Straßenfeste und Kunstaktionen. Höhepunkt war 1987 eine Unterschriftensammlung, bei der die Bewohner*innen über diesen simplen Text abstimmen konnten: »Ich bin für die Mietpreisbremse als Dauerrecht in Berlin.« Abgestimmt werden konnte mit Ja oder Nein. Fast 500 000 Menschen sprachen sich dafür aus. »Auf Wochenmärkten, Straßenfesten und politischen Veranstaltungen und an Infotischen standen Aktivist*innen, die meist ohne ausführliche Erklärung Unterschriften sammeln konnten«, beschreibt Max Welch Guerra 40 Jahre später seine Eindrücke.

Die Aufhebung der Mietpreisbremse 1988 konnte trotzdem nicht verhindert werden. Doch viele der Mieter*innen, die sich im Kampf dagegen politisiert hatten, engagierten sich weiter. Davon profitierte unter anderem die BMG, die sich für den neuen Kreis von Aktivist*innen öffnete.

»Niemand darf wegen Eigenbedarf des Eigentümers seine Wohnung verlieren.«

Joachim Oellerich
Redakteur »Mieterecho«

Joachim Oellerich wurde von dieser Zeit geprägt und versuchte, die damals gemachten Erfahrungen weiterzugeben. Ein Medium, das er dafür nutzte, war das »Mieterecho« (ME), die Zeitung der BMG. Oellerich war bis zu seinem Tod deren Hauptredakteur. In den Editorials des »ME«, die Oellerich meist selbst verfasste, betonte er den Zusammenhang zwischen Wohnungspolitik und Kapitalismus. Ihm ging es bei aktuellen politischen Fragen immer auch um den größeren Zusammenhang, berichtet Andreas Hüttner.

Der Redakteur des »Mieterechos« hatte Oellerich 2009 kennengelernt, als sich in Berlin die neue Berliner Mieter*innenbewegung gerade entwickelte. »Joachim Oellerich stand immer bedingungslos aufseiten der Mieter*innen. Da machte er keine Kompromisse«, betont Hüttner. Als Beispiel nannte er Oellerichs Reaktion auf die Diskussion um die Eigenbedarfskündigung. Für Oellerich war ganz klar: »Niemand darf wegen Eigenbedarf des Eigentümers seine Wohnung verlieren.«

Oellerich warnte vor einem Aktivismus ohne theoretische Grundlage und machte sich damit vor allem bei manchen jüngeren Berliner Mietrebell*innen nicht beliebt. »Dabei ging es Oellerich immer um eine Kritik, um die Gesellschaft verändern zu können«, betonte auch der Filmproduzent Matthias Coers. Der Regisseur des Films »Mietrebellen« hatte seit 2013 mit Oellerich die Veranstaltungsreihe »Wohnen in der Krise« organisiert. Dazu wurden Menschen aus verschiedenen europäischen Ländern und den USA eingeladen, die über die dortige Situation am Wohnungsmarkt und auch über den Stand des Widerstands berichteten.

In einem Einleitungsreferat beschrieb Oellerich seine Vorstellungen von politischer Arbeit: Es gehe zunächst darum, die Gesellschaft zu analysieren, um dann eine tragfähige Protestallianz aufzubauen. Dabei interessierten ihn neben den außerbetrieblichen Initiativen auch die Entwicklungen in den Gewerkschaften und linken Parteien. Am 22. Juli ist Oellerich nach kurzer Krankheit im Alter von 82 Jahren verstorben.

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