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EU drängt auf neue Überwachungstechnik gegen Migration

Deutsche Polizeigewerkschaft will 35 Millionen Euro für aufgerüstete Grenzkontrollen

Die bayerische Grenzpolizei setzt bereits Drohnen ein, die Bundespolizei an den übrigen deutschen Landesgrenzen aber noch nicht.
Die bayerische Grenzpolizei setzt bereits Drohnen ein, die Bundespolizei an den übrigen deutschen Landesgrenzen aber noch nicht.

In der Debatte um stationäre Kontrollen deutscher Binnengrenzen hat sich am Montag die Polizei zu Wort gemeldet. Andreas Roßkopf, Vorsitzender der für die Bundespolizei zuständigen Gewerkschaft GdP, warnte vor personellen und sachlichen Engpässen. Er fordert »mobile, flexible und intelligente Grenzkontrollen« sowie mobile Kontrollstellen, die »lageangepasst und flexibel« aufgestellt werden können. Dafür soll die Bundesregierung rund 35 Millionen Euro bereitstellen.

Eigentlich dürfen die mehr als 400 Millionen Bürger der EU-Mitgliedstaaten sowie der Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein nach dem 1985 geschlossenen Schengener Abkommen die gemeinsamen Binnengrenzen ohne Personenkontrolle überschreiten. Ein Durchführungsübereinkommen regelt »Ausgleichsmaßnahmen«, darunter die Aufrüstung der EU-Außengrenzen und die Schaffung der Grenzagentur Frontex.

Die Umsetzung der kontrollfreien Binnengrenzen ist im Schengener Grenzkodex geregelt. Kurzfristige Ausnahmen gelten etwa bei politischen Großereignissen oder Sportveranstaltungen. Mit der »Migrationskrise« nutzten Länder wie Deutschland, Frankreich, Österreich, Dänemark und Norwegen einen weiteren Paragrafen, um für zunächst sechs Monate wieder Grenzen zu kontrollieren. Diese Maßnahme konnte auf zwei Jahre verlängert werden. Um sie fortzusetzen, wechselten die Staaten die Begründung auf eine angebliche »Gefahr terroristischer Anschläge«.

Die EU-Kommission, als »Hüterin der EU-Verträge« auch zuständig für die Einhaltung des Schengener Abkommens, rügte die betreffenden Regierungen mehrfach für ihre seit fast zehn Jahren bestehenden Binnengrenzkontrollen. 2021 legte sie einen Vorschlag zur Neuregelung des Grenzkodex vor. Nach drei Jahren einigten sich die Mitgliedstaaten und das Parlament auf eine neue Fassung, die im Juni 2024 in Kraft trat. Sie unterscheidet zwischen »vorhersehbaren« und »unvorhersehbaren Bedrohungen«.

Kontrollen wegen »vorhersehbarer Bedrohungen«, die länger als sechs Monate dauern sollen, erfordern eine Risikoanalyse durch ausrufende Staaten. Darin soll geprüft werden, ob die Ziele mit milderen Mitteln erreicht werden können. Bei Verlängerungen über 18 Monate muss die Kommission Stellung nehmen. Grenzkontrollen aufgrund derselben »außergewöhnlichen Situation mit anhaltender Bedrohung« dürfen insgesamt drei Jahre nicht überschreiten.

Auch Regelungen für Pandemien wurden aufgenommen, wonach durch einen Ratsbeschluss die EU-Außengrenzen teilweise geschlossen oder Test-, Quarantäne- und Selbstisolierungsmaßnahmen vorgeschrieben werden können. Streit gab es um die Frage, ob auch die »Instrumentalisierung« von Migration in der Verordnung geregelt werden soll. Gemeint sind Fälle wie an den EU-Grenzen zur Türkei oder Belarus, in denen die dortigen Machthaber Geflüchtete gezielt an die Grenze bringen, damit sie von dort in die EU einreisen. Gemäß dem Grenzkodex dürfen davon betroffene Staaten dann ihre Außengrenzen schließen und andere Schengen-Mitglieder für einen Monat ihre Binnengrenzen kontrollieren, dies ist verlängerbar auf bis zu drei Monate.

Der aktualisierte Grenzkodex enthält zudem neue Maßnahmen zur Bekämpfung angeblicher »Schleuserkriminalität« und zur Verhinderung der Einreise von Migranten an Außen- und Binnengrenzen. Dazu sollen verstärkt »technische Mittel« wie Drohnen, Bewegungssensoren, Kameras und »Überwachungstechnologien für Verkehrsflüsse« eingesetzt werden. Erlaubt sind auch »alle Arten stationär postierter und mobiler Infrastruktur« sowie »Technologien zur Sammlung personenbezogener Daten« an Kontrollstellen.

Auf diese Regelungen bezieht sich der GdP-Chef Roßkopf mit seiner Forderung nach neuer, millionenschwerer Technik für mobile Kontrollstellen. Auf Nachfrage des »nd« betonte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums (BMI), dass auch an Grenzen, an denen keine stationären Kontrollen stattfinden, Schleierfahndungen, also gezielte Kontrollen zur Verhinderung von Grenzkriminalität, durchgeführt würden.

Derartige »alternative polizeiliche Maßnahmen« werden nun ebenfalls gestärkt. Die nach einer Schleierfahndung aufgegriffenen »Drittstaatsangehörigen, die sich illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten«, können gemäß dem aktualisierten Grenzkodex sofort in einen anderen Mitgliedstaat »überstellt« werden, aus dem sie »eingetroffen« sind. Hierzu sollen sich die benachbarten Länder bilateral auf Verfahren einigen.

Diese Praxis führt zu mehr Polizeikontrollen, die auf »rassischen, ethnischen oder religiösen Merkmalen« basieren, warnt die Plattform für internationale Zusammenarbeit zur Sicherung sozialer Gerechtigkeit und Menschenrechte für undokumentierte Migrant*innen (PICUM), und legalisiere sogenannte »Pushbacks«. Dass dies auch an deutschen Binnengrenzen längst die Regel ist, bestätigte das BMI jüngst mit der Angabe, dass knapp jeder dritte irregulär eingereiste Migrant an der Grenze abgewiesen wird.

Am Dienstag hat die Bundespolizei Zahlen zu unerlaubten Einreisen im ersten Halbjahr 2024 veröffentlicht und darin eine leichte Abnahme festgestellt. Von Januar bis Juni wurden demnach 42 307 Fälle registriert, was einem Rückgang von 6,7 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum entspricht. Im Gesamtjahr 2023 waren 127 549 unerlaubte Einreisen nach Deutschland erfasst worden.

Die GdP fordert »mobile, flexible und intelligente Grenzkontrollen« sowie mobile Kontrollstellen, die »lageangepasst und flexibel« aufgestellt werden können.

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