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Weniger verlorene Stimmen

Bundesverfassungsgericht kippt Streichung der Grundmandatsklausel im Wahlrecht

Für überwiegend verfassungskonform erklärte der Zweite Karlsruher Senat unter Leitung von Doris König die Gesetzesnovelle der Ampel.
Für überwiegend verfassungskonform erklärte der Zweite Karlsruher Senat unter Leitung von Doris König die Gesetzesnovelle der Ampel.

Der Beweggrund für die Bürgerklage gegen die Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition vom März 2023 war ein einfacher gewesen: Sie hätte dafür gesorgt, dass ungefähr ein Fünftel der bei Bundestagswahlen abgegebenen Stimmen nicht im Parlament repräsentiert wären. Sie kämen zu jenem Viertel der Bevölkerung hinzu, das sich durch die parlamentarische Demokratie generell nicht vertreten fühlt und deshalb gar nicht erst an Wahlen teilnimmt.

Das Bundesverfassungsgericht hat den vom Verein Mehr Demokratie vorgebrachten Beschwerden wie auch jenen von Linkspartei sowie CSU und Abgeordneten der CDU in seinem Urteil vom Dienstag in wesentlichen Punkten stattgegeben. Zugleich hat es aber die Gesetzesnovelle der Regierungsparteien im Grundsatz bestätigt.

Gekippt hat der Zweite Senat in Karlsruhe aber die Aufhebung der sogenannten Grundmandatsklausel durch die jüngste Wahlrechtsreform. Dagegen erklärte er die von der Ampel beschlossene Abschaffung der Überhang- und Ausgleichsmandate für rechtens. Die entsprechende Regelung im Gesetz wird auch Zweitstimmendeckung genannt. Mit dem Urteil vom Dienstag ist bestätigt, dass ein gewählter Direktkandidat künftig nicht mehr zwingend in den Bundestag einzieht.

Parteien, die mehr Direktmandate gewinnen, als es ihr Zweitstimmenergebnis normalerweise zulassen würde, konnten diese Mandate bislang alle behalten. Künftig wird ihre Zahl also auf ein Maß beschränkt, das dem Ergebnis der Partei entspricht. Damit müssen auch keine Ausgleichsmandate an die anderen Parteien vergeben werden, die weniger Direktmandate haben, als es ihrem Zweitstimmenergebnis entspricht.

Während das durch Karlsruhe verfügte Beibehalten der Grundmandatsklausel Linkspartei und CSU gleichermaßen nützt, wird die bayerische Partei infolge der Bestätigung zu den Überhangmandaten durch Karlsruhe künftig mit deutlich weniger Abgeordneten als bisher im Bundestag vertreten sein. Folgerichtig kündigte die CSU im Fall eines Wahlsiegs der Unionsparteien nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr eine erneute Wahlrechtsänderung an.

Das Ziel der Ampel, die Zahl der Bundestagsmandate auf 630 zu begrenzen und das Parlament damit deutlich zu verkleinern, wurde in Karlsruhe ausdrücklich bestätigt. Derzeit gehören ihm 733 Abgeordnete an, so viele wie noch nie.

Die Grundmandatsklausel, die die Ampel gestrichen hatte, garantiert, dass Parteien trotz Scheiterns an der Fünf-Prozent-Hürde mit der Stärke ihres Zweitstimmenergebnisses in den Bundestag kommen, wenn sie mindestens drei Direktmandate gewinnen. Mit der Karlsruher Entscheidung gilt die Grundmandatsklausel wieder und damit auch bei der Bundestagswahl 2025.

Die stellvertretende Verfassungsgerichtspräsidentin Doris König sagte bei der Urteilsverkündung, die Aufhebung der Grundmandatsklausel sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, da dann eine Ungleichbehandlung vorliege. Das Gericht zielte dabei insbesondere auf die nur in Bayern antretende CSU ab, die mit der in den anderen Bundesländern antretenden CDU eine gemeinsame Fraktion bildet.

Die CSU kam bundesweit zuletzt auf 5,2 Prozent. Bei einem Ergebnis von weniger als fünf Prozent hätte sie nach der Ampel-Reform gar kein Mandat mehr bekommen, obwohl sie bislang immer fast alle Direktmandate in Bayern gewinnen konnte. Mit Blick auf die enge Kooperation von CDU und CSU wäre die Abschaffung der Grundmandatsklausel zu weitgehend, erklärte König.

CDU-Chef Friedrich Merz schrieb im Onlinedienst X, der Versuch der Ampel, »politische Konkurrenten mit Hilfe des Wahlrechts auszuschalten«, sei nun gescheitert. Auch CSU-Chef Markus Söder äußerte Genugtuung. Die Bestätigung der Reform bei der Zweitstimmendeckung bezeichnete der bayerische Ministerpräsident als »Wermutstropfen«. Eine erneute Änderung dieser Regel sei »eine Koalitionsbedingung für eine nächste Bundesregierung«, sagte er.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) bezeichnete das Urteil als »wichtiges Signal an die Wählerinnen und Wähler«. Es werde »wird kein unkontrolliertes Anwachsen des Deutschen Bundestages mehr geben«, erklärte sie. Dies schaffe Planungssicherheit, senke die Kosten für das Parlament und stärke seine Arbeitsfähigkeit.

Auf ganzer Linie bestätigt sieht man sich im Verein Mehr Demokratie, der eine Klage im Namen von mehr als 4200 Bürgern eingereicht hatte. Denn die Richter hatten grundsätzlich betont, dass die Fünf-Prozent-Hürde verfassungswidrig ist, weil sie die Stimmen zu vieler Menschen bei Wahlen faktisch wertlos macht.

Ralf-Uwe Beck, Hauptbeschwerdeführer und Bundessprecher von Mehr Demokratie, nannte das Urteil historisch. Der Weg zu einer von dem Verein seit Langem geforderten Absenkung der auch Sperrklausel genannten Fünf-Prozent-Hürde sei damit frei. »Das ist der Königsweg: Die Absenkung passt besser zum Geist der Ampel-Reform des Bundestagswahlrechts. Sie würde nicht nur einer, sondern vielen Parteien nutzen«, sagte Beck. Sie sei zudem einfach umzusetzen.

»Das Urteil ist ein wichtiges Signal an die Wählerinnen und Wähler. Es schafft Planungssicherheit, senkt die Kosten und stärkt die Arbeitsfähigkeit des Bundestags.«

Bärbel Bas Bundestagspräsidentin
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