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»… damit es morgen die Deutschen nicht mehr gibt«
Ein verzweifelter heroischer Versuch polnischer Patrioten, ihre Hauptstadt aus eigener Kraft von den Okkupanten zu befreien
Dass Deutschland den von ihm entfesselten Weltkrieg verlieren würde, zeichnete sich nach der verheerenden Niederlage von Stalingrad im Winter 1942/43 ab. Die Bildung der Zweiten Front durch die Landung der Westalliierten ab dem 6. Juni 1944 in der Normandie und der Vormarsch der Roten Armee brachten Hitlerdeutschland in zunehmende Schwierigkeiten. Am 22. Juli 1944 hatte sich das von Kommunisten dominierte Polnische Komitee der Nationalen Befreiung auf bereits befreitem polnischen Territorium nahe der Stadt Lublin konstituiert. Das Lubliner Komitee begann mit dem Aufbau einer eigenen polnischen Verwaltung und bildete den von der Sowjetunion unterstützten Gegenentwurf zur bürgerlichen polnischen Exilregierung in London.
In Warschau liefen bereits Vorbereitungen für einen Aufstand, der sich als ein verzweifelter Versuch erwies, die Hauptstadt aus eigener Kraft selbst zu befreien. Die polnische Exilregierung unter Führung von Stanisław Mikołajczyk wollte mit Hilfe ihrer Untergrundarmee, der Heimatarmee (Armia Krajowa), die auf Warschau heranrückende Rote Armee als Hausherr empfangen und zugleich den Machtanspruch seiner Regierung im Nachkriegspolen demonstrieren.
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Mikołajczyk hatte eine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Exilregierung und der Sowjetunion nicht aufgegeben. Diese waren am 25. April 1943 von Stalin abgebrochen worden, als Polen eine Erklärung für die am 13. April 1943 entdeckten Massengräber ihrer Offiziere im Wald von Katyń forderte. Die USA und Großbritannien, beunruhigt durch den polnisch-sowjetischen Konflikt, wollten keinesfalls die Anti-Hitler-Koalition gefährden und hielten sich zurück. Stalin betrachtete Polen bereits als künftiges sowjetisches Einflussgebiet. In einer Direktive im Juli 1944 hatte er die Entwaffnung der Heimatarmee im Osten Polens angeordnet und dann den Befehl auf das ganze Land ausgedehnt.
Der Aufstand in Warschau begann am 1. August 1944 um 17 Uhr unter dem Oberbefehl von Tadeusz Bór-Komorowski. Die Abstimmung darüber fiel knapp aus. In einer geheimen Sitzung der Repräsentanten der Exilregierung vor Ort mit Vertretern politischer Parteien und der Führung der Heimatarmee wurde mit einer Stimme Mehrheit für den Aufstand votiert. Ausschlaggebend war die Mitteilung, dass erste sowjetische Panzer Vororte im Osten der polnischen Hauptstadt erreicht hätten. Hinzu kam, dass die deutschen Okkupanten in Warschau mit der Evakuierung ihrer Behörden und militärischen Depots begonnen hatten. Diese wurde jedoch dann auf Befehl aus Berlin gestoppt, der Wehrmacht befohlen, die Weichsel-Linie unbedingt zu halten.
Nach fünf Jahren Illegalität sollten nun aber endlich die faschistischen Besatzer geschlagen werden. Der polnische Staat hatte trotz faschistischen Terrors im Untergrund weiter existiert, mit einem eigenen Bildungswesen und Gerichtsbarkeit. Der Untergrundbewegung war es am 1. Februar 1944 gelungen, den berüchtigten Henker von Warschau, den SS- und Polizeiführer Franz Kutschera, zu liquidieren. Dem Partisanenkampf sollte nun der offene Kampf bis zur Befreiung folgen. Euphorisch schrieb die 14-jährige Wanda Przybylska am 1. August 1944 in ihr Tagebuch: »Es ist so weit! Ich sitze auf dem Balkon. Es ist halb vier, und in 30 Minuten soll der Aufstand beginnen. Ja, damit es morgen die Deutschen nicht mehr gibt. Heute früh waren die Bolschewisten schon in Warschau, in Praga. In Wahrheit handelt es sich erst um die Vorhut. Sie haben die Deutschen zurückgedrängt.« Wanda sollte den Aufstand nicht überleben, am 14. September fiel sie durch eine deutsche Kugel.
Der Warschauer Aufstand war für Polen ein äußerst verlustreicher Kampf. Die Besatzer behielten die Oberhand. Es kam zu vielen Kleingefechten. Die Altstadt und das Zentrum wurden hart umkämpft, den nicht ausreichend bewaffneten Aufständischen gelang es nicht, die Weichselbrücken zu erobern. Der Versuch der 1. Polnische Armee, die an der Seite der Roten Armee kämpfte, ihren Landsleuten zu Hilfe zu eilen, misslang. Am 9. September griff erstmalig die sowjetische Luftwaffe ein. Sowjetmarschall Konstantin Rokossowski besetzte Praga, den östlichen Stadtteil Warschaus. Nur noch die Weichsel trennte die Rote Armee und die Aufständischen. US-Piloten warfen Container mit Ausrüstung für die Aufständischen über Warschau ab; 20 Prozent der abgeworfenen Fracht gelangten in die Hände der polnischen Kämpfer. Am 2. Oktober musste die Heimatarmee jedoch vor deutscher Übermacht kapitulieren.
Die Bilanz war erschreckend: 15 000 Aufständische gerieten in deutsche Gefangenschaft, etwa 18 000 Tote und Vermisste hatten die Kämpfenden zu beklagen, 25 000 wurden verwundet, 100 000 Zivilisten starben, Überlebende wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert. Hitler gab den Befehl, die polnische Hauptstadt dem Erdboden gleichzumachen. Als am 17. Januar 1945 die Rote Armee Warschau befreite, war die Stadt ein Trümmerfeld und weitgehend entvölkert.
Unserer Autorin ist Mitglied des Sprecherrats der Historischen Kommission der Linkspartei.
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