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Union schürt Stimmung gegen Arme
C-Parteien wollen Arbeitspflicht für Asylbewerber und noch mehr Strafen für Bürgergeldbezieher
Die Dax-Konzerne verbuchen satte Gewinne. Die zehn Milliarden Euro an Subventionen, die sie im vergangenen Jahr erhalten haben, haben zu ihrer komfortablen Situation beigetragen. Währenddessen sprechen Politiker von CDU, CSU und AfD, aber auch der Regierungsparteien täglich darüber, dass der Sozialetat zu groß ist. Vor allem das Bürgergeld ist ihnen ein Dorn im Auge, obwohl der Löwenanteil des in diesem Jahr 172 Milliarden Euro schweren Haushalts von Sozialminister Hubertus Heil für den unkürzbaren Bereich der Rentenfinanzierung reserviert ist (127 Milliarden). Für das Bürgergeld kommen in diesem Jahr rund 40 Milliarden zusammen.
Die Ampel-Koalition hatte bereits Anfang Juli mit ihrer »Wachstumsinitiative« ein heftiges Anziehen der Daumenschrauben gegenüber arbeitsfähigen Bürgergeldbeziehern angekündigt. Bereits zuvor hatte sie die Wiedereinführung befristeter Komplettstreichungen des Regelsatzes für Unwillige beschlossen. Sie musste sich dabei an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts halten, das Kürzungen am menschenwürdigen Existenzminimum in einem Urteil von 2019 nur für bis zu drei Monate für zulässig erklärt hatte. Davon völlig unbeeindruckt hatte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann am vergangenen Wochenende die dauerhafte Streichung aller Leistungen für »Totalverweigerer« gefordert.
Dennoch springen insbesondere Unionspolitiker auf den Zug auf. So forderte Alexander Dobrindt, Landesgruppenchef der CSU im Bundestag, am Mittwoch eine Reform der Sozialleistungen für Asylbewerber. »Es muss ein neues soziales Leistungssystem für Asylbewerber geben, das unterhalb des Bürgergeldes anzusiedeln ist«, sagte er gegenüber »Bild«. Nötig seien zudem »stärkere Mitwirkungspflichten, wenn es um die Arbeitsaufnahme geht«.
Asylbewerber bekommen in Deutschland aber gar kein Bürgergeld, sondern Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die um rund 20 Prozent darunter liegen. Erst wenn ihr Antrag auf Asyl anerkannt wurde, haben sie Anspruch auf Bürgergeld. Abgelehnte Asylbewerber erhalten mittlerweile mindestens drei Jahre lang weiter die niedrigeren Sätze. Nur Flüchtlinge aus der Ukraine erhalten von Anfang an Bürgergeld beziehungsweise Sozialhilfe. Insgesamt leben in Deutschland gut eine Millionen Ukrainer*innen, unter ihnen viele Kinder und alte Menschen.
Die FDP hat längst deutlich gemacht, dass ihr die in der Koalition beschlossenen Verschärfungen beim Bürgergeld nicht weit genug gehen. Jetzt brachte ihr arbeitsmarktpolitischer Sprecher im Bundestag, Pascal Kober, eine stärkere »Differenzierung« bei den Leistungsempfängern ins Gespräch. Unterscheiden müsse man zwischen Aufstockern, die wegen ihres niedrigen Lohns ergänzend Bürgergeld erhalten, Langzeitarbeitslosen mit psychischen und gesundheitlichen Problemen sowie arbeitsfähigen Zugewanderten. »Zumutbarkeitskriterien für Letztere müssen hintenanstehen, wenn die Kosten und die gesellschaftliche Stimmung kippen«, meint Kober. Im Klartext: Sie sollen jeden noch so schlecht bezahlten Job annehmen müssen.
Derweil erneuerte CDU-Innenpolitiker Alexander Throm die seit Längerem kursierende Forderung nach einem »verpflichtenden gemeinnützigen Dienst« für Geflüchtete. Gemeinnützige Dienste werden im Unterschied zu sozialversicherungspflichtigen Jobs nicht entlohnt. Wie einst bei den sogenannten Ein-Euro-Jobs gibt es dafür nur eine minimale Aufwandsentschädigung. Throm behauptete gar wahrheitswidrig, dass das Bürgergeld, weil die Quote der »anerkannt Schutzberechtigten« unter den Beziehenden immer weiter steigt, »immer weniger unseren Bürgern und immer mehr den Zugewanderten, insbesondere den Flüchtlingen« zugute komme.
Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch wies unterdessen die Forderungen von Linnemann und Co. zurück. Seine Partei wolle demgegenüber mehr Hinzuverdienstmöglichkeiten für Aufstocker im Bürgergeld schaffen. »Wir konzentrieren uns auf die 97 Prozent der Menschen im Bürgergeld, die arbeiten wollen«, sagte Audretsch der »Rheinischen Post« (Mittwochsausgabe). »Für sie werden wir die Anreize weiter verbessern. Wer mehr arbeitet, soll mehr behalten können«, so Audretsch.
Vor noch mehr Sanktionen gegen Bürgergeldbezieher warnt der Arbeitsmarktexperte Enzo Weber. Von den 5,6 Millionen Menschen, die in Deutschland Bürgergeld beziehen, seien weniger als zwei Millionen Arbeitslose, sagte Weber, der am Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung forscht, dem Sender WDR 5 am Mittwoch. Weniger als ein Prozent von ihnen würden pro Jahr mit Leistungskürzungen für Versäumnisse bestraft.
Die Probleme, die bei Menschen in Langzeitarbeitslosigkeit auftreten, seien vielfältig, sagte Weber. Es gebe gesundheitliche Einschränkungen, Pflegeverpflichtungen, fehlende berufliche Abschlüsse oder Sprachschwierigkeiten. Wer schärfere Sanktionen fordere, suggeriere, das wesentliche Problem sei aktuell eine »kleine Gruppe von schwarzen Schafen«. Der Sinn von Sanktionen sei, dass Menschen ihr Verhalten anpassen – dafür brauche man aber das richtige Maß, betonte Weber. Seien die Strafen zu hart, gebe es negative Folgen. Man zerstöre Vertrauen und drücke »Menschen auch in wenig nachhaltige Jobs«. Sie seien oft schnell erneut arbeitslos.
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