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Magnum, Cornetto und Co.: Ein kapitalistischer Problemfall
Unilever will das Geschäft mit Cornetto und Magnum abspalten. Nestlé hat einen ähnlichen Schritt bereits getan
Ein Eis geht immer, heißt es. Doch gilt dies nicht für die Hersteller: Der Schweizer Konzern Nestlé (Mövenpick, Häagen Dazs) hat bereits vor Jahren sein Eiscremegeschäft abgespalten. Nun will auch Unilever seine Eissparte loswerden und Tausende Stellen streichen. Das überrascht – schließlich ist der britisch-niederländische Konzern Branchenführer, knapp ein Fünftel des globalen Eismarktes gehört ihm. Unilever verfügt über starke Markennamen wie Langnese, Cornetto, Ben & Jerry’s sowie den Weltbestseller Magnum, die ihm Milliarden einspielen. Dennoch will der Konzern die Sparte abwerfen wie Ballast. Was macht Eiscreme als kapitalistischen Geschäftsartikel so unhandlich?
Eis – eine Enttäuschung
Als »enttäuschend« bewertete Unilever zuletzt die Performance seiner Eissparte. Eine Enttäuschung sei das Eis gemessen an der »ersten Priorität für unsere Marken – organisches Wachstum«. Eis soll nicht nur Geld bringen, auch nicht bloß immer mehr Geld, sondern möglichst viel mehr Geld. Und an diesem Maßstab scheitert es. Sondereinflüsse herausgerechnet, spielte Eis 2023 Unilever zwar 8 Milliarden Euro ein, das waren aber nur 2,3 Prozent mehr als im Vorjahr. Dagegen legten die Unilever-Marken in den Bereichen »Personal Care« und »Beauty« (unter anderem Dove, Axe, Vaseline) über 8 Prozent zu, der Bereich »Ernährung« (unter anderem Knorr, Pfanni) um 7,7 Prozent und »Home Care« (Omo, Domestos) immerhin um fast 6 Prozent.
Eis fällt nicht nur im Wachstum zurück, sondern auch in der anderen wichtigen Kategorie: Profitabilität. Zwar bleiben von 100 Euro Eis-Umsatz immerhin 11 Euro als Gewinn bei Unilever hängen. Aber bei den anderen Sparten sind es 18 bis 20 Euro. Das bedeutet: Betriebswirtschaftlich gesehen sind Investitionen in die Eissparte herausgeworfenes Geld. Nicht weil die Sparte Verluste macht. Sondern weil ihre Rendite niedriger ist als die alternativer Anlagen und sie damit das Geschäftsergebnis »verwässert«. So anspruchsvoll sind Konzerne.
Eis – ein Problem
Eis ist zwar lecker und macht Spaß. Als Renditequelle hat es allerdings schwerwiegende Nachteile. Da ist zunächst die Sache selbst, deren Produktion gar nicht so einfach ist. »Die Herstellung eines Cornetto ist das Äquivalent zur Herstellung eines Automobils«, sagte dereinst Andrew Sztehlo, Unilevers Vizepräsident für die Speiseeis-Forschung. »Es gibt heiße Dinge, kalte Dinge, Dinge, die in einem komischen Winkel zueinander stehen, Dinge, die Wasser mögen, Dinge, die Wasser hassen. Und sie alle müssen zusammenkommen, um diese Waffel zu machen.« Eigene Teams von Unilever sind noch immer damit beschäftigt, das Problem zu lösen, dass die Cornetto-Waffeln zuweilen aufweichen.
Zweites Problem: Um den Absatz zu fördern, zielt Unilever darauf, dass sein Eis überall zu haben ist, auf allen Kontinenten, in allen Supermärkten, auch noch in der abgelegensten Strandbar – »so allgegenwärtig wie möglich«, lautet das Ziel. Die dafür nötige lückenlose Kühlkette treibt die Energiekosten in die Höhe. Denn laut dem International Institute of Refrigeration ist Eiscreme »eine komplexe Lebensmittelmatrix, die aus einem gefrorenen Mehrphasengemisch besteht, das Eiskristalle, Luftblasen und teilweise verschmolzene Fettkügelchen in einer nicht gefrorenen Serumphase enthält«. Die konsumgerechte Stabilität dieses Gemischs erfordert eine Temperatur von minus 18 Grad Celsius – was das Eisgeschäft kapitalintensiv und damit teuer macht. Seit 2008 hat Unilever zwar die Energieeffizienz seiner Eistruhen um 40 Prozent gesteigert, doch die Energiekosten bleiben zu hoch. Zudem wird versucht, die Eiszusammensetzung so zu verändern, dass es auch bei 12 Grad noch stabil bleibt. Dies allerdings, so Unilever, verändert den Geschmack und das »Schmelzverhalten im Mund«.
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Das Eis selbst macht also Probleme. Aber auch die Nachfrage. Eines dieser Probleme hat Unilever gelöst: Ursprünglich war Speiseeis vor allem etwas für Kinder. Diese verengte Zielgruppe jedoch wurde durch die Einführung eines »Super-Premium-Segments« erweitert: Magnum kam 1989 auf den deutschen Markt, ein teures Eis, das sich an Stadtbewohner im Alter von 20 bis 35 Jahren aus der sozialen Mittel- oder Oberschicht richtete. Ein Riesenerfolg: »Das hat unser Geschäft revolutioniert«, sagte Matt Close, Unilevers Vizepräsident für das Eisgeschäft. Heute tragen Magnum und Cornetto über 80 Prozent des Eisumsatzes von Unilever.
Nicht gelöst allerdings ist das Problem der Saisonalität: Der Eisabsatz konzentriert sich auf die warmen Monate. Abhängigkeit vom Wetter wiederum ist Gift für die Konzernrechnung. Denn für die Hersteller bedeutet das lange Umsatzflauten; zudem liegen Produktionskapazitäten über Monate brach, was die Rendite der Kapitalanlagen drückt. Diese Rendite lag 2023 bei Unilevers Eissparte bei nur 33 Prozent – »Beauty« brachte dagegen fast 200 Prozent. Verschiedene Versuche des Konzerns, auch im Winter mehr Eis zu verkaufen, blieben relativ erfolglos, zum Beispiel der ganzjährige On-Demand-Verkauf über das Internet; hier wird selbst mit der Auslieferung per Drohnen experimentiert. Ohne nachhaltige Folgen blieb auch die Umtextung des Langnese-Werbesongs »So schmeckt der Sommer« zu »So schmilzt der Winter«.
Um die Produktions- und Vertriebskosten auf möglichst viele Produkte zu verteilen und so die Rendite zu heben, übernahmen die großen Eiskonzerne in der Vergangenheit zahlreiche Konkurrenten, was zur charakteristischen Zentralisierung der Branche führte: Nestlé kaufte Firmen wie Schöller, Motta, Mövenpick oder Häagen Dazs. Unilever übernahm schon vor gut 100 Jahren Wall’s, Langnese sowie Dutzende weitere Hersteller und formte aus ihnen eine globale Produktfamilie, die in Chile heute Bresler heißt, in Italien Algida und in Indien Kwality. 2000 kam Ben & Jerry’s zu Unilever, und in jüngster Zeit folgten Marken wie Talenti in den USA und Italiens Grom.
Eis – ungesund und teuer
Dem betriebswirtschaftlichen Ideal des endlosen Wachstums steht eine weitere Eigenschaft von Eis entgegen: Es ist nicht gesund und macht tendenziell dick. Das drückt die Nachfrage: 1986 aß ein*e US-Bürger*in im Durchschnitt noch 18 Pfund Eis im Jahr (rund 9 Kilo), inzwischen ist es ein Drittel weniger. Auch der Absatz von fettreduziertem Eis stagniert seit Jahrzehnten. Statt zu Eis greifen die Menschen heute zu Abnehmspritzen, zum Beispiel dem Appetithemmer Ozempic von Novo Nordisk. »Die Lebensmittelkonzerne haben Angst davor«, sagte jüngst Novo-Nordisk-Chef Lars Fruergaard Jörgensen. Als besonders gefährdet durch Abnehmspritzen sehen die Aktienanalysten der Schweizer Bank UBS Firmen wie Mars, Mondelez, aber auch die Eiscremesparte von Unilever. Nestlé dagegen steht derzeit ganz gut da, der Konzern plant in den USA mit seiner neuen Tiefkühllinie Vital Pursuit sogar einen »Begleiter für GLP-1-Medikamente«, also für Abnehmspritzen.
Die lückenlose Kühlkette treibt die Energiekosten in die Höhe.
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In die Quere kommen den Fabrikanten hochpreisigen Speiseeises zudem nun auch ihre eigenen Preiserhöhungen der vergangenen Jahre, sprich die Armut der Menschen. Die gestiegenen Rohstoffpreise wälzten Unilever & Co. auf ihre Preise, also auf die Käufer ab. »Was wir in den vergangenen zwei Jahren erlebt haben, war definitiv ein Anstieg von historischem Ausmaß«, sagte Nestlé-CEO Mark Schneider. Auf Preissteigerungen bei Eis reagieren Konsumenten laut Unilever stärker als bei Waschmitteln oder Duschgels, wahrscheinlich weil es sich um ein Gut handelt, das als Luxus gilt. In der Folge stiegen die Verbraucher vermehrt auf billigere Eis-Handelsmarken um.
Den Eisabsatzrückgang von 6 Prozent konnte Unilever 2023 zwar durch Preiserhöhungen von 8,8 Prozent überkompensieren, wodurch der Eisprofit stieg. Dennoch gingen Marktanteile verloren, was der Börse nicht gefällt. Eine andere, bereits seit Längerem verfolgte Strategie von Unilever ist die »Shrinkflation«, also die Beibehaltung des Preises bei gleichzeitiger Reduktion des Eisgewichts. Laut Online-Enzyklopädie Wikipedia wog das Ur-Magnum 1989 noch 200 Gramm, heute sei es nur noch die Hälfte, bei inflationsbereinigt unverändertem Preis. Die Organisation Foodwatch kritisierte kürzlich, Unilever habe bei Langnese Cremissimo Bourbon Vanille die Packungsgröße von 1300 auf 900 Milliliter verringert, aber den Preis von 3,99 Euro beibehalten. Mit solchen Maßnahmen begegnen die Unternehmen dem Problem des Geldmangels der Menschen, den sie per Preiserhöhungen und Lohnsenkungen herstellen.
Eis – was tun?
Die Konzerne reagieren: Nestlé, das jahrelang Marktanteile an Unilever abgeben musste, übertrug bereits 2016 seine Eissparte auf ein Joint Venture mit der britischen R & R Ice Cream (Landliebe-, Milka-, Oreo-Eis), die der französischen Private-Equity-Gesellschft PAI Partners gehört. Das Joint Venture mit dem Namen Froneri startete vor einigen Jahren mit seiner Edelmarke Nuii einen Angriff auf Unilevers Magnum. Inzwischen scheint PAI seine Anteile an Froneri wieder abgeben zu wollen – entweder durch Verkauf oder Börsengang.
Ähnliches plant Unilever. Ein Verkauf an einen Konkurrenten gilt als unwahrscheinlich, schließlich ist Unilevers Eissparte größer als die fünf nächstgrößeren Wettbewerber zusammen. Wahrscheinlichste Varianten sind daher ein Börsengang oder der Einstieg einer Private-Equity-Gesellschaft. Branchengrößen wie Advent International, Blackstone oder CVC Capital Partners sollen schon Interesse an der Sparte angemeldet haben, deren Wert auf bis zu 17 Milliarden Euro geschätzt wird.
Die Trennung von Magnum und Cornetto ist Teil des »Growth Action Plans« von Unilever, was die laut Finanzvorstand »inakzeptable« Wettbewerbsfähigkeit des Konzerns verbessern soll. Zwar ist Unilever nicht in einer Krise, zuletzt gab es zehn Milliarden Euro Gewinn und eine operative Gewinnspanne von über 16 Prozent. Dennoch will der Konzern 7500 Stellen abbauen und sich auf seine 30 »Power Brands« konzentrieren. Genauso wie ein Finanzmanager betrachtet der Unilever-Vorstand seine Markenfamilie von Axe bis Cornetto als Anlageportfolio, das es stetig zu optimieren gilt, getreu dem neuen Firmenmotto »Weniger Dinge besser machen«.
Die echten Finanzmanager an der Börse begrüßen das, die Aktie ist gestiegen. Die Eis-Abspaltung sei »entschiedenes Handeln, auf das der Markt gewartet hat«, lobte die britische Bank Barclay’s, laut der Unilever aber noch profitabler werden muss: »Nun stellt sich unausweichlich die Frage nach der Ernährungssparte, die ebenfalls das Wachstum verwässert.«
Mit der Trennung vom Eis würde sich Unilever laut Finanzinformationsdienst Bloomberg zudem ein Nebenproblem vom Hals schaffen: Ben & Jerry’s, dessen Leitung sehr unabhängig agieren kann und durch politische Statements den Geschäftsgang stört. Vor zwei Jahren musste Unilever vor Gericht, nachdem Ben & Jerry’s bekannt gegeben hatte, es sei gegen den Verkauf seiner Produkte im von Israel besetzten Westjordanland.
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