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Luxusschleuser-Skandal weitet sich bis in Staatskanzlei aus
Mutmaßlicher Bandenkopf ging in Ministerien Nordrhein-Westfalens ein und aus
Als die Bundespolizei Mitte April über 100 Immobilien durchsuchte und zehn Menschen wegen Tätigkeiten als sogenannte Luxusschleuser festnahm, konnten wohl höchstens die Beteiligten wissen, welche Kreise ihr Fall ziehen wird. Im Zentrum der Affäre steht der Vorwurf, dass wohlhabende Ausländer, insbesondere aus China, über eine Schleuserbande Aufenthaltsgenehmigungen in Deutschland gekauft haben sollen. Die mutmaßlichen Hauptakteure, zwei Rechtsanwälte aus Köln und Umland knüpften dafür ein weitverzweigtes Netzwerk in die nordrhein-westfälische Politik.
Die Schleuserbande soll ihren wohlhabenden Kunden, die für ihre Aufenthaltsgenehmigung bis zu 360 000 Euro gezahlt haben, »All-inclusive-Pakete« angeboten haben. Einbürgerungen durch gefälschte Dokumente, fingierte Investitionen, Scheinwohnsitze und Arbeitsverträge bei Scheinfirmen zählten zu diesen Komplettpaketen.
Zu den Festgenommenen im April gehört auch Jens Bröker. Der Sozialdemokrat wollte einmal Landrat im Kreis Düren werden, bis zu seiner Festnahme leitete er das Referat für Wandel und Entwicklung im Kreis Düren. Der »Kölner Stadtanzeiger« berichtete nun in seiner Samstagsausgabe, dass Bröker ein Geständnis über seine Rolle in der Schleuserbande abgelegt habe; die Zeitung habe dieses einsehen können. In dem Geständnis soll der SPD-Politiker zugegeben haben, in 81 Fällen »geholfen« zu haben, Aufenthaltsgenehmigungen zu beschaffen.
Jens Bröker berichtete auch über seine Bezahlung. 500 bis 1500 Euro habe er für jeden Antragsteller in bar bekommen. Die Scheine seien durch den mutmaßlichen Schleuserchef oder einen Fahrer in Tüten übergeben worden«, berichtet der »Kölner Stadtanzeiger«. »Wie beim Pizzaboten sei es zugegangen, heißt es im Protokoll. Der Schleuserchef, Claus B. Anwalt aus Frechen bei Köln, soll auch kurz vor den Razzien im April bei Jens Bröker nachgefragt haben, ob er etwas von einem geplanten Einsatz gegen die Bande wisse. Ob Claus B. dabei spekuliert hat oder ob er Informant*innen in Sicherheitsbehörden hatte, ist bislang unklar.
Klar ist, dass Claus B. über ein weitverzweigtes Netzwerk in der Politik verfügte. B. war auch als Geschäftsführer der Berliner Lobby-Agentur »Republic Affairs« tätig. Vor Wochen wurde schon bekannt, dass Claus B. für den letzten Wahlkampf von Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) gespendet hatte und den Zugang zu Reul suchte. Der Innenminister erklärte, sich mehrmals mit Claus B. getroffen zu haben. Einmal ging es dabei um Sportwetten; dem Anliegen von B. und seinem Klienten kam der Innenminister nicht nach.
Die SPD-Landtagsabgeordnete Christina Kampmann hat kürzlich mit einer Kleinen Anfrage in Erfahrung gebracht, welche Kontakte Claus B. und seine Agentur noch in die Landesregierung hatten. Die Antwort offenbart zahlreiche Treffen mit verschiedenen Ministerien. Besonders augenfällig: »Republic Affairs« hat sich stark darum gekümmert, für die Quarzwerke GmbH aus Frechen Termine mit den Umwelt- und Wirtschaftsminister*innen Oliver Krischer und Mona Neubaur (beide Grüne) zu vereinbaren. Es gelang, ein Treffen mit beiden zu vereinbaren. Das Thema: die Rohstoffabgabe. Im Koalitionsvertrag hatten CDU und Grüne verabredet eine Abgabe auf Sand- und Kiesabbau einzuführen, um damit das Recyceln der Materialien attraktiver zu machen. Eigentlich wollte man die Rohstoffabgabe zum Jahresanfang 2024 einführen. Bislang gibt es sie nicht.
Auch zur Staatskanzlei von Hendrik Wüst hatte Claus B. Zugang. In der Antwort auf Kampmanns Anfrage heißt es, dass Claus B. den Chef der Staatskanzlei aus gemeinsamen Zeiten an der Universität kenne. B. habe Schulte einmal in seinem Büro besucht. Später habe er ihn gebeten, einen Vortrag zur Landespolitik in Köln zu halten, und noch im April nahm der Staatssekretär an einem von B. organisierten Abendessen mit »anderen Politikern« teil.
»Bei den Treffen von Claus B. mit Mitgliedern der Landesregierung irritieren besonders jene mit dem Amtschef der Staatskanzlei, über deren Inhalt die Landesregierung keine Auskunft gibt«, erklärte Christina Kampmann gegenüber der »FAZ«. Sie hat nun eine weitere Anfrage gestellt.
Die Scheine seien durch den mutmaßlichen Schleuserchef oder einen Fahrer in Tüten übergeben worden. Wie beim Pizzaboten sei es zugegangen.
"Kölner Stadtanzeiger"
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