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»Ohne Brot gibt es keinen Frieden«

Naum Butoto über die Lage im Osten Kongos vor dem Hintergrund des neuen Waffenstillstands

Ein Soldat steht Wache bei einer Beerdigungszeremonie für die Opfer eines Bombenanschlags auf ein Vertriebenenlager in der Nähe von Goma.
Ein Soldat steht Wache bei einer Beerdigungszeremonie für die Opfer eines Bombenanschlags auf ein Vertriebenenlager in der Nähe von Goma.

Seit 4. August ist in der kongolesischen Region Nord-Kivu ein Waffenstillstand in Kraft. Unter angolanischer Vermittlung wurde das Abkommen zwischen der Regierung der Demokratischen Republik Kongo und Ruanda erzielt. Kinshasa wirft Ruanda die Unterstützung der Rebellenbewegung M23 im Kongo vor, Kigali bestreitet das. Bisherige Waffenstillstandsabkommen waren nicht von Dauer. Auch jetzt sagt die M23, dass sie sich nicht daran gebunden fühlt und kämpft bisher weiter. Wieviel Hoffnung verbinden sie mit diesem Abkommen?

Wir haben bei diesem Abkommen mehr Hoffnung als bei den Vorgängern. Wir hoffen, dass mit der Feuerpause die humanitäre Krise in den Griff bekommen werden kann. Das Abkommen ist auf den Druck der internationalen Gemeinschaft im Allgemeinen und der USA im Besonderen zurückzuführen. Es ist ein bedeutender Durchbruch. Damit können aufrichtige und konstruktive Gespräche zwischen den beiden Ländern auf der Grundlage von zwei Elementen in die Wege geleitet werden: der Frage, wie die ruandische Hutu-Miliz FDLR (deren Vorläufer maßgeblich in den Völkermord involviert waren, d. Red.) neutralisiert werden kann und wie die bewaffneten Kräfte auf kongolesischem Boden entflochten werden können, auch die ruandische Tutsi-Bewegung M23, die die FDLR im Kongo bekämpft.

Das hört sich komplex an ...

Ja. Es gibt in der Tat große Herausforderungen. Die Ursachen der Konflikte sind der zyklische Krieg der M23 gegen die FDLR und die Frage, wie die Ruandisch sprechenden Kongolesen integriert werden, denn sie werden bisher als Fremde behandelt. Und auch die lokalen kongolesischen bewaffneten Gruppen wie die »Patrioten« der Wazalendo-Milizen, die friedliche Bürger vergewaltigen und töten, müssen neutralisiert werden. Beide Seiten, Kongo und Ruanda, haben ihren Willen bekundet, diese Probleme gemeinsam anzugehen. Es bedarf aber sicher weiter internationalen Drucks und von der Zivilgesellschaft, damit das nicht verpufft.

Seit Februar wurde die Stadt Goma, in die viele Bewohner der Umgebung vor dem Terror und der Gewalt in Nord-Kivu geflohen sind, von der Rebellenmiliz M23 belagert. Welche Auswirkungen hatte dies?

Der bewaffnete Konflikt trifft die Zivilbevölkerung hart. Es kommt immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen der M23 und der kongolesischen Armee in dicht besiedelten städtischen Gebieten wie etwa Sake. Berichten zufolge sind bereits mehr als 215 000 Menschen von Sake nach Goma geflohen. In den vergangenen zwei Jahren haben sich zu den 1,5 Millionen Einwohnern in Goma 700 000 Binnenvertriebene aus der Region hinzugesellt. Den Menschen fehlt es an allem, an Nahrung, Medikamenten, Kleidung und am Zugang zu wichtigen Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit. Vor allem die Kinder und die Frauen leiden unter Gewalt und Hunger. Die Feindseligkeiten schränkten den Warenverkehr stark ein und führten zu Zerstörung wichtiger Infrastruktur. Dadurch konnte der ohnehin wachsende Bedarf an lebenswichtigen Gütern immer schwieriger gedeckt werden. Wir hoffen, dass sich das mit dem Waffenstillstand bessert.

Wie steht es um humanitäre Hilfe?

Die Hilfsorganisationen sind überfordert. Die Verteilungskämpfe schüren zusätzliche Gewalt. Auch Vergewaltigungen von Frauen und Armutsprostitution von Frauen nehmen zu. Die Situation ist katastrophal.

Interview

Naum Butoto ist Agraringenieur und Direktor der kongolesischen Organisation UGEAFI, die in Süd-Kivu, nordwestlich des Tanganjikasees, mit friedensbildenden Maßnahmen rund um die Ernährungssicherung den gewalttätigen Konflikten entgegenwirkt. UGEAFI ist die kongolesische Partnerorganisation von SODI, die im Oktober 1990 als Nachfolgeorganisation des Solidaritätskomitees der DDR gegründet wurde.

Warum ist die Regierung in Kinshasa nicht in der Lage, die Situation unter Kontrolle zu bringen?

Die Regierung in Kinshasa versucht mit ihren Kapazitäten, das Bestmögliche zu machen. Dabei geht es vor allem darum, die Sicherheit für die Bevölkerung zu gewährleisten. Das ist auch die Aufgabe der kongolesischen Streitkräfte RDC. Aber die Kapazitäten sind sehr begrenzt. Die M23 hält weite Teile im Osten der DR Kongo besetzt. Die Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in der Demokratischen Republik Kongo (Monusco) hat der Regierung zwar unter die Arme gegriffen, das hatte aber keine durchschlagende Wirkung. Die Zivilgesellschaft drängte die Regierung immer darauf, Verhandlungen aufzunehmen. Nicht nur Ruanda ist in den Konflikt im Osten Kongos involviert, sondern auch Uganda und Burundi sowie selbstverständlich Kongo. Alle sind über Milizen oder die Armee präsent. Alle vier müssen sich zusammensetzen, um die Region zu befrieden. Passiert das nicht, wird die Region instabil bleiben.

Das Abkommen für Frieden, Sicherheit und Zusammenarbeit für die DR Kongo und die Region, das sogenannte Rahmenabkommen von Addis Abeba, wurde 2013 geschlossen, ist seitdem weitgehend wirkungslos verpufft. Die Friedensinitiative des sogenannten Nairobi-Prozesses von 2022, der die kongolesischen bewaffneten Gruppen mit Ausnahme der M23 zusammenbrachte, hat bisher auch keine Befriedung gebracht. Trotzdem daran anknüpfen?

Ja, aus einem schlichten Grund. Der Konflikt und seine Ursachen können nicht militärisch beseitigt werden. Es bleibt nur der Verhandlungsweg, so schwer er auch sein mag.

Für zusätzliche Unsicherheit sorgt die Tatsache, dass die bisher weitgehend wirkungslose Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in der Demokratischen Republik Kongo (Monusco) das Land Ende 2024 auf Wunsch Kinshasas nach 25 Jahren Präsenz verlassen muss. Die Befriedung durch Monusco hat nicht funktioniert. Ist es besser, wenn sie geht?

Für die Monusco gilt Ähnliches wie für die Regierung in Kinshasa. Sie agiert im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten. Darin hat sie auch einiges erreicht, Dialoge auf den Weg gebracht. Unterm Strich Stabilisierung hat sie aber nicht gebracht. Der Abzug jetzt kommt zu schnell und weder wurden die Konflikte gelöst noch ist ein Fahrplan vorhanden, wie die Probleme ohne Monusco angegangen werden sollen. Aus dem Süd-Kivu haben sich die Blauhelme bereits zurückgezogen, in den Regionen Nord-Kivu und Ituri sind sie weiter präsent, wo zahlreiche bewaffnete Gruppen aktiv sind. Durch den Abzug der Monusco entsteht ein Machtvakuum, das die Regierung nicht füllen können wird. Auch wenn die Monusco meist passiv auf Krisen reagiert hat und nicht aktiv gegen die rund 100 Milizen vorgegangen ist, hat die Monusco dort wo sie präsent war, Milizen meist davon abgehalten, in der näheren Umgebung Zivilisten anzugreifen. Für den Abzug hätten gewisse Indikatoren festgelegt werden müssen, werden sie erreicht, kann die Monusco abziehen, wenn nicht, muss nachverhandelt werden. Das ist nicht geschehen und nun ist ein Machtvakuum entstanden.

Der Ostkongo stand wiederholt im Mittelpunkt bewaffneter Konflikte. Im Jahr 2021 gab es wiederholt Berichte über eine islamistische Gruppe, die Allied Democratic Forces (ADF). Spielt die ADF noch immer eine Rolle?

Ja. Die ADF ist immer noch aktiv. Ich habe dazu allerdings nur Informationen aus zweiter Hand, in Süd-Kivu, wo wir mit der Organisation UGEAFI friedensfördernd tätig sind, ist die ADF nicht präsent. Im Norden von Nord-Kivu aber nach wie vor und es wird mir als relevantes Problem von dort lebenden vertrauenswürdigen Bekannten geschildert. Die ADF hat sich dort in schwer zugänglichen Quartieren verschanzt und startet von dort aus immer wieder Angriffe, was zu neuen Fluchtbewegungen in der Region dort geführt hat.

Generell heißt es, dass die Nachbarstaaten den Konflikt anheizen. Ruanda, aber auch Uganda und Burundi. Teilen Sie diese Auffassung?

Ja. Das ist unbestritten, allerdings lässt sich das Ausmaß schwer einschätzen. Alle wissen um die Verbindung der Regierung von Ruanda zur Rebellenmiliz M23 zum Beispiel. Wie sehr, dass die Lage zusätzlich befeuert, ist spekulativ. Wesentlich wichtiger ist aus meiner Sicht, dass alle in den Konflikt involvierten Länder auch benötigt werden, um eine Verhandlungslösung zu erreichen. Solange der Nachbar krank ist, kann die gesamte Region nicht gesund werden. Ein Friedensprozess mit allen Nachbarländern der DR Kongo ist unverzichtbar.

Sie arbeiten mit der kongolesischen Organisation UGEAFI in Süd-Kivu und wirken den gewaltsamen Konflikten mit friedensfördernden Maßnahmen im Bereich der Ernährungssicherheit entgegen. Mit welchem Erfolg auf regionaler Ebene?

Vorausschicken muss ich einen Dank an unseren deutschen Partner SODI, der Kongo nicht wie andere Organisationen wegen der schwierigen Lage den Rücken gekehrt hat, sondern bleibt. Im Süd-Kivu gibt es auch Konflikte, wenn auch nicht so extrem wie in Nord-Kivu. Wir haben Strategien gefunden, wie wir für den Frieden arbeiten können. Beispielsweise haben wir Pachtverträge zwischen lokaler Bevölkerung und zugezogenen Familien vermittelt, damit sie Subistenzwirtschaft betreiben können. Die Aufnahmegemeinden konnten so Pachtgebühren für ungenutztes Land einnehmen und die Geflüchteten Nahrungsmittel anbauen. 1500 Familien können sich inzwischen selbst ernähren. Davor waren sie von der UN-Flüchtlingshilfe des UNHCR abhängig, die sechs Euro pro Kopf im Monat zur Verfügung stellt. 36 Euro für eine sechsköpfige Familie haben aber bei Weitem nicht ausgereicht. UGEAFI übernimmt am Anfang die Pachtgebühren, solange die Überschüsse nicht für die Pacht reichen, verteilt auch Saatgut, gibt Schulungen in Anbaumethoden und vergibt Mikrokredite für den Aufbau von Kleingewerbe. Auch die Wasserversorgung ist wichtig. Für die Regionen Mugote und Buhumba wurden insgesamt 46 Wasserentnahmestellen sowie ein Sammelbecken je Gemeinde installiert. Das entlastet vor allem Frauen und Kinder, die traditionell für die Wasserversorgung zuständig sind. Viele Kinder haben dadurch wieder genug Zeit, um zur Schule zu gehen. All das trägt zu einem friedlichen Miteinander und einer auskömmlichen Zukunft bei. Eine Grundlage für den Frieden ist ein gefüllter Magen. Dann folgt der Dialog, um Konflikten zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen entgegenzuwirken. Inzwischen setzen sich Dutzende kleinbäuerliche Selbstorganisationen (AVECs) und eine Handvoll Friedenskomitees im Süd-Kivu für den Frieden und die Verbesserung des Zusammenhalts ein.

Können diese Erfolge auf lokaler Ebene ein Vorbild zur Lösung des Gesamtkonfliktes sein?

Sie können eine grobe Richtschnur liefern. Ohne Brot gibt es keinen Frieden, das gilt sowohl lokal als auch auf staatlicher Ebene. Die Voraussetzungen für eine auskömmliche Zukunft können nur gemeinsam geschaffen werden, wie schon gesagt, alle Konfliktparteien, alle Länder müssen in einen Friedensdialog einbezogen werden. Dabei müssen auch bisherige Tabuthemen wie die ethnischen Zugehörigkeiten auf den Tisch kommen, statt wie in der Vergangenheit beim Abkommen von Addis Abeba und dem Nairobi-Prozess unter den Tisch gekehrt werden. Die M23 versteht sich beispielsweise als Schutzmacht der Minderheit der Banyamulenge-Tutsi. Die Rechte aller Gruppen im Kongo müssen gewahrt werden mit friedlichen Mitteln. Es ist auch wichtig, dass die internationale Gemeinschaft weiter auf die DR Kongo schaut und auch finanzielle Mittel für einen Friedensprozess zur Verfügung stellt. Die Zeichen dafür stehen im Moment nicht gut. Die Monusco ist weg, in Deutschland wird der Haushalt für Entwicklungszusammenarbeit massiv zusammengekürzt. Aber der Waffenstillstand ist ein Hoffnungsschimmer.

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