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So könnte sich Arbeit mehr lohnen
Studie: Mehr Beschäftigung in der Grundsicherung durch Umschichtung der Leistungen möglich
Die Fachkräftemangel- und Bürgergelddebatte ist im Sommerloch am Kochen. Die Ampel fordert mehr Sanktionen im Bürgergeld, die CDU will es sogenannten »Arbeitsunwilligen« streichen, während Wohlfahrtsverbände Beitragserhöhungen auf 800 Euro fordern. Inmitten der Debatte liefert das Wirtschaftsforschungsinstitut ifo Arbeitsanreize der anderen Art. Maximilian Blömer, Emanuel Hansen und Andreas Peichl kalkulieren im Auftrag des grünen Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, wie die Grundsicherung überarbeitet werden müsste, damit sich Arbeit für Bürgergeldbezieher*innen mehr lohnen würde. Es geht ihnen darum, Sozialleistungen besser aufeinander abzustimmen.
Dafür untersuchen sie die Wechselwirkung von Bürgergeld, Kindergrundsicherung und Wohngeld und plädieren im Ergebnis für zwei mögliche Reformen. Im Zuge der größeren Reform würde das Wohngeld in die Kosten der Unterkunft im Bürgergeld integriert werden und das Bürgergeld großzügiger ausgestaltet werden. Konkret schlagen die Autoren vor, die Anrechnungsbeträge für Erwerbseinkommen im Bürgergeld auf 65 Prozent bei allen Einkommensniveaus und Haushaltstypen zu senken. Bisher wurde es bei Verdiensten ab 520 Euro zu 70 bis 100 Prozent auf die Sozialleistung angerechnet.
Haushaltsbudget entlastet
Dadurch werde auch das Budget leicht entlastet, da etwa 1,6 Millionen Haushalte mehr Bürgergeld bekommen würden, zugleich aber 1,8 Millionen Haushalte weniger Wohngeld. Jene 0,2 Millionen Haushalte, die nicht mehr Bürgergeld erhielten, würden ein höheres Bruttoeinkommen verdienen und seien somit nicht mehr auf Transfers angewiesen, ergänzt Andreas Peichl, Leiter des ifo-Zentrums für Makroökonomik, gegenüber »nd«. Durch diese Reform würden dem Arbeitsmarkt, den Berechnungen zufolge, 144 000 Vollzeitarbeitskräfte mehr zur Verfügung stehen. Warum?
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In der derzeitigen Ausgestaltung biete das Wohngeld höhere Erwerbsanreize als das Bürgergeld, gleichzeitig schwanken die Grenzbelastungen des Wohngelds aber stark. Grenzbelastungen geben Auskunft darüber, welcher Anteil des Wohngelds versteuert werden muss. Beim jetzigen Wohngeld ist die Steuerbelastung divers und schwer einzuschätzen, was die Erwerbsanreize senkt. Außerdem steigen die Grenzbelastungen mit dem Wohngeld mit zunehmendem Einkommen, fallen dann aber abrupt, sobald der Anspruch auf Wohngeld entzogen wird. »Aus finanzwissenschaftlicher Sicht wäre hier ein konstanter oder allmählich abfallender Verlauf günstiger«, schreiben die Autoren. Außerdem sinken Wohngeld und Kindergrundsicherung teilweise simultan, was zu Versteuerungen von 90 bis über 100 Prozent führt und dementsprechend wenig Arbeitsanreize gerade für Haushalte mit Kindern biete.
Ein zweiter, weniger umfangreicher Reformvorschlag zielt auf letzteres Problem ab. Um das zu beheben, könnte entweder die Anrechnung des Elterneinkommens beim Kinderzusatzbetrag gesenkt werden oder die Formel zur Berechnung des Wohngeldanspruchs angepasst werden. Die erste Option könnte 25 000 weitere Vollzeitarbeitskräfte ermöglichen, schlussfolgern die Autoren. Dies hätte, so schreiben sie, darüber hinaus nur geringe Auswirkungen auf den Haushalt.
Vorerst alles Spekulation
Die Berechnungen des ifo-Instituts sind vorerst spekulativ, unter anderem, weil die Grundpfeiler der Kindergrundsicherung noch nicht feststehen. Die Studienautoren simulieren hierfür einen Rechtsstand nach Einführung der Kindergrundsicherung und orientieren sich an einer Vorgängerstudie für das Bundesministerium für Soziales von 2023. Auch wenn das Bürgergeld darüber hinaus erst seit Januar 2023 in Kraft ist, macht es laut Studienautor Peichl Sinn, bereits über Reformen nachzudenken, »weil das aktuelle System erhebliche Fehlanreize setzt und keine der bisherigen Reformen diese behebt«.
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