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Hereinspaziert, in die Welt eines Genies
Museyroom (Teil 17): Das Rossini-Nationalmuseum in Pesaro
In Pesaro, in diesem Jahr Kulturhauptstadt Italiens, wurde 1792 Gioachino Rossini geboren, der als Komponist weltberühmt werden sollte. Sein Vater war Hornist, die Mutter Sängerin. Sie wehrte sich entschlossen, als ihr Sohn mit seiner feinen Singstimme zum Sängerkastraten gemacht werden sollte. Dafür war ihr Rossini, der fortan Geige und Cembalo lernte, zeitlebens dankbar.
1802 zog die Familie nach Lugo, und Gioachino nahm Unterricht bei dem Komponisten und Musiklehrer Giuseppe Malerbi, der ihn nachhaltig beeinflusste. In Malerbis Bibliothek lernte er die Werke von Haydn und Mozart kennen. »Il Tedeschino« (Der kleine Deutsche) wurde Rossini später am Liceo Musicale in Bologna genannt, weil er eine Vorliebe für die Werke Mozarts und noch mehr Haydns zeigte. Am Lyzeum, das er allerdings ohne Abschluss verließ, erhielt Rossini Unterricht in Komposition sowie Violoncello, Horn, Klavier und Gesang.
Seine erste Oper »Demetrio e Polibio« entstand vor 1809, wurde aber erst 1812 uraufgeführt. Ihr folgten bis 1829 insgesamt beachtliche 38 weitere Stücke, wie etwa »L’italiana in Algeri«, »Il barbiere di Siviglia«, »Ermione«, »Semiramide« oder »Guillaume Tell«. Bei deren Komposition bediente sich Rossini nach eigener Aussage wiederholt bereits zuvor verarbeiteter Motive, Themen sowie gar ganzer Ouvertüren.
Im Museum liegt die Kraft. Glauben Sie nicht? Gehen Sie doch mal rein! Jeden Monat stellen wir eins vor, in Text und Bild. So wie James Joyce es in »Finnegans Wake« geschrieben hat: »This is the way to the museyroom.«
Der Philosoph Claus-Artur Scheier schreibt über Rossinis Werke: »Für Rossinis Musik ist nicht mehr zuzugestehen, als dass sie das Dionysische, auch noch in ihren frenetischsten Crescendi, stets ans Apollinische zurückzubinden weiß ...« Das Orchester, »wie sinfonisch oder deutsch auch immer«, halte sich stets an den Primat des Gesangs, sei »nie im modernen Sinn expressiv«. Die Musik bleibe vielmehr stets verhalten und ruhe »bei aller Mannigfaltigkeit der Bewegung architektonisch in sich, gleich einem Fresco Tiepolos oder einer Vedute Canalettos. In ihr singt sich, wie Nietzsche es gehört hat, das 18. Jahrhundert aus.«
In Pesaro gibt es neben dem Teatro Rossini noch zwei weitere Stätten, an denen der Komponist gewürdigt wird – sein Geburtshaus, die Casa Rossini, sowie das 2019 eröffnete Museo Nazionale Rossini. Im Geburtshaus sind neben Porträts und Karikaturen ein Fortepiano des Maestros zu sehen sowie sein Testament in einem Supplement der »Gazetta Pesarese« vom 5. Juli 1858.
Im Museo Nazionale wird Rossini als »Genie« gefeiert: »Entra nel mondo del Genio!« (Hereinspaziert in die Welt des Genies!) Walter Benjamin wusste: »Im Genie spricht Gott.« Ästhetisch ansprechend werden in zehn Räumen chronologisch Leben und Wirken Rossinis bis zu seinem Tod 1868 anhand von Dokumenten, Gemälden, Libretti, Partituren und Kostümen veranschaulicht. Auf Touchscreens können die gewonnenen Erkenntnisse vertieft werden. In einem weiteren Raum befindet sich eine Phonothek mit Werken Rossinis, und in einem als »Intermezzo« bezeichneten Saal sind Auszüge aus Opernaufführungen zu sehen. Schließlich werden noch Modelle von Bühnenbildern ausgewählter Rossini-Opern gezeigt, die allerdings recht verstaubt wirken.
Die Museumspräsentation suggeriert ein lebenslanges musikalisches Engagement Rossinis. Er war jedoch bereits ab seinem 37. Lebensjahr Pensionär und genoss fortan nur noch seinen Ruhm. Zu seinem Spätwerk gehören die »Péchés de vieillesse« (Alterssünden). Wer früh mit Komponieren angefangen habe, dürfe auch früh aufhören, äußerte der vielseitige Meister einmal selbst. Unter dem Motto »Der Appetit ist der Taktstock, der das große Orchester unserer Leidenschaften dirigiert« inszenierte er sich als Maître de Cuisine, der für seine Gäste legendäre Bankette zubereitete.
In seinen letzten Jahren veranstaltete Rossini in seinem Haus bei Paris regelmäßig sogenannte Samedis Musicaux. An diesen musikalischen Samstagen wurde gespeist, getrunken, gesungen und musiziert. Ein Zeitgenosse berichtet über Rossinis kulinarische Passion: »Mit seiner feinen, fleischigen Hand ergriff er einen Spritzbeutel mit Silbertülle, füllte ihn mit Trüffelfarce und spritzte diese unvergleichliche Sauce sorgfältig in jede Teigrolle.«
In Pesaro, wo seit 1980 jeweils im Sommer das Rossini-Opera-Festival stattfindet, bieten die Pizzerien zu Ehren des berühmten Sprösslings eine »Pizza Rossini« an, eine Pizza Margherita, belegt mit gekochten Eiern und verziert mit Mayonnaise.
Rossini verkörperte im 19. Jahrhundert nicht nur eine Referenz in der italienischen, sondern auch in der deutschen Musik- und Geisteswelt. Beethoven lobte den »Barbiere« und riet Rossini während einer Begegnung 1822, er möge bei der Opera buffa bleiben und sich nicht an etwas Ernsthaftes wagen. Carl Maria von Weber hingegen wollte die Einflüsse »des aus dem Süden herüberwehenden Rossinischen Sirokkowinds« bekämpfen und krittelte: »Italien ist in des Feindes Krallen,/ weil der Komponist liegt im Bequemen,/ höhnt die Natur, lässt sich wenig grämen,/ kümmert sich mehr um den Knall als den Schall,/ pflegt lieber die Narrheit als die Wahrheit.«
Goethe wiederum pries das Genie Rossini. Laut Alexander Kluge soll der Dichterfürst von Weimar geplant haben, ein Drama zu verfassen, in dem Cäsars Attentäter abgewehrt werden. Zum Stück über das misslungene Attentat sollte Rossini die Musik liefern.
Auch Heinrich Heine war begeistert und kommentierte 1837, nicht ohne einen Seitenhieb gegen den Geist seiner Zeit: »Die Restauration war Rossinis Triumphzeit, und sogar die Sterne des Himmels, die damals Feierabend hatten und sich nicht mehr um das Schicksal der Völker bekümmerten, lauschten ihm mit Entzücken.« Dazu hieß es 1861 im »Neuen Universal-Lexikon der Tonkunst«: »Damals, als sich Rossinis Herrschaft auf der Bühne consolidirte (1815), fing die Restaurationszeit an, und es heißt diese Epoche der Mattherzigkeit, Abspannung und Verdumpfung ganz und gar zu verkennen, will man von ihr hohe und strengernste Kunstgebilde verlangen.«
Daran knüpft der slowenische Philosoph Slavoj Žižek an, der hier etwas ausführlicher widergegeben sei: »Falls es jemals einen ›reaktionären‹ Komponisten gegeben hat, so war es Gioachino Rossini. Der Vergleich zwischen Mozarts ›Figaro‹ und Rossinis ›Barbiere‹ macht dies unmittelbar deutlich. Bei Mozart überlebt der politische Freiheitsgedanke den Druck der Zensur. (…) Rossini hingegen hat das Theaterstück aus dem Geist der französischen Revolution vollständig entpolitisiert und eine reine Opera buffa daraus gemacht. Kein Wunder, dass Rossinis produktivste Zeit in die Jahre 1815 bis 1830 fiel: Es sind die Jahre der Restauration, und seine komischen Opern versuchen die Unschuld der vorrevolutionären Welt wieder zum Leben zu erwecken. Dabei hat Rossini die neue Welt weder gehasst noch bekämpft, er komponierte lediglich so, als hätte es die Revolution nicht gegeben.«
Zugleich räumt Žižek ein: »Obwohl bei ihm das Politische ausgeblendet wird, gibt es ein Element in seiner Musik, das den revolutionären Geist nicht nur bewahrt, sondern sogar zum Ausbruch bringt.« Rhetorisch fragt der Philosoph sodann: »Warum also nicht die Rossinische Lebensfreude genießen, die im Pathos der Spaghetti-Western bis ins 20. Jahrhundert überdauert hat?«
Dieser gnädigen Empfehlung sei hier eine weitere hinzugefügt: So Sie sich gerade im Urlaub in Italien befinden, werte Leser und Leserinnen, schauen Sie doch mal bei Rossini in Pesaro an der Adriaküste vorbei.
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