Das Maiskorn auf Weltreise

Die Körnerfrucht, richtig aufbereitet, steht vor der Neuentdeckung als gesundes Lebensmittel

  • Anke Nussbücker
  • Lesedauer: 5 Min.
Für Kinder in der Regel ein Spaß: frisch gegrillter Zuckermais
Für Kinder in der Regel ein Spaß: frisch gegrillter Zuckermais

Rund 1,6 Milliarden Tonnen Körnermais werden weltweit in jedem Jahr geerntet. In den reichen Industrieländern werden mehr als die Hälfte davon genutzt, um Schweine und Geflügel zu mästen. Konventionell gefütterte Kühe erhalten vor allem in den Wintermonaten ein Mischfutter mit Mais-Silage, bei dem die ganze Pflanze mit den kräftigen Hüllblättern gehäckselt und vergoren wird. Rund 20 Prozent der Maisernte wird zur Gewinnung von elektrischem Strom verarbeitet.

Jedoch knapp eine Milliarde Menschen, vor allem in Lateinamerika und Afrika, müssen ihren Nahrungsbedarf zu 40 bis 60 Prozent mit Mais bestreiten. Wichtig dabei ist, dass Mais-Erzeugnisse aus ernährungsphysiologischer Sicht unvollkommen sind. Das im Maiskorn vorhandene Protein ist arm an lebensnotwendigen Aminosäuren wie Tryptophan, das eine Vorstufe für den Nervenbotenstoff Serotonin darstellt. Auch das Vitamin B3 (Niacin) kann bei einer Nahrung, die hauptsächlich aus Mais besteht, oft nicht ausreichend zugeführt werden. In einigen afrikanischen Ländern leiden noch heute die ärmsten Menschen unter schweren Vitamin-B3-Mangelerscheinungen, welche mit Durchfall und entzündlichen Hautveränderungen beginnen und bei fortwährend überwiegender Ernährung mit Mais zu Depressionen, Apathie oder gar zu einer Demenz führen.

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In den reichen europäischen Industrieländern stellen das unzureichend vorhandene Tryptophan und Vitamin B3 in Mais-Erzeugnissen zumeist keinen Grund zur Sorge dar, jedoch bei ungenügend informierten Veganern oder finanziell schlecht gestellten Menschen kann es auch hier zur Mangelversorgung kommen.

Die Ureinwohner Mexikos, Kolumbiens oder Brasiliens blieben bis ins 21. Jahrhundert von dieser, Pellagra genannten Vitaminmangelkrankheit verschont. Die traditionelle Verarbeitung der Maiskörner mit Kalk oder Pflanzenasche, wie sie die Indios in Mexiko seit mindestens 3500 Jahren praktizieren, macht die enthaltenen Aminosäuren und das Vitamin B3 viel besser verfügbar.

Dieses besondere Kochverfahren, Nixtamalisation genannt, bei dem die Maiskörner in einer alkalischen Lösung aus Holzasche und Wasser eine Stunde gekocht, über Nacht abgekühlt und am nächsten Tag gespült werden, bevor man sie in der Sonne trocknet und vermahlt, hatten die spanischen Entdecker nicht mit nach Europa, Afrika und Asien übermittelt. Besonders dort, wo es an (weiteren) Proteinquellen mangelt(e), waren und sind die Auswirkungen verheerend.

Den afrikanischen Ureinwohnern wurde auch die Abwertung einheimischer Erbsen- und Bohnensorten durch die Kolonialherren zum Verhängnis, wie der Ethnobotaniker Patrick Maundu kürzlich in der »Zeit« erläuterte. Bewusst abschätzige Namensgebungen wie Kuherbse, Taubenerbse oder Peanuts sowie der Druck auf afrikanische Bauern, weniger Feldfrüchte für die Selbstversorgung, dafür mehr Baumwolle für den Export anzupflanzen, brachten große Teile der Bevölkerung in eine Abhängigkeit und Mangelversorgung mit vollwertigen Proteinquellen, die bis heute anhält. Dabei haben gerade Erdnüsse (Peanuts) einen überdurchschnittlich hohen Gehalt an Niacin (Vitamin B3).

Selbst auf die lokalen Sorten, die seit dem 16. Jahrhundert von den Anden über Europa nach Indien und schließlich nach Ostafrika gelangten, wird immer noch abschätzig geschaut, weil etwa die vielfarbigen Maissorten in Lila, Blau oder Schwarz härtere Körner ausbilden und sich daher nicht so wie die hochgezüchteten Hybridsorten verarbeiten lassen.

Die lila und blau gefärbten Maissorten garantieren ein vielfältiges genetisches Erbe für die Zukunft, zudem enthalten sie antioxidativ wirksame Anthocyane. Die orange-gelben Sorten verdanken ihre Färbung den beiden Carotinoiden Zeaxanthin und Lutein, die für eine gesunde Netzhaut der Augen gebraucht werden.

Die ideale Kombination von Maistortilla mit einer scharf gewürzten Füllung dunkelroter Kidneybohnen ließen sich die Mexikaner nicht nehmen. Aber auch für die lang gepflegte Anbaukultur der Indios in Mexiko hatten die Europäer nur Verachtung übrig. Sie waren der Ansicht, die Indigenen verstünden nichts von Ackerbau, weil sie Mais und Bohnen in einer Mischkultur zusammen mit Kürbis anpflanzen.

Die kräftige Maispflanze dient der Bohne nicht nur als ideale Rankhilfe. Die Knöllchenbakterien an der Wurzel der Bohnenpflanze binden Stickstoff aus der Luft und wandeln ihn für die Maispflanze in eine gut verfügbare Stickstoffverbindung um. Eine Kürbispflanze schützt mit ihren am Boden kriechenden Blättern diesen vor Sonnenhitze und Austrocknung. Das erläutert die Biologie-Professorin Robin Wall Kimmerers, eine Wissenschaftlerin mit indigenen Wurzeln, in ihrem viel beachteten Buch »Geflochtenes Süßgras«. Mit industrieller Landwirtschaft und deren Erntemaschinen ist diese Art der Bodennutzung selbstverständlich nicht vereinbar. Einen Kompromiss stellt die ökologische Bewirtschaftung von Ackerflächen mit jährlich wechselnder Fruchtfolge zwischen Hülsenfrüchten und den Boden auslaugenden Pflanzen dar.

Mais ist ein glutenfreies Getreide. Für Menschen mit der Darmerkrankung Zöliakie stellen Mehl und Polenta-Grieß aus Mais gute glutenfreie Nahrungsmittel dar, solange sie nicht als alleinige Nahrung verzehrt, sondern über den Tag verteilt mit Gemüse und verschiedenen Proteinquellen ergänzt werden.

Die bei Heranwachsenden beliebten Cornflakes haben leider einen sehr hohen glykämischen Index, als Maß dafür, wie schnell der Blutzuckerspiegel nach dem Verzehr ansteigt. Ernährungswissenschaftler Nicolai Worm warnt vor übermäßigem Verzehr von Mais-Erzeugnissen, welcher zu einer Insulinresistenz und einer nichtalkoholischen Fettleber beim Menschen beitrüge. Wie bei den meisten Nahrungsmitteln kommt es auf die Menge in Relation zu körperlicher Bewegung sowie auf die Kombination mit gesünderen Frühstückszutaten an.

Für Schulkinder bietet es sich an, das Verfahren der Nixtamalisation einmal als Ferienprojekt auszuprobieren. Dafür sind 250 Gramm Holzasche auf ein Kilogramm Mais, zwei Liter Wasser, eine Hafer- oder Kaffeemühle sowie drei Tage, einschließlich Wartezeit erforderlich. Die traditionelle Zubereitung als gefüllte Tortilla beziehungsweise wie pikante Pfannkuchen ausgebackene Maisfladen ergibt als zusammengesetzte Mahlzeit ein gutes Nährstoffprofil.

Im Sommer ist frisch gegrillter Zuckermais beliebt. Er zählt zum Gemüse, bei dem der enthaltene Zucker noch nicht in Stärke umgewandelt wurde. So kann er direkt vom Kolben geknabbert werden und enthält sogar etwas mehr Protein und Fett als der lange lagerfähige, voll ausgereifte Stärkemais.

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