Aktivismus in Katalonien: »Wir machen weiter«

Katalanische Aktivisten sind aus dem Schweizer Exil zurückgekehrt

  • Ralf Streck, Barcelona
  • Lesedauer: 7 Min.
Die katalanischen Separatisten werden nach ihrer Rückkehr aus der Schweiz in Cantallops empfangen. Zu dieser Gruppe gehören auch Jesus Rodríguez (zweiter von links), Oleguer Serra (Mitte) und Marta Rovira (Dritte von rechts).
Die katalanischen Separatisten werden nach ihrer Rückkehr aus der Schweiz in Cantallops empfangen. Zu dieser Gruppe gehören auch Jesus Rodríguez (zweiter von links), Oleguer Serra (Mitte) und Marta Rovira (Dritte von rechts).

»Es ist großartig, so zurückzukehren«, erklärt Oleguer Serra an diesem heißen Sommertag vor dem Sitz der großen Kulturorganisation »Òmnium Cultural« in Barcelona. Serra ist Vizepräsident von Òmnium und konnte seine Arbeit monatelang nur aus der Ferne leisten, weil auch er ein terroristischer Rädelsführer gewesen sein soll. Doch nun konnte er mit drei weiteren Männern und einer Frau in die katalanische Metropole zurückkehren.

Bis vor kurzem wurden sie von der spanischen Justiz noch mit internationalen Haftbefehlen gesucht. Um einer »politischen Verfolgung« zu entgehen, hatten sie sich in die Schweiz begeben. Dass die vermeintlichen Anführer der Initiative Tsunami Democràtic (Demokratischer Tsunami) in einem bewegenden und kurzfristig anberaumten Akt von Hunderten Menschen empfangen wurden, sieht der Òmnium-Vize als Zeichen für die Stärke der Unabhängigkeitsbewegung.

Dutzende Kameras richten sich auf Serra und die übrigen Rückkehrer. Auf einer Bühne strecken sie ihre Fäuste in den Himmel. Noch wenige Tage zuvor hatte niemand mit einer baldigen Rückkehr gerechnet. Während herbeigeeilte Frauen und Männer Fahnen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung schwenken, erklärt Serra, er sei verfolgt worden, um »die Bewegung und Òmnium zu schwächen«. Aber »alle sollten sich klarmachen, dass ich mich weiter unermüdlich für die Verteidigung unserer Sprache und Kultur und für ein freies Land einsetzen werde«.

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Ihren Kampf für die Unabhängigkeit wollen die Rückkehrer fortsetzen, das kündigen sie alle in ihren Reden an, auch der Investigativ-Journalist Jesús Rodríguez. Die Freude, nun wieder in seinen geliebten Stadtteil Sants zurückkehren zu können, ist ihm anzusehen. Die Rede des Mitarbeiters der linken Wochenzeitung »La Directa« wird immer wieder vom Applaus unterbrochen. Er erhält Beifall, als er Spanien eine »Justiz-Diktatur« nennt, die als »Demokratie verkleidet« sei. Vielen Menschen sei das in Europa nicht klar, habe er in Gesprächen in der Schweiz unter anderem mit internationalen Menschenrechtsorganisationen festgestellt. Die »politischen Brigaden und Geheimdienste, die gegen uns vorgegangen sind, brauchen sich keine Hoffnungen zu machen, dass wir unsere Arbeit einstellen werden«, verspricht er und erhält dafür frenetischen Beifall. Seine letzten Worte gehen darin fast unter. »Wir machen weiter und werden immer weitermachen«, erklärt der Journalist mit erhobener Faust.

Als vor acht Monaten klar war, dass auch ihm Terrorismus vorgeworfen wird, brachte Rodríguez sich in Sicherheit und ging in die Schweiz. Jetzt sei er froh, wieder »ohne Maulkorb« arbeiten zu können, erklärt er mir nach Beendigung des offiziellen Empfangs. »Diese acht Monate haben mich für das gesamte Leben gezeichnet.« Sie seien aber keineswegs nutzlos gewesen. Er habe in der Zeit internationale Netzwerke aufbauen und erweitern können. Beeindruckt sei er jetzt auch von der Wertschätzung und der Solidarität, »niemals alleingelassen worden zu sein«.

Immer wieder wird das Gespräch unterbrochen, wenn er Freunde umarmt, Hände von Bekannten schüttelt oder Küsschen verteilt. Der Empfang in Barcelona war schon der dritte an diesem Tag. Der erste hatte nach einer langen Autofahrt durch Frankreich am frühen Morgen in Salses begonnen, als die Exilanten in Nordkatalonien unweit von Perpignan in der kleinen Gemeinde eintrafen, die französisch Salses-le-Château heißt. Schon hier wurden sie spontan von Dutzenden begrüßt. Einen größeren Empfang gab es danach in Cantallops, kurz nachdem sie die spanische Grenze überschritten hatten.

Die Generalsekretärin der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC), Marta Rovira, verbrachte fünf Jahre im Exil und kehrte nun zurück. Sie sollte in Spanien zunächst wie zahlreiche Mitstreiter*innen wegen Rebellion angeklagt werden. Wer nicht flüchtete, wurde in Spanien für einen angeblichen Aufruhr zu Haftstrafen von bis zu 13 Jahren verurteilt. Den konnten aber Gerichte in Deutschland, der Schweiz, Belgien oder Großbritannien nicht erkennen, weshalb Auslieferungen verweigert wurden.

Eine Rückkehr nach Katalonien war jetzt möglich, da der berühmt-berüchtigte Richter am Obersten Gerichtshof Manuel García Castellón seine Ermittlungen überraschend einstellen musste. Behauptet wird, ein »Formfehler« sei dafür verantwortlich gewesen. Castellón hatte die Ermittlungen erst nach der vorgeschriebenen Frist verlängert. Deshalb hat der Nationale Gerichtshof sie weitgehend annulliert, und der Richter steht jetzt mit leeren Händen da. Castellón hatte lange versucht, die Massenproteste im Herbst 2019 als Terrorismus zu brandmarken, dabei ist in Katalonien bekanntlich kein Schuss gefallen und keine Bombe explodiert. Aus der Initiative Tsunami Democràtic, mit der auch der Fußballtrainer Pep Guardiola sympathisiert hat, wollte der Richter eine Terrororganisation machen.

Tsunami Democràtic hatte zu den Protesten nach den harten Urteilen gegen Anführer der Unabhängigkeitsbewegung wegen des Referendums 2017 aufgerufen. Blockiert wurden dabei der Flughafen in Barcelona, Autobahnen und Bahnhöfe. Es kam zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, die mit Gummigeschossen, Tränengas und Knüppeln vorging. Dass Protest aber kein Terrorismus ist, hatte die Bewegung stets betont. Deshalb hielten viele beim Empfang der vier Rückkehrer trotzig Spruchbänder in die Kameras: »Wir werden immer dann protestieren, wenn es nötig ist.«

Die Behauptung, Castellón habe einen juristischen »Fehler« begangen, wird von vielen bezweifelt. Sie vermuten vielmehr ein Kalkül hinter seinem Handeln. Weil es fast unmöglich war, mit seinem Konstrukt durchzukommen, hat er sich eine Hintertür offengelassen, um die Ermittlungen fallenlassen zu können. Ohnehin hatte die Verteidigung schon vor Jahren auf den Formfehler hingewiesen.

Ausschlaggebend für die Einstellung des Verfahrens dürfte auch eine Entscheidung aus der Schweiz sein. Dort hatte das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) ein Rechtshilfeersuchen im Fall Rovira abgelehnt. Spanien konnte die Zweifel nicht ausräumen, dass der Terrorismus-Vorwurf politisch motiviert war. Terrorismus konnte man auch in Bern nicht erkennen, Tsunami habe mit »nicht gewalttätigen Mitteln um politische Macht« gekämpft, erklärte das EJPD seine Entscheidung.

Neben Rodríguez können jetzt auch weitere Journalisten aufatmen. 26 Kolleginnen und Kollegen wurden in Castellóns Verfahren benannt, die aber noch nicht angeklagt worden waren. Rodríguez geht davon aus, dass er und die Zeitung »La Directa« ins Fadenkreuz der spanischen Sicherheitskräfte geraten sind, da ihr Investigationsteam bei der Aufdeckung von illegalen Praktiken der Nationalpolizei und der Guardia Civil eine wichtige Rolle gespielt hatte. »La Directa« hatte Spitzel enttarnt, die »illegal und ohne juristische Kontrolle in politische und soziale Organisationen eingeschleust worden waren«, erklärt Rodríguez.

Bemerkenswert ist, dass er, Serra, und der Schriftsteller Josep Campmajó erst spät ins Exil gegangen sind – als längst über das Amnestiegesetz debattiert wurde. Sie trauten offenbar der politisierten spanischen Justiz nicht. Der Journalist verweist darauf, dass aus dem Kontrollrat für Justizgewalt Rundschreiben verschickt worden seien, in denen erklärt wurde, wie das Amnestiegesetz umschifft werden kann. »Man kann das auch als eine Anleitung zur Rechtsbeugung bezeichnen«, meint Rodríguez. »Mein Vertrauen in diese Justiz ist deshalb sehr gering.« Er verweist darauf, dass in der Debatte um die Amnestie die Anschuldigungen der Richter immer wieder erneuert und angepasst worden waren, um eine Anwendung zu unterlaufen.

Der Journalist hält zwar ihre Rückkehr für einen Erfolg. Den hat die gebeutelte und gespaltene Bewegung auch gebraucht. Doch für ihn ist das nur ein Teilsieg. Er erinnert daran, dass in anderen Fällen, wie dem des Exilpräsidenten Carles Puigdemont, die Verfahren nicht eingestellt worden sind, und ihnen auch die Anwendung der Amnestie verweigert wird.

Bevor er mit Freunden zum Mittagessen geht, fügt Rodriguez noch einen Satz an, der wie eine düstere Prophezeiung klingt: »Die Repression ist nicht beendet und wird auch nicht enden.« Doch heute ist nicht der Tag für trübe Gedanken. Heute feiert er seine Rückkehr, die hart erkämpft werden musste. Der Journalist hat noch einen langen Tag vor sich. Denn der vierte Akt – das Begrüßungsfest am Abend im Stadtteil Sants – steht noch aus. Das wird in der Kulturkooperative »La Comunal« gefeiert, dessen Räumlichkeiten sich als viel zu klein erweisen sollen, um den Ansturm zu bewältigen.

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