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Ein Utopia für Berliner

In München ist alles viel besser, sauberer, legerer. Wie gemacht dafür, um alle Berliner*innen dahin umzusiedeln

Ja mei, kitschiger geht’s nimma. Aber das ist München (vor dem großen Bewohner*innenaustausch).
Ja mei, kitschiger geht’s nimma. Aber das ist München (vor dem großen Bewohner*innenaustausch).

Ich bin mir nicht sicher, ob, um einer besseren Zukunft willen, Berlin sich nicht einmal ein Beispiel an der Münchner Lebensart nehmen sollte.

Vor kurzem hielt ich mich in der bayrischen Hauptstadt auf, wobei ich festgestellt habe: Auf Menschen, die einen Großteil ihres bisherigen Lebens auf der Müllkippe Berlin zugebracht haben, wirkt die Münchner Innenstadt wie ein bizarres Wunderland. Ist man als Durchschnittsberliner dort für einige Tage zu Besuch, kommt man sich vor, als sei man aus den Favelas plötzlich in eine riesenhafte Gated Community geraten, und staunt Bauklötze über Dinge, die in den Ghettos und Slums der deutschen Hauptstadt, in welchen das Dasein zu fristen der Großteil der Berlinerinnen und Berliner verurteilt ist, unvorstellbar sind: Grünstreifen am Straßenrand, in denen kein Hundehaufen und keine Kunststoffverpackungsreste zu sehen sind! Blitzsaubere, reichhaltig befüllte offene Bücherschränke, die nicht stündlich von rattenhaften Ebay-Verkäufern geplündert werden! Restaurantstühle im sogenannten Außenbereich, die nachts und an Ruhetagen nicht mit schweren Ketten an den Tischen festgezurrt sind! Ein malerisches Flüsschen, dass durch die Innenstadt fließt und in das man sich im Hochsommer legen kann wie in einen Whirlpool, ohne befürchten zu müssen, dass verwesende Haustierleichen oder Industrieabfälle an einem vorbeitreiben, und ohne Angst haben zu müssen, sich schwere Verätzungen oder farbenfrohe Geschwüre zuzuziehen.

Die gute Kolumne

Thomas Blum ist grundsätzlich nicht einverstanden mit der herrschenden sogenannten Realität. Vorerst wird er sie nicht ändern können, aber er kann sie zurechtweisen, sie ermahnen oder ihr, wenn es nötig wird, auch mal eins überziehen. Damit das Schlechte den Rückzug antritt. Wir sind mit seinem Kampf gegen die Realität solidarisch. Daher erscheint fortan montags an dieser Stelle »Die gute Kolumne«. Nur die beste Qualität für die besten Leser*innen! Die gesammelten Texte sind zu finden unter: dasnd.de/diegute

Man begegnet wildfremden Menschen, die mit einem »Servus« freundlich grüßen statt einen, wie in Berlin üblich, feindselig anzustarren. Und das Unfassbarste: Man kann essbare Backwaren erwerben! (Beim ersten Biss in die tiefdunkel eingefärbte Brezel, deren Ärmchen so knusprig waren, dass es dabei zu zarten Knacks- und Raspelgeräuschen kam, schossen mir die Freudentränen in die Augen. Beinahe wäre ich aus Dankbarkeit vor der Bäckereifachverkäuferin auf die Knie gefallen, hätte mich meine peinlich berührte Begleiterin – die niemals verzehren musste, was in Berlin legal als »Brezel« verkauft wird – nicht gerade noch davon abgehalten.)

Deshalb scheint es mir ein sinnvolles Unterfangen, demnächst die Berliner Bevölkerung komplett nach München umzusiedeln. Nicht ausgeschlossen, dass der Durchschnittsberliner, sobald er einmal sein versumpftes und lebensfeindliches brandenburgisches Regenloch verlassen hat, aufblüht in der »nördlichsten Stadt Italiens« (Eigenwerbung Münchens).

Das erste dabei noch nicht gelöste Problem ist jedoch: Man benötigt dort Geld in rauhen Mengen. Nicht nur für Wohnungsmieten zahlt man in München irrwitzige Mondpreise, sondern für alles: Ein »Schweinshaxnburger« – also ein aufgeschnittenes Pappbrötchen, das man mit 100 Gramm fettigem Schweinefleisch und einem halben Salatblatt versehen hat – kostet im Biergarten 16 Euro, also zirka 32 Mark. Vier Garnelen in Chili-Knoblauchsoße (kleine Vorspeise) im Fischrestaurant? Macht 23 Euro, bitte.

Das zweite noch nicht gelöste Problem ist Münchens gegenwärtige Bevölkerung: In der durch und durch »gschleckten« Stadt wohnen überwiegend »Gschpritzte«, die mit ihrem SUV zum Golfplatz unterwegs sind und zwischendurch rasch für einen kleinen Spontaneinkauf (320 Euro) am Delikatessladen Halt machen, wenn sie nicht gerade mit dem Verhökern überteuerter Immobilien beschäftigt sind. Die Münchner tragen bevorzugt pastellfarbene Ralph-Lauren-Polo-Shirts, die Münchnerinnen beige Jil-Sander-Blusen.

Die jungen Männer und Frauen, die man dort auf den Straßen und in den Biergärten sieht, sehen nicht nur allesamt aus wie Klone des jungen Christian Lindner und der jungen Silvana Koch-Mehrin, sondern sprechen auch in genau demselben armseligen neoliberalen BWL-Jargon, den heute fast alle Deutschen unter 25, die Abitur gemacht haben, automatenhaft von sich geben. (Jedes Mal, wenn heute auf einer Umwelt- oder Klimaschutz-Demonstration der ausgenudelte Slogan »Eine andere Welt ist möglich!« fällt, bin ich versucht – wenn ich an die geistig erloschenen Münchner Jungmenschen denke – , mit einem nachsichtigen Lächeln auf den Lippen den Protestierenden leise zu antworten: »Nein, ist sie nicht.«)

Die stromlinienförmige Dummjugend, die blasierten, großmäuligen Managertypen mit ihren Stepford Wives, die feisten BMW-Fahrer, die ganzen Trachten tragenden Dullis und fundamentalistischen Katholibans: Wohin soll man nach einem gelungenen Bevölkerungsaustausch mit diesen Leuten, die im Grunde niemand braucht, niemand will?

Zuerst fiel mir kein geeigneter Ort ein. Bis mir in den Sinn kam, dass in Berlin ja dann Platz genug ist. Und das Beste wäre: Enteignete man kurzerhand die Münchner Großkonzerne und Milliardäre, wäre auch das kleine Finanzproblem der vielen frischgebackenen Berliner Neumünchnerinnen und -münchner gelöst. Ich sehe vor meinem geistigen Auge bereits, wie ganz Neukölln sich bei Lachsröllchen und gekühltem Chardonnay am Starnberger See tummelt.

Ob all das funktionieren würde, ist unklar. Sicher ist jedenfalls: Einen Versuch wär’s wert.

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