- Kultur
- Regierungskrise in Deutschland
Das ist Demokratie, langweilig wird sie nie
Die letzte Woche beweist es wieder: Bei der Demokratie muss mal Inventur gemacht und feucht durchgewischt werden
»Das ist Demokratie / Langweilig wird sie nie«, das wusste der Musiker und Sänger Andreas Dorau schon in den frühen 80er Jahren. Und er hat recht: In ihr ist immer was los. Die einen sagen so, die anderen so. Erst hü, dann hott. Während der Schreibstubenhengst von der einen Partei für Pro argumentiert, spricht sich der Geschäftszimmersoldat von der anderen Partei für Contra aus, derweil der Dritte von der dritten Partei aufgeschlossen und flexibel ist und seine Antwort auf die Frage, wohin er sich argumentativ bewegt, von den Bewegungen auf seinem Konto abhängig macht.
Unabdingbare Voraussetzung für einen solchen lebendigen Meinungsaustausch ist ein sogenanntes breites Meinungsspektrum, und die Programme der verschiedenen Parteien unterscheiden sich ja auch deutlich voneinander: Die einen wollen Flüchtlinge an der Grenze erschießen lassen, die anderen wollen sie abschieben, die Dritten wollen sie zu rechtlosen Arbeitssklaven abrichten lassen. Demokratie heißt Vielfalt.
Häufig fallen auch die multifunktionalen Wörter »gemeinsam«, »Zukunft« und »Verantwortung«, die man als moderner Demokrat immer griffbereit haben sollte. Doch die Hauptsache ist, das man »konstruktive Diskussionen« führt und hernach zu einem »zukunftsfähigen Kompromiss« kommt. Daher tauschen die Politikerinnen und Politiker der gewählten Parteien sich untereinander über ihre Wertvorstellungen und Standpunkte aus, was ihnen nicht immer leicht fällt, denn »politisch stehen sie in der Nähe jeder Fernsehkamera« (Wiglaf Droste).
Bisweilen finden darüber hinaus sogenannte Expertenanhörungen, vertrauliche Unterredungen, Ausschusssitzungen, Dialogprozesse und Kamingespräche statt. Nicht zu vergessen die »Bürgersprechstunden«, bei denen eruiert werden soll, wo »den Bürger der Schuh drückt«. Und es ergehen hin und wieder Aufrufe zu einem menschlichen Miteinander, während die Blaubraunen sich ins Fäustchen lachen, weil ihnen insgeheim das ganze Demokratiebrimborium am Arsch vorbeigeht.
Thomas Blum ist grundsätzlich nicht einverstanden mit der herrschenden sogenannten Realität. Vorerst wird er sie nicht ändern können, aber er kann sie zurechtweisen, sie ermahnen oder ihr, wenn es nötig wird, auch mal eins überziehen. Damit das Schlechte den Rückzug antritt. Wir sind mit seinem Kampf gegen die Realität solidarisch. Daher erscheint fortan montags an dieser Stelle »Die gute Kolumne«. Nur die beste Qualität für die besten Leser*innen! Die gesammelten Texte sind zu finden unter: dasnd.de/diegute
Und am Ende entscheidet die gewählte Regierung dann im Sinne des militärisch-industriellen Komplexes, des sogenannten Arbeitgeberverbands und der Blaubraunen. Wobei der »zukunftsfähige Kompromiss« darin besteht, dass »notwendige Einsparungen« im sozialen Bereich und in der Kultur unvermeidlich sind und dringend Autobahnen gebaut werden müssen. Das ist Demokratie, langweilig wird sie nie. Auch wenn am Ende meist dasselbe Ergebnis steht, nämlich dass Leute wie ich mit dem Ofenrohr ins Gebirge schauen.
Einige werden jetzt natürlich einwenden: »Quatsch, so ist das nicht! Demokratische Herrschaft, zumal solche, die von gewählten Repräsentanten ausgeübt wird, gilt als die gerechteste Regierungsform! Die Alternative dazu wäre eine autoritäre Diktatur, in der Wahlen entweder ganz abgeschafft sind oder manipuliert werden und in der die Mehrheit der Bevölkerung nichts zu sagen hat! Man sehe sich nur die verabscheuungswürdigen Schurkenstaaten an, in denen ein solches menschenfeindliches Gesellschaftsmodell der Alltag ist: Iran, Sudan, Belarus, Katar, Sachsen und so weiter!«
Diesen aufgeklärten, liberalen Menschen, die die sogenannte bürgerliche Demokratie – im Vergleich zum, sagen wir, etwas kantigeren und holzschnittartigeren nordkoreanischen Demokratiemodell – für das fortschrittlichere System halten, möchte ich hiermit symbolisch die Hand reichen. Denn sie haben genauso recht wie ich.
Ich möchte davor warnen, meine eingangs skizzierte kleine Abhandlung, der ich den Titel »Demokratie – einfach erklärt« geben möchte, als antidemokratische Hetze misszuverstehen. (Wobei ich ehrlich gesagt zugeben muss, dass ich grundsätzlich der Idee, dass die Mehrheit der Bevölkerung nichts zu sagen hat, dieser Tage deutlich mehr abgewinnen kann, als das vor einigen Jahren der Fall war.)
Und es ergehen hin und wieder Aufrufe zu einem menschlichen Miteinander, während die Blaubraunen sich ins Fäustchen lachen, weil ihnen insgeheim das ganze Demokratiebrimborium am Arsch vorbeigeht.
Vielmehr liegt mir daran, die Demokratie sozusagen zu verschlanken, sie fit für die Zukunft zu machen, aus ihr die beste aller möglichen Welten zu formen.
Denn nichts ist für die Ewigkeit, schon gar nicht verkümmerte Schwundformen von Demokratie. Daher plädiere ich für eine auf den ersten Blick vielleicht experimentell anmutende, aber vielversprechende neue Demokratievariante, in der ich und ein aus von mir handverlesenen zuverlässigen Politikexpertinnen und -experten bestehendes Komitee die Verantwortung für dieses Land übernehmen. Keine Sorge: Zunächst würden wir nur probeweise regieren. Wählen und in unseren Ämtern bestätigen lassen wir uns dann später.
Den enormen Vorteil sowie den, wenn man so will, Glutkern dieser radikal entbürokratisierten Demokratieform, die mir vorschwebt, hat der bekannte Universalgelehrte Gerhard Polt mit dem Aphorismus umrissen: »Ich brauch’ keine Opposition, weil ich bin schon Demokrat.«
Ich bin mir nicht sicher, ob, um einer besseren Zukunft willen, hierzulande mein innovatives Demokratiemodell nicht einmal ausprobiert werden sollte. Gemeinsam mit meinem Team stehe ich jederzeit bereit. Sicher ist jedenfalls: Ein Nummernkonto habe ich eröffnet.
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