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Jede Stimme gegen rechts zählt
In Thüringen zeichnet sich ein klarer Erfolg der AfD ab – umso mehr kommt es nun darauf an, die Wähler demokratischer Parteien zu mobilisieren
Wer glaubt eigentlich daran, dass die Dinosaurier vor etwa 66 Millionen Jahren ausgestorben sind? Der orangefarbene Plüschdino jedenfalls, den Lars Krannich mitgebracht hat, macht einen ziemlich lebendigen, weil engagierten Eindruck. »Er wohnt schon ewig bei uns«, sagt Krannich, der neben dem Kuscheltier auch seine kleine Tochter und seine Frau an diesem Sonntagnachmittag nach Erfurt mitgebracht hat. »Jetzt darf er auch mal was sagen.«
Damit das mit der Verständigung von Dino zu Mensch klappt, hat Ersterer ein Schild für Letztere mitgebracht. Darauf steht: »Dinos gegen rechts.« Die untere, linke Ecke des Schildes ziert ein Regenbogen.
Was witzig ist, hat freilich einen ernsten Hintergrund, auf den neben vielen Rednern auf einer großen Bühne unweit des Thüringer Landtages auch Krannich verweist. »Man hat Kinder und man hat Probleme damit, wie sich die Dinge politisch entwickeln«, sagt der Mann, der mit seiner Familie in Arnstadt, ein paar Autominuten südlich von Erfurt, lebt. Deshalb sei es jetzt – eine Woche vor der Thüringer Landtagswahl – an der Zeit, klar Position zu beziehen gegen Rechtsextremismus und für die liberale Demokratie in diesem Land, sagt Krannich.
Warnungen vor AfD an der Macht
Wie Krannich und seine Familie sowie der Dino sind an diesem Tag Tausende Menschen nicht nur aus Erfurt und verschiedenen Teilen Thüringens, sondern auch aus anderen Bundesländern in die thüringische Landeshauptstadt gekommen, um sich gegen einen möglichen Wahlerfolg der AfD und den Rechtsruck in Deutschland insgesamt zu stellen. Aufgerufen dazu hatte ein breites Bündnis der Zivilgesellschaft. Die Polizei spricht im Laufe des Tages von etwa 4500 Menschen, die Veranstalter der Großdemonstration zählen etwa 7000 Menschen. Jeweils plus einen Dinosaurier, muss man hinzufügen.
Das, was die Menschen und die Redner hier sagen, ist nicht unbedingt neu. Der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, etwa wirft der AfD mit Verweis auf mehrere Aussagen von Spitzenvertretern der Partei aus der Vergangenheit vor, die nationalsozialistische Geschichte Deutschlands nicht nur zu relativieren. Inzwischen stellten AfD-Vertreter regelmäßig auch positive Bezüge zum Nationalsozialismus her. »Diese Leute sind Nazis«, sagt Wagner. Trotz aller Versuche, sich als bürgerlich-konservative Kraft darzustellen, sei die AfD eine völkische und nationalistische Partei, »eine Partei der Hetze, der sprachlichen Verrohung und des Hasses«, sagt Wagner. Es sei deshalb wichtig dafür zu sorgen, dass die Partei nicht in Regierungsverantwortung komme.
Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.
Kurz zuvor hatte ein Vertreter der bundesweit aktiven Politikinitiative Campact ein Verbot der AfD in den Ländern gefordert, in denen die Partei vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestuft wird. Neben dem Thüringer Landesverband wird auch der AfD-Landesverband in Sachsen entsprechend bewertet.
Und noch ein paar Minuten zuvor hatte die Klimaaktivistin Luisa Neubauer den Menschen, die sich gegen die AfD engagieren, Mut zugesprochen, auch wenn sie ob des neuerlichen Kampf gegen »den Faschismus« müde seien. Wenn am 1. September in Thüringen ein neuer Landtag gewählt werde, gehe es nicht nur um die Abstimmung darüber, wie das Parlament zusammengesetzt sei, hatte sie gesagt. »Hier wird so viel mehr verteidigt.«
Das Schlimmste verhindern
Doch so kurz vor der Landtagswahl in Thüringen hat diese Demonstration noch einmal eine besondere Bedeutung, weil absehbar ist, dass die AfD stärkste politische Kraft im Freistaat werden wird. Nach allen Meinungsumfragen aus den vergangenen Wochen kann die Partei auf einen Zweitstimmenanteil von etwa 30 Prozent hoffen, wenn in wenigen Tagen die Stimmzettel ausgezählt werden. Viele, die auf dieser Demonstration stehen, haben sich damit inzwischen abgefunden, hoffen aber, dass es in den verbleibenden Tagen bis zur Landtagswahl wenigstens gelingen wird, so viele Menschen davon zu überzeugen, für eine andere Partei als die AfD ihre Stimme abzugeben, dass die Rechtsextremen wenigstens keine Sperrminorität im Thüringer Landtag erhalten werden. Diese wäre erreicht, wenn die Partei mindestens ein Drittel der Sitze im Landesparlament gewinnen würde. Dann könnte sie einige wichtige politische Entscheidungen im Land blockieren.
Auch Krannich und sein Dino denken ungefähr so. Es sei inzwischen kaum noch möglich, diejenigen mit Argumenten zu erreichen, die sich für eine Wahl der AfD bereits entschieden hätten, sagt Krannich. Viel zu sehr seien sie in ihren Blasen der sozialen Netzwerke gefangen. Umso wichtiger sei es, die zur Wahl zu mobilisieren, die nicht Teil dieser Blase seien.
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