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  • Horrorfilm mit Hunter Schafer

Surrealer Trip: »Es ist schlimm. Ich will nach Hause«

Regisseur Tilman Singer lässt in »Cuckoo« eine junge Frau gegen patriarchal-religöse Mächte ankämpfen

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Ästhetik der 80er Jahre ist im Horror-Genre seit »Stranger Things« wieder en vogue. Gibt ja auch nichts Scheußlicheres.
Die Ästhetik der 80er Jahre ist im Horror-Genre seit »Stranger Things« wieder en vogue. Gibt ja auch nichts Scheußlicheres.

Die 17-jährige Amerikanerin Gretchen (Hunter Schafer) kommt nach dem Tod ihrer Mutter nach Europa, um künftig mit ihrem Vater, dessen neuer Frau und ihrer kleinen Halbschwester, der stummen Alma (Mila Lieu), irgendwo in den Bayrischen Alpen in einem Resort mit dem bezeichnenden Namen »Alpschatten« zu leben.

Die Eltern sollen dieses erst neu zu bauende Resort konzipieren, das »Alpschatten« soll also Gretchens neues Zuhause werden. Regisseur Tilman Singer geht es in »Cuckoo«, seinem zweiten Langfilm nach »Luz«, ersichtlich weniger darum, eine plausible Geschichte zu erzählen, als vielmehr darum, seiner Hauptdarstellerin auf Schritt und Tritt in einen surrealen und absurden Horrortrip zu folgen und dabei eine Atmosphäre zu schaffen, die für den Zuschauer so unangenehm und schwer durchdringlich ist wie für seine Hauptdarstellerin.

Hunter Schafer verkörpert Gretchen sehr überzeugend als argwöhnische Jugendliche,die mit den Ritualen, ungeschriebenen Gesetzen, Konventionen und unsichtbaren Abhängigkeiten der Erwachsenen überfordert ist.

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Stringent ist »Cuckoo« vor allem in seinem Setting, das die Welt aus der Sicht der Teenagerin Gretchen als einen von lächerlich blasierten Erwachsenen bevölkerten, und ansonsten aus Familienproblemen, Angst, Neugierde und erwachender Lust bestehenden Albtraum erscheinen lässt – also als ungefähr die übliche Teenager-Hölle.

Direkt nach der Ankunft im Resort umschwirrt Gretchen schon der Gastgeber Herr König (Dan Stevens), der ihr die Leiterin einer »medizinischen Abteilung« vorstellt, ohne es sich nehmen zu lassen, sie dabei zu berühren. Singer zeigt diese Berührungen aus der Nähe – und bald bietet König der Teenagerin einen Job an der Rezeption an, den sie auch annimmt. Hunter Schafer verkörpert Gretchen sehr überzeugend als argwöhnische Jugendliche, die mit den Ritualen, ungeschriebenen Gesetzen, Konventionen und unsichtbaren Abhängigkeiten der Erwachsenen überfordert ist. Der toten Mutter spricht sie herzzerreißende Nachrichten auf den noch aktiven Anrufbeantworter, in denen sie ihr Leid, ihre Ängste und ihr Heimweh beklagt: »Es ist schlimm. Ich will nach Hause.«

Singer zeigt uns die Welt um Gretchen als ständige Bedrohung und macht dabei zunächst keinen großen Unterschied zwischen den Berührungen des Hotelchefs, dem schrecklichen Erwachsenen-Smalltalk, den Erwartungen der Eltern und einer Monster-Frau, die diese zu verfolgen beginnt. Naturgemäß glaubt Gretchen zunächst niemand, als sie von letzterer erzählt.

Die Konstellation, bei der die Person, die als erstes bemerkt, dass etwas nicht stimmt, von ihrer Umwelt als verrückt oder überspannt abgestempelt wird, ist für Horrorfilme nicht unüblich. Hier verweist sie nicht nur auf die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Beteiligten, sondern auch darauf, dass die Erwachsenenwelt, in der dem Vater nicht auffällt, dass seine Töchter offenbar Opfer von unerklärlicher Gewalt wird, und in der das merkwürdige und verdächtige Verhalten Herrn Königs niemanden irritiert, an sich schon krank ist.

Für Gretchen gibt es aus dieser Hölle nur einmal einen Ausweg, nämlich beim Auftauchen einer Frau, Ed, auch Gast im Hotel, mit der sie unvermittelt eine sexuelle Affäre eingeht. Wir sehen die beiden sich küssen und dann in Eds Auto abhauen. Weit kommen sie indes nicht, bald werden sie von Gretchens Verfolgerin eingeholt.

Der Ausweg ist also mit (gleichgeschlechtlicher) Lust verbunden und Singer motiviert die lustvolle Flucht aus der kranken Welt der Erwachsenen nicht als in erster Linie rational, sondern als krassen emotionalen Gegensatz. Während sich in der Hotel-Welt Frauen unentwegt übergeben und sich vor Schmerzen krümmen, werden die Körper von Ed und Gretchen auf der Flucht (auch mit Unterstützung von Joints) entspannt, optimistisch und vorfreudig, wir sehen Gretchen in dieser Sequenz das einzige Mal im Film strahlen.

Doch so einfach ist dem Grauen eben nicht zu entfliehen. Gretchens unheimliche Verfolgerin setzt ihren hypnotischen Superschrei ein, der sogar die Zeit um einige Sekunden zurückspult, verwickelt die beiden in einen Unfall. Während sie nach der im Auto eingeklemmten Hauptfigur greift, hören wir einen Schuss. Gretchen wacht schwer ramponiert im Krankenhaus von Doktor König auf. Da sie ihm nun vollkommen ausgeliefert ist, beginnt sie notgedrungen, wie für das Genre üblich, sich zu empowern, aus der Passivität in die Offensive zu kommen.

Gemeinsam mit einem Helfer, dem Polizisten Lando, findet sie heraus, woher die weiblichen Monster kommen und was das mit Hotel, König und Alma zu tun hat. Indes wird der Film zunehmend allegorisch. König entpuppt sich als verrückter »Artenschützer«, der der »Natur« zu ihrem Recht verhelfen will, indem er für die Erhaltung von Monstermenschen sorgt. Nicht zufällig wird eine überdrehte Heimat- und Naturideologie Königs suggeriert, nicht zufällig vollzieht sich die Handlung in den Bayrischen Alpen, nicht zufällig erinnern Singers Bilder in vielen Einstellungen an die Heimatfilmästhetik, mit der sich das postnationalsozialistische Deutschland selbst vergewisserte.

Das Ganze kulminiert in einer Szene, in der Gretchen, die lesbische junge Frau, als sie eigentlich schon dem Schlimmsten entkommen ist, den eigentlich freien Ausweg nicht findet und die Hilfe der kleinen Schwester sowie deren noch unschuldiger, unverdorbener Intuition benötigt.

Der Film spielt offenbar in den frühen 80ern, jedenfalls lassen Schnurtelefone und Autos darauf schließen. Etwa die Hotelrezeption und -lobby sind bis ins kleinste Detail dem Stil nachempfunden, von dem damalige Hoteldesigner annahmen, er strahle Gemütlichkeit und Willkommenskultur aus. Und während er in diesen buchstäblich unheimlich schönen Bildern das Grauen unausweichlich eskalieren lässt, zeigt »Cuckoo« den Kampf einer jungen Frau gegen einen Mann mit naturideologischem, patriarchalem Gottkomplex als unausweichliche und brutale Auseinandersetzung ums Ganze.

»Cuckoo«: Deutschland, USA 2024. Regie und Drehbuch: Tilman Singer. Mit: Hunter Schafer, Dan Stevens, Jessica Henwick. 102 Minuten, Start: 29.8.

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