Panik im Gepäck

Einfache Tipps, Seminare und Coachings können gegen Flugangst helfen

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 5 Min.
Vielleicht hilft auch ein Besuch am Flughafen, um Angst vor dieser Fortbewegungsart abzubauen.
Vielleicht hilft auch ein Besuch am Flughafen, um Angst vor dieser Fortbewegungsart abzubauen.

Ganz langsam schlich sich bei Anja die Angst ein. Anfangs war es nur ein leichtes Unbehagen, das die damalige Flugbegleiterin in der Luft spürte. Unter anderem wollte ihr nicht aus dem Kopf gehen, dass die Eltern eines Kollegen bei einem Flugzeugabsturz gestorben waren. Ihre erste Angstattacke bekam sie, als sie nach einer Trennung eine schwierige Phase durchmachte. Ein turbulenter Flug setzte ihr so stark zu, dass sie in Panik verfiel, zu zittern anfing und Schweißausbrüche bekam. »Ich hatte damals auch im Leben keinen festen Stand mehr«, sagt die 57-Jährige.

Danach begleitete sie die Angst vor neuen Attacken bei jedem Flug: »Schon bei einem leichten Wackeln wurde mir unwohl.« Immer wieder versuchte sie die Furcht in den Griff zu bekommen, nahm Beruhigungstropfen, las viel über das Thema und besuchte ein Seminar – alles ohne durchgreifenden Erfolg. Schließlich gab sie ihren Beruf auf und suchte sich einen neuen Job am Boden. Die Versuche, gegen die Angst anzukämpfen, seien ihr auf Dauer zu stressig gewesen.

»Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas passiert, ist aber extrem gering.«

André Wannemüller Psychologe

Die Angst vor dem Fliegen kann Karrieren behindern, Träume zerstören oder auch nur das Reisen erschweren. Sie kann so stark ausgeprägt sein, dass Betroffene kein Flugzeug mehr betreten – etwa wie die Soul-Legende Aretha Franklin, die deswegen jahrzehntelang nicht mehr in Europa auftrat. Sie kann sich aber auch nur als leicht flaues Gefühl in der Magengegend äußern. Insgesamt ist das Phänomen weitverbreitet: Bei einer Allensbach-Umfrage gaben rund 16 Prozent der Befragten an, Angst vor dem Fliegen zu haben. Weitere rund 22 Prozent erklärten, zwar keine Angst, aber ein Unbehagen zu spüren. Eine ausgeprägte »Aviophobie«, wie sie sich bei Anja entwickelte, ist allerdings viel seltener – in Studien liegt die Zahl unter 5 Prozent.

Rational begründen lässt sich das Gefühl nicht. Fliegen ist zigmal sicherer als Autofahren – und doch haben die meisten kaum Bedenken, in einen Wagen zu steigen. Das hat mehrere Gründe, sagt der Psychotherapeut Sascha Thomas aus München, der sich auf Aviophobie spezialisiert hat. »Ein wichtiger Faktor ist der empfundene Kontrollverlust beim Fliegen. Man vertraut sein Leben Menschen an, die man noch nie gesehen hat.« Außerdem ist das Fliegen für die meisten Menschen etwas Ungewöhnliches. Vielen ist es suspekt, in einer Art Riesen-Vogel durch die Lüfte zu schweben. Schließlich kann der Mensch laufen und schwimmen, aber nicht fliegen.

Wovor Betroffene Angst haben, ist ganz unterschiedlich. »Am häufigsten ist die Furcht vor einem Absturz«, sagt der Psychologe André Wannemüller von der Ruhr-Universität Bochum. Anderen macht die Vorstellung Angst, nicht mehr aussteigen zu können. Bei ihnen ist die Flugangst oft Teil einer Agoraphobie – sie haben also Probleme mit Situationen, in denen sie fürchten, nicht entkommen zu können. »Sie betreten dann manchmal auch keine Züge oder Aufzüge«, erklärt er. Daneben leiden auch Menschen mit Höhenangst beim Fliegen.

Schon einfache Tipps können Flugangst reduzieren. »Auf keinen Fall sollte man Horrorvideos im Internet anschauen«, sagt Thomas. Aufnahmen von missglückten Landungen oder Turbulenzen können negative Gefühle verstärken. Ansonsten empfiehlt der Experte schon im Vorfeld viel Bewegung, um Stresshormone zu reduzieren. Am Reisetag ist es sinnvoll, viel Zeit einzuplanen, um zusätzlichen Stress zu vermeiden. Entspannungstechniken, aber auch Ablenkung durch Lesen oder Musikhören können helfen, Ängsten vorzubeugen.

Von Alkohol und Kaffee an Bord rät Thomas angespannten Passagieren ab: »Das kann zusätzlich pushen.« Auf jeden Fall sei es sinnvoll, Kontakt zur Flugcrew zu suchen, so der Psychologe, der selbst auch Flugbegleiter ist. Die Crew hat in der Regel Erfahrung im Umgang mit ängstlichen Passagieren. Wer in der Luft allerdings Todesängste erleidet oder gar nicht mehr fliegen kann, sollte sich professionelle Hilfe holen.

Hilfreich können Flugangst-Seminare sein, wie sie von verschiedenen Seiten angeboten werden. Auch Wannemüller und sein Team haben ein solches Training entwickelt, das zusammen mit der Lufthansa veranstaltet wird. Es findet in großen Gruppen von mehr als 100 Teilnehmern statt. Im ersten Teil werden theoretische Fragen besprochen, etwa wie Ängste entstehen, wie Flugzeugtechnik funktioniert und wie es zu Turbulenzen kommt. Dabei soll Sicherheit vermittelt werden. Gleichzeitig sagt Wannemüller aber: »Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Das muss man akzeptieren, wenn man fliegt. Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas passiert, ist aber extrem gering.«

Im zweiten Teil des Seminars können die Teilnehmer einen Rundflug machen, der psychologisch begleitet wird. Das ist entscheidend, um die Angst in den Griff zu bekommen, wie Wannemüller betont. »Ziel ist eine veränderte Erwartung.« Wer nämlich erlebt, dass beim Flug nichts Schlimmes passiert, kann seine Erwartung korrigieren und verlernt dadurch die Angst. Etwa 70 bis 80 Prozent der Teilnehmer seien danach beim Fliegen nachhaltig entspannter.

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Ein effektives Training sollte einen Flug einschließen, betont Wannemüller. Einziger Haken sind die Kosten: Die Teilnahme an einem Seminar plus Flug kostet oft über 800 Euro. Billiger kommt man, wenn ein Flugszenario mit Virtual Reality simuliert wird. Auch Flugangst-Apps können in leichten Fällen sinnvoll sein.

Und wie sieht es mit Beruhigungsmitteln aus? Medikamente können dazu dienen, jemanden »flugfähig« zu machen, sagt Wannemüller. »Damit verlieren Sie aber nicht Ihre Angst.« Im Nachhinein weiß man nicht, ob man wirklich einen unproblematischen Flug erlebte – oder das nur an dem Mittel lag. Deshalb mache man so auch keine »korrigierende Erfahrung«, erklärt der Psychologe.

Anja hat ihre Angst inzwischen so weit im Griff, dass sie ohne Panik fliegen kann. Dass sie weiß, wie sie sich im Ernstfall entspannen kann, gibt ihr Sicherheit. Außerdem hilft ihr, dass auf dem Urlaubsflug eine Freundin neben ihr sitzen wird – das ist für sie beruhigender als Baldrian und Tomatensaft.

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