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Sachsen und Thüringen: Schwierige Zeiten nach der Wahl
Angesichts ungünstiger Rahmenbedingungen braucht es eine proaktive Regionalpolitik
Zwar ist noch lange nicht klar, wer in Dresden und Erfurt künftig regieren wird – die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden schwierig sein. In beiden Bundesländern fehlen großen börsennotierte Unternehmen mit ihren Firmenzentralen und auch Bundesbehörden mit vielen gutbezahlten Jobs. In kaum einen anderen Bundesland gibt es so wenige »Gutverdiener« wie in Sachsen und Thüringen. Und auch beim Vermögen schneiden die beiden schlecht ab. Aus historischen Gründen fehlen nennenswerte Einnahmen aus Erbschaften, Immobilieneigentum und Unternehmensbeteiligungen, wie es die Bundesregierung in ihrem neuen »Gleichwertigkeitsbericht« festgehalten hat. Damit nicht genug: In großen Teilen Sachsens und Thüringens zählt laut Statistischem Bundesamt jeder dritte Beschäftigte zum Niedriglohnsektor. Daher fehlt es vor Ort an kaufkräftiger Nachfrage, um der Wirtschaft einen starken Schub zu verpassen.
International nachschwingen dürfte zudem noch ein Brandbrief des Unternehmensverbandes des wichtigen Maschinen- und Anlagenbaus, VDMA, kurz vor den Landtagswahlen: »Heimat und extremistische Parteien passen nicht zusammen«, heißt es darin. Da Produkte überall hin exportiert werden, benötige der Mittelstand, der die Wirtschaft in Sachsen und Thüringen prägt, Weltoffenheit. »Ein Klima der Angst, das durch die Fremdenfeindlichkeit extremistischer Parteien erzeugt wird, schreckt alle ab – und bedroht so auch die Existenz unserer Unternehmen«, warnten Alexander Jakschik, Vorsitzender des VDMA-Ost und Familienunternehmer aus Löbau, sowie VDMA-Präsident Karl Haeusgen in einer viel beachteten Erklärung. In den neuen Ländern gibt es immerhin 350 Betriebe der wichtigsten Industriebranche.
Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.
Bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung schneiden die Unternehmen in Sachsen und Thüringen nicht gar so schlecht ab. Sie ist in absoluten Zahlen im Mittelfeld aller Bundesländer und pro Kopf sogar im oberen Mittelfeld.
Bekanntlich kann der Blick in den Rückspiegel nur bedingt die Zukunft erklären, aber zumindest die Gegenwart. In Sachsen hatten sich nach 1990 zahlreiche Unternehmen aus unterschiedlichen Wirtschaftssektoren angesiedelt, speziell Firmen aus der Mikroelektronik und der Elektrotechnik sowie aus dem Maschinen- und Fahrzeugbau, wie es in einer Analyse der Landesbank Nord-LB heißt. Um diese Entwicklung zu stärken, verfolge das Land eine Innovationsstrategie, die es bis 2030 zu einer europaweit führenden wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Region machen soll. Dabei setzt man auf Maßnahmen, die insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen innovations- und wettbewerbsfähig machen sollen. Nur vor diesem Hintergrund machten hochsubventionierte Großansiedlungen wie die von Chipherstellern in Dresden überhaupt Sinn. Sie selber erzeugen nur einen einmaligen Effekt, ist der Ökonom Joachim Ragnitz überzeugt, der an der TU Dresden lehrt.
Wie es »den Westen« nicht gibt, gibt es auch nicht »den Osten«. Da wie dort gibt es abgehängte Regionen und erfolgreiche. Insbesondere die Ballungsräume Leipzig-Halle und Chemnitz-Zwickau treiben die Wirtschaft. Oder das Ballungsgebiet Dresden, das gemessen am Bruttoinlandsprodukt der wirtschaftlich stärkste Raum Sachsens mit seinen vier Millionen Einwohnern ist.
Ähnliche Unwuchten gibt es Thüringen mit seinen noch gut zwei Millionen Einwohnern. Dort ist in den letzten Jahren eine Diskrepanz zwischen der Planungsregion Südwestthüringen und dem Rest des Landes zu erkennen. Der Freistaat ist durch das produzierende Gewerbe geprägt und hat den höchsten Anteil dieses Wirtschaftsbereichs aller ostdeutschen Länder an der Bruttowertschöpfung. Speziell aus der Region der Städtekette Jena-Weimar-Erfurt entstammt ein Großteil der Wirtschaftsleistung. Die Bereiche Automobil- und Maschinenbau sowie Optik und Medizintechnik sind dabei von besonderer Bedeutung. Investiert wird auch in die Bildungs- und Forschungszentren, speziell in Jena, Erfurt sowie Ilmenau mit seiner Technischen Universität.
Volkswirtschaftlich von Bedeutung ist auch, dass Thüringen und Sachsen mit die höchsten Anteile von Menschen haben, die mindestens 67 Jahre alt sind. Dieser demographische Faktor ist ungünstig für Nachfrage und gesellschaftliche Infrastruktur wie Schulen und Behörden. Wo wenige Jüngere leben, fehlen künftig Arbeitskräfte und Kunden, Unternehmen investieren nicht und der Einzelhandel, so noch vorhanden, verblüht.
Ebenfalls sind die durchschnittlichen Einkommen nach wie vor niedriger als im Westen. Dies gilt aber ebenso für Mieten, Lebenshaltungskosten und das Eigenheim. Im Ergebnis geht es vielen Menschen in Sachsen und Thüringen materiell nicht unbedingt schlechter als anderswo. Unzufriedenheit speist sich – wie im Westen – oft aus lückenhafter Verkehrsinfrastruktur, fehlenden Fachärzten und der »relativen Deprivation«, wie es der Ökonom Jens Südekum ausdrückt. Menschen sähen sich in ihrer Lebenswelt als benachteiligt gegenüber den Bewohnern anderer Regionen an. Südekum plädiert für eine stärkere und proaktive Regionalpolitik sowie »erhebliche« Investitionen dort, wo der industrielle Strukturwandel ansteht. Wer auch immer künftig in Dresden und Erfurt regieren wird: Ohne Unterstützung vom Bund werden sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vor Ort kaum verbessern lassen.
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