Berliner Initiative gegen SEZ-Abriss: Mehr als nur Ostalgie

Zum Abriss des ehemaligen Sport- und Erholungszentrums (SEZ) hält der Senat dicht. Das Bündnis »SEZ für alle« will ihn aus der Deckung locken

»SEZ für alle« statt Abriss: Demonstrierende an der Landsberger Allee am Wochenende
»SEZ für alle« statt Abriss: Demonstrierende an der Landsberger Allee am Wochenende

Karl-Heinz Wendorff hat’s noch drauf. »Wenn es ein bisschen zwickt, ist es genau richtig«, motiviert der Ex-Moderator im Volkspark Friedrichshain. Beim Demonstrationszug für den Erhalt des Sport- und Erholungszentrums (SEZ) feiert die DDR-Erfolgssendung »Medizin nach Noten« ein kurzes Comeback. Um Wendorff herum legen sich Demonstrierende mit Gymnastikübungen ins Zeug, die der 77-Jährige vormacht.

»Es gab 25 Mark für eine Folge. Nicht dass ihr denkt, ich wäre damit reich geworden«, klärt Wendorff auf. Nach einer Sendung sei er oft zum Schwimmen ins SEZ gefahren. Wie alle der rund 200 Menschen, die sich an diesem Sonntag zusammengefunden haben, ist auch er der Meinung, dass der ikonische DDR-Bau bleiben muss. Dafür wolle er kämpfen, sagt Wendorff. »Ich bin bis zum letzten Atemzug dabei.« Derzeit plant Berlins Senat, das SEZ durch 500 Wohnungen sowie einen Schulbau zu ersetzen.

Was nach Bekanntwerden der Abrisspläne Anfang 2024 mit zwei voneinander unabhängigen Petitionen begann, ist mittlerweile zusammengewachsen. Die Bürgerinitiative »SEZ für alle« vereint Anwohnende aus dem Kiez, aber auch Denkmalschützer*innen, Architekt*innen und Ingenieur*innen aus ganz Deutschland. »Wir werden immer größer«, sagt Susanne Lorenz vom Initiativenbündnis zu »nd«. Auf die Psychologin, die mit dem SEZ aufgewachsen ist, geht eine der beiden Petitionen zurück.

Den Anstoß aber habe ihre neunjährige Tochter gegeben. »Sie hat darauf bestanden, dass man da etwas unternehmen muss«, sagt Lorenz. Über 10 000 Menschen hätten bislang unterschrieben. In ihrem Kiez wie auch beim Blick auf die gesamte Hauptstadt vermisst Lorenz einen Ort, an dem sich Kinder im Wasser austoben können. Nach dem Brand im Neuköllner Spaßbad »Blub« bleibe ihrer Familie nur der Weg ins »Tropical Islands«, das auf halber Strecke nach Cottbus liegt.

Woche für Woche trifft sich »SEZ für alle«, um sich zu organisieren und das zu ändern. Mit dabei sind Initiativen wie die »Architects for Future« und »Gemeingut in BürgerInnenhand«, auch zum Verein »Bauwende jetzt« gibt es Verbindungen, der sich für nachhaltiges Bauen in der Hauptstadt einsetzt. Das SEZ-Bündnis fordert eine Lösung, die die Freizeitnutzung im ehemaligen DDR-Erholungszentrum ermöglicht und zugleich den architektonischen Charakter des Baus erhält.

»Ob der Senat zu einer Positionierung gezwungen werden kann, ist eine Frage des öffentlichen Drucks.«

Damiano Valgolio (Linke) Wahlkreis-Abgeordneter in Friedrichshain-Kreuzberg

Darüber, was sich gleichzeitig realisieren ließe, gehen die Meinungen auseinander. »Die Schule ist laut Bauplan nicht mal dort geplant, wo das SEZ jetzt steht«, kritisiert Lorenz. Die nahegelegene Grundschule in der Pufendorfstraße sei noch nicht einmal ausgelastet. Und dann ist da noch die Schuldrehscheibe Werneuchener Wiese – ein Neubau, der für andere Schulen als Übergangslösung dienen soll, während sie saniert werden. Nach Ablauf der voraussichtlichen Standzeit von 15 Jahren ist für das Gebäude keine weitere Nutzung als Schule vorgesehen.

Für Lorenz sind das Zeichen dafür, dass das kompromisslose Vorgehen am SEZ politisch motiviert ist. Während sich die Politik ums Kongresszentrum ICC im Berliner Westen bemühe, werde bei Orten wie dem bereits abgerissenen Generalshotel und dem SEZ kurzer Prozess gemacht. »Es geht hier nicht um irgendeine Ostalgie. Das SEZ hat Osten und Westen zusammengebracht«, sagt Lorenz. Neben der Aufbauleitung Sondervorhaben der DDR war unter anderem das westdeutsche Unternehmen Hochtief beteiligt, stellte mit Günter Reiß sogar den Architekten. Auch er engagiert sich bei »SEZ für alle«.

Neben der einzigartigen Architektur beeindruckte das Gebäude durch seine Energieeffizienz: Die Abwärme, die durch die Kühlung der Eisbahn entsteht, wurde in die Beheizung der Bäder und des Fußbodens geleitet. Verschattungen an den Gläsern sollten dafür sorgen, dass so wenig Energie wie möglich verloren geht. »Da steckt viel Wissen drin«, sagt Lorenz. Nicht umsonst gebe es wissenschaftliche Literatur zum ehemaligen Erholungszentrum.

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Die Fachwelt sei sich einig, dass das SEZ nicht verschwinden dürfe. Trotzdem stößt das Initiativenbündnis mit seiner Forderung, den Bau noch einmal durch das Landesdenkmalamt prüfen zu lassen, laut Lorenz auf Ignoranz. »Ich glaube, es ist für uns nicht so günstig, dass das Landesdenkmalamt nicht mehr wie früher der Kulturverwaltung, sondern der Bauverwaltung untergeordnet ist.«

Der Senat schalte in Sachen SEZ auf »stur und stumm«, kritisiert auch der Linke-Abgeordnete Damiano Valgolio gegenüber »nd«. Seine Fraktion wolle zeitnah einen Antrag im Abgeordnetenhaus einbringen, der eine erneute Begutachtung der Bausubstanz des SEZ sowie ein Konzept für dessen Zwischennutzung fordert. »Ob der Senat zu einer Positionierung gezwungen werden kann, ist eine Frage des öffentlichen Drucks«, sagt Valgolio. Ein runder Tisch für die Zukunft des SEZ sei für Ende September geplant. Bausenator Gaebler und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hätten eine Einladung bislang zurückgewiesen.

Zu den Protesten gegen den Abriss äußert sich die ebenfalls involvierte Finanzverwaltung auf nd-Anfrage hin nicht. Nach wie vor weigere sich der frühere Eigentümer, die rechtskräftige Entscheidung zur Herausgabe des Grundstücks zu akzeptieren, teilt ein Sprecher mit. »Ein Gerichtsvollzieher ist beauftragt, den Zugang zum Gebäude zu verschaffen.« Und weiter: Die Planungen des Senats folgten dem Ende 2018 beschlossenen Bebauungsplan. Das Gebäude stehe nach Prüfung der Denkmalschutzbehörden nicht unter Denkmalschutz.

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