- Kultur
- Die Gute Kolumne
Das rechte Beinchen vor, das ist der ganze Trick!
Es fällt schwer, unter den halbwegs relevanten politischen Parteien noch irgendeine Art inhaltliche Politik zu erkennen
Fragt man junge Leute, welche Partei »rechts« und welche »links« ist und was das überhaupt bedeuten soll, blickt man oft in ratlose Gesichter. Sie können Instagram und Tiktok halbwegs auseinanderhalten und wissen, wo man die nächste Steckdose findet. Das muss reichen für ein Leben im 21. Jahrhundert. Mehr braucht es nicht. Naja, sagen wir: Vielleicht noch ein Fake-»Givenchy«-Sweatshirt, ein Paar Sneaker und so eine Wehrmachtssoldatenfrisur, wie sie aus irgendwelchen Gründen unter vielen männlichen Heranwachsenden heutzutage beliebt ist.
Aber »links«, »rechts«? »Zivilisation«, »Barbarei«, »liberal«, »reaktionär«, »libertär«, »autoritär«? Was sollen sie damit anfangen? Das sind schwierige Fremdwörter. Müsste man ja was lesen. Wer hat dazu noch Zeit, Digger? Man ist mit Chillen und Shmooven beschäftigt. Aber kann man es den unerfahrenen jungen Menschen übelnehmen? Nein. Schließlich sind viele von ihnen Kapitalismus-Opfer. Lesen und denken sind nicht ihre großen Stärken: nie ausprobiert, verlernt, vergessen, verpeilt.
Das Ergebnis ist eine Jahr für Jahr weiter intensivierte und radikalisierte Form der Elendsverwaltung, die den Rechten und Neonazis zwar längst nicht weit genug geht, über die sie sich aber nichtsdestotrotz beschweren werden, bis sie den Laden übernehmen können.
-
Hinzu kommt: Politik ist konzentrierte Langeweile, also reines Gift für eine mit Hormonen angefüllte Jugend voller Tatendrang. Und der Unterschied zwischen AfD, CDU, Grünen und SPD entspricht ungefähr dem zwischen Primark, Kik, C&A und H&M. Blau/braun, schwarz, grün, rot. Ein bedeutungsloser bunter Farbenreigen. Kaum taucht er am Rand des Sichtfelds auf, ist er bereits wieder entschwunden. Mit der Politik der Parteien ist es ähnlich: Eben meinte man noch, etwas wie die Spur eines Inhalts ausgemacht zu haben, schon ist sie verlorengegangen in einem undurchdringlichen Wust aus sich endlos fortzeugendem nichtigen Politpapperlapapp.
Doch bin ich mir nicht sicher, ob, um einer besseren Zukunft willen, nicht gerade den Jungen ein Minimum an Rechts-Links-Orientierungsfähigkeit gut täte. Doch wie erklären? Die Rechtsextremen sind homophob, völkisch und rassistisch, während ihre Vorsitzende lesbisch und mit einer aus Sri Lanka stammenden Schweizerin verheiratet ist. Die gegenwärtigen Aussagen des »wirtschaftsliberal-konservativen« CDU-Chefs Friedrich Merz klingen, als sei er der Vorsitzende der ausländerfeindlichen Plattform in der AfD. Der den Medien zufolge »linksliberale« Grüne Robert Habeck wiederum redet, als wäre er der deutsche Arbeitgeberpräsident.
Dieselben Medien bezeichnen übrigens Leute, die beim Erklingen des Wortes »deutsch« unter erheblichen Mühen ihren rechten Arm festhalten müssen, als »Bürgerliche« und »Nationalkonservative«. Und der »sozialdemokratische« Scholzomat macht sein bewährtes Scholzomatengesicht, während er die deutsche Volksgemeinschaft beschwört: »Unser Land braucht gerade in dieser schwierigen Zeit mehr Zusammenhalt und weniger Zwietracht.« Oder: »Unser Land hat die Kraft, diese Krise zu meistern und gestärkt aus ihr hervorzugehen.« Oder: »Rucki-Zucki, Rucki-Zucki, das ist der neuste Tanz.« (Ich gebe zu: Das letzte Zitat habe ich ihm in den Mund gelegt.)
Tatsächlich gibt die sogenannte politische Landschaft »von links bis rechts«, in der die angeblich Linksgrünversifften seit Jahrzehnten voller Eifer das Geschäft der politischen Rechten erledigen, die Rechten wiederum das Geschäft der Rechtsextremen besorgen und die Rechtsextremen sich über all das freuen wie Bolle (derweil alle zusammen gebetsmühlenartig behaupten, sie machen eine »Politik für die Mitte«), ein Bild ab, bei dessen Betrachtung man seinen Kopf so weit nach rechts neigen muss, dass die Zuschauer glauben, man sei ein Kontorsionist.
Thomas Blum ist grundsätzlich nicht einverstanden mit der herrschenden sogenannten Realität. Vorerst wird er sie nicht ändern können, aber er kann sie zurechtweisen, sie ermahnen oder ihr, wenn es nötig wird, auch mal eins überziehen. Damit das Schlechte den Rückzug antritt. Wir sind mit seinem Kampf gegen die Realität solidarisch. Daher erscheint fortan montags an dieser Stelle »Die gute Kolumne«. Nur die beste Qualität für die besten Leser*innen! Die gesammelten Texte sind zu finden unter: dasnd.de/diegute
Man hat es mit einem sich in einer Art Endlosschleife vollziehenden Rechtsruck zu tun: Die Politik jener, die man früher als »konservativ« bezeichnete, also des Schlipsträgermilieus, das »unternehmerfreundlich« war, in den Siemens- und VW-Chefetagen ein- und ausging (und dort »die Weichen für die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes stellte«, wie es so schön heißt, haha), wird heute von Sozialdemokraten und Grünen gemacht. Das Ergebnis ist eine Jahr für Jahr weiter intensivierte und radikalisierte Form der Elendsverwaltung, die den Rechten und Neonazis zwar längst nicht weit genug geht, über die sie sich aber nichtsdestotrotz beschweren werden, bis sie den Laden übernehmen können, um schließlich – begleitet von allerlei neuen einfallsreichen Grausamkeiten, von denen wir uns gegenwärtig noch gar keine Vorstellung machen – ihre Variante der verschärften Elendsverwaltung als »moderne bürgerliche Politik« zu verkaufen.
Sicher ist jedenfalls, dass man jungen Leuten, die mit den politischen Begriffen links und rechts nichts anfangen können, die komplette politische Kultur der Bundesrepublik mit Ernst Negers 50 Jahre altem Lied »Rucki-Zucki« ganz einfach erklären könnte: »Das linke Beinchen vor / Und wieder zurück / Das rechte Beinchen vor / Das ist der ganze Trick / Wir tanzen Rucki-Zucki / Und dreh’n uns dabei um / Das Spielchen ist nicht dumm / Rucki-Zucki / Rucki-Zucki / Rucki-Zucki / Das ist der neuste Tanz.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.