Scheinbetriebsräte: Lieferdienst Flink knickt ein

Alternative Betriebsratsstrukturen dürfen als »faschistoides Spitzelsystem« bezeichnet werden

Flink in pink, aber mit fragwürdiger Interessenvertretung: Lieferkurier am Alexanderplatz
Flink in pink, aber mit fragwürdiger Interessenvertretung: Lieferkurier am Alexanderplatz

Vor dem Berliner Landgericht geht es am Dienstagmittag vordergründig um die Meinungsfreiheit. Doch an dem Verfahren, anhand dessen der Lieferdienst Flink den Arbeitsrechtsanwalt Martin Bechert zur Unterlassung bestimmter Aussagen verpflichten will, hängt noch einiges mehr. Bei dem Lieferdienst für Supermarktartikel, dessen Kurier*innen mit den markigen pinken Rucksäcken und entsprechender Arbeitskleidung unterwegs sind, war Ende 2022 eine gesetzlich verankerte Betriebsratswahl zugunsten eines alternativen Mitbestimmungsgremiums gescheitert.

Rechtsanwalt Bechert, der die Betriebsratswahl seinerzeit begleitete, hatte zunächst dem »Tagesspiegel« gesagt: »Ein Ops Committee hat keine Rechte und keinen Kündigungsschutz.« Das Ops Committee ist der von Flink eingerichtete alternative Betriebsrat. Darüber hinaus hatte der Beklagte auf dem Kurznachrichtendienst Twitter (heute X) veröffentlicht: »Flink will keinen Betriebsrat, sondern an seinen ›Ops Committees‹ festhalten. Für mich ist das ein faschistoides Spitzelsystem, eine perfide Einrichtung, deren eigentlicher Zweck es ist, die Belegschaft auszuhorchen und gefügig zu machen!« Gegen beide Aussagen versuchte Flink eine Unterlassung zu erwirken. Nachdem das Gericht in seinen Ausführungen recht eindeutig zu erkennen gegeben hatte, dass es beide Aussagen für zulässig hält, nahm Flink von der Klage Abstand. Das Gericht stellte ein sogenanntes Verzichtsurteil in Aussicht. Danach muss der Beklagte die verhandelten Aussagen weder zurücknehmen noch künftig unterlassen.

»Der Verzicht von Flink ist nur so zu verstehen, dass die Ausführungen des Gerichts nicht nochmal in einem niedergeschriebenen Urteil auftauchen sollen«, sagt Becherts Anwalt Stefan Söder zu »nd«. Das Verzichtsurteil ergehe nur formal und ohne weitere Begründung, erklärt einer der Richter.

»Nicht Flink, sondern änderbare Strukturen werden als autoritär und diktatorisch angemahnt.«

Stefan Söder Rechtsanwalt

Becherts Äußerung, das Ops Committee sei ein faschistoides Spitzelsystem, empfindet Flink als Schmähkritik und sieht sich in den Rahmen des Nationalsozialismus gedrängt. Becherts Anwalt Söder führt hingegen an: Es gehe nicht um Personen, sondern um ein System. »Nicht Flink, sondern änderbare Strukturen werden als autoritär und diktatorisch angemahnt.« Das Gericht hält Becherts Äußerungen zwar für in der Wortwahl scharf, aber für eine zulässige Meinungsäußerung. Im Übrigen seien die Aussagen Becherts stets ausführlich, es hätte somit »genügend Einbettungsmaterial« gegeben. Insofern schränke die Meinung die Persönlichkeitsrechte des Unternehmens nicht unzulässig ein.

Die Beklagtenseite hatte laut einer der Richter*innen zuvor mitgeteilt, dass den Ops Committees keine Mehrheitswahlentscheidungen zugrunde lägen, sie würden vielmehr einseitig vom Management bestimmt. Dafür gebe es aber keine festen Kriterien. Die Eigenschaften, die Beschäftigte mitbringen müssten, zum Beispiel, dass sie gut in der Belegschaft vernetzt sind, könne sich auch der Arbeitgeber zunutze machen. Ein auf Kolleg*innen angesetztes Ops Committee könne als Auge und Ohr des Managements fungieren, so die Beklagtenseite. Bechert habe in der Praxis mitbekommen, wie Beschäftigte, die sich im Vertrauen an das Ops Committee gewandt hatten, gekündigt worden seien.

Die andere Aussage, wonach ein Ops Committee keine Rechte und keinen Kündigungsschutz habe, stelle eine falsche Tatsachenbehauptung dar, erklärten die Anwält*innen von Flink. Schließlich hätten die im Ops Committee arbeitenden Beschäftigten ja Rechte, wie Freistellung von der Arbeitszeit und einen sechs Monate nachwirkenden Kündigungsschutz. Es sei vielmehr an Herrn Bechert zu belegen, dass derlei Recht nicht bestehe. Bechert und sein Verteidiger wollten vor allem aufzeigen, dass diese einseitig verbrieften Rechte nicht die gleiche Sicherheit wie das Betriebsverfassungsgesetz bieten. Auch hier folgte das Gericht der Argumentation von Flink nicht. Es hielt Becherts Aussage nicht für eine Tatsachenbehauptung, sondern für eine Meinungsäußerung, die den Unterschied zwischen den Rechten eines gesetzlich verankerten Betriebsrats und der alternativen Mitbestimmung bei Flink markieren sollte. Von Flink eingereichte Dokumente belegten nicht hinreichend, dass und wie in dem Unternehmen ein Kündigungsschutz wirke.

2023 war in Berlin in sieben Prozent aller Unternehmen ein Betriebsrat oder Personalrat vertreten, in acht Prozent aller Unternehmen gab es eine alternative Interessenvertretung. Allerdings fielen 41 Prozent der Beschäftigten unter einen Betriebsrat und nur 17 Prozent unter eine alternative Interessenvertretung. Das geht aus Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor.

Flink ließ eine kurzfristige Anfrage von »nd« bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

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