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»Verkehrswendestadt Wolfsburg«: Protest gegen VW verfilmt

Zwei Jahre lang setzten sich Aktivisten in Wolfsburg für die Verkehrswende ein. Nun ist ein Film dazu erschienen

»Die erste Straßenbahn verlässt das Werk« – mit Aktionen wie dieser setzen sich Aktivist*innen zwei Jahre lang für eine sozial-ökologische Transformation des VW-Konzerns ein.
»Die erste Straßenbahn verlässt das Werk« – mit Aktionen wie dieser setzen sich Aktivist*innen zwei Jahre lang für eine sozial-ökologische Transformation des VW-Konzerns ein.

Es muss vor Kurzem geregnet haben. Denn die Straße glänzt im schwachen Schein des Laternenlichts. Im Dunkeln huschen vermummte Gestalten über die Straße. Sie haben Holzkreuze dabei. Diese stehen für die Toten durch Verkehrsunfälle. Am nächsten Morgen wird um eine riesige Golfskulptur ein Friedhof entstanden sein.

In Schwarz-Weiß und untermalt von spannungsgeladener Musik beginnt der neu erschienene Film »Verkehrswendestadt Wolfsburg – den Automobilen Konsens aufbrechen«. Er erzählt von der zweijährigen Protestphase gegen VW von Aktivist*innen des Projekthauses Amsel44 in Wolfsburg. Das Werk des Dokumentarfilmers John Mio Mehnert erscheint just, als die tiefe Krise des größten deutschen Autoherstellers die Schlagzeilen prägt. Und behandelt Themen, die aktueller sind denn je: den Umbau der Automobilindustrie, die Vergesellschaftung großer Konzerne und die Rolle von Gewerkschaften bei der sozial-ökologischen Transformation.

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Tobi Rosswog war Teil der Kampagne in Wolfsburg. »Natürlich könnten wir jetzt altklug behaupten: ›Die Probleme des VW-Konzerns haben wir schon vor zwei Jahren angesprochen‹«, sagt er dem »nd«. »Doch wir stehen weiterhin klar auf der Seite der Belegschaft.« Das wird auch im Film deutlich: Das Projekt, das auf den Umbau des Konzerns abzielte, wurde nicht mit erhobenem Zeigefinger und an den Arbeiter*innen vorbei aufgezogen. Sondern mit ihnen.

Miteinander, nicht gegeneinander

Dementsprechend kommen im Film auch vier VW-Angestellte zu Wort. »Als ich davon gehört habe, dass Menschen nach Wolfsburg kommen, war das für mich ein großes Geschenk«, sagt etwa der langjährige Arbeiter und VW-Betriebsrat Lars Hirsekorn. Und Micha Werner, der seit den 2000ern bei VW am Band steht, sagt: »Ich habe immer gehofft, dass sich hier etwas tut.«

Und wie sich etwas getan hat. Kurz nachdem das »Aktions- und Projekthaus« Amsel44 mithilfe einer Stiftung gekauft wurde, besetzten die Aktivist*innen einen Acker, den der Autobauer zu versiegeln beabsichtigte, um dort die E-Limousine »Trinity« zu produzieren. Ende 2022 legte VW die Pläne dann auf Eis. »Ich glaube nicht, wegen unseres Protests«, sagt Aktivistin Lotte Herzberg im Film. »Sondern weil VW nicht schnell genug war, die notwendige Software zu entwickeln.« Ein Symbol für die Krise des Konzerns.

Wie ist es für die Arbeiter*innen, für einen Konzern im Notstand zu arbeiten? Auch davon handelt der Film. »Man kann den Leuten die Sorgen ansehen«, sagt Werner. »Die meisten haben die Befürchtung, dass das mit dem E-Auto nicht richtig hinhauen wird.« Es ist wohl auch diese Angst – die nicht erst seit der Kündigung der Tarifverträge um sich greift –, die Arbeiter*innen und Aktivist*innen zusammengeschweißt hat.

VW steht für Verkehrswende

Denn die Kampagne erzählt eine positive Vision für VW. Das Kürzel »steht für Verkehrswende«, so ein Slogan. Einmal stoppten die Aktivist*innen einen mit VW-Autos beladenen Zug kurz nach Verlassen des Werks und verkleideten ihn mit einem riesigen Banner als Straßenbahn. »Die erste Straßenbahn verlässt das Werk«, so die Botschaft mit Hinblick auf die Forderung eines Umbaus des Konzerns, hin zu einem Produzenten für den ÖPNV-Sektor.

Auch dem Frust auf die Chefetage konnten die Amsel44-Bewohner*innen anders Ausdruck verleihen als die Angestellten. Ein Tortenwurf auf Großaktionär Wolfgang Porsche schaffte es sogar in die internationale Presse. Das Geburtstagsgeschenk der anderen Art sollte nicht nur Kritik am Unternehmen ausdrücken, sondern auch an der mangelnden Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Familie Porsche und von VW.

Zwei Jahre lang konnte Rosswog mit seinen Mitstreitern »das Undenkbare denkbar, das Unmögliche möglich« machen. Dafür sei er unglaublich danbkar, erzählt er dem »nd«. In der aktuellen Krise sieht er auch ein »Möglichkeitsfenster«. Er hoffe, dass die kämpferische Attitüde, die man aktuell von der IG Metall vernimmt, nicht nur leere Worte sind. Dann verweist er auf den Widerstand von Angestellten der VW-Tochter Audi gegen die drohende Werksschließung in Brüssel. Dort brennen Autoreifen und es fehlen 200 Schlüssel von fabrikneuen Fahrzeugen. Kreativer Aktivismus wie aus dem Film.

Mehr Informationen zum Film samt Vorstellungsterminen:  
film.verkehrswendestadt.de, der Film kann auch auf de.labournet.tv gestreamt werden.

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