Jeremy Eichler erinnert an Musik wider Judenhass

Der Musikkritiker erinnert an vier Komponisten, deren Werke gerade heute wieder hochaktuell sind

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 3 Min.
Dimitri Schostakowitsch, 1960 in Dresden
Dimitri Schostakowitsch, 1960 in Dresden

Ein Monument der Monumente, ein überwältigendes Buch gegen Antisemitismus und Krieg, ein musikgeschichtliches Meisterwerk: Jeremy Eichler hat mit »Das Echo der Zeit« eine einzigartige Perspektive auf die grauenvollste Epoche der europäischen Geschichte eingenommen. Anhand von Leben und Werk der vier wohl bedeutendsten Komponisten dieser Zeit blickt er empathisch auf das Leiden und die Vernichtung der europäischen Juden und auf die Verheerungen von zwei Weltkriegen. So unterschiedlich die Musik der von ihm vorgestellten vier Genies, so auch ihr Leben – zwischen Triumph und Außenseiterstellung.

Richard Strauss war kein Mitglied-Nazi, bekleidete aber hohe Funktionen in Hitlerdeutschland. Kurz nach dem Krieg komponierte er seine »Metamorphosen« mit dem rätselhaften Schlusswort »In Memoriam« – wessen eingedenk?

Der Jude Arnold Schönberg stand auch, als er die Zwölftonmusik erfand, immer in der Tradition der von Deutschen entwickelten Musikkultur. Als Emigrant komponierte er »A Survivor from Warsaw«, ein nur sieben Minuten langes Stück mit dem überwältigenden Schlusschor des »Shm’a Jisrael«, dem jüdischen Glaubensbekenntnis.

Benjamin Britten war als Pazifist und Kriegsdienstverweigerer während des Zweiten Weltkriegs in seiner Heimat im Abseits, als Schwuler ohnehin. Als er dann längst der geachtetste Komponist Englands war, ereilte ihn der Auftrag, eine Komposition zur feierlichen Eröffnung der neuen Kathedrale von Coventry zu schreiben. Der ehrwürdige alte Bau war von der deutschen Luftwaffe zerbombt worden, die Ruine mahnt seitdem gegen den Krieg. Britten komponierte sein »War Requiem«, in dem er auf den in England als Great War erinnerten, den Ersten Weltkrieg zurückgriff.

Dmitri Schostakowitsch wiederum überlebte den Stalinismus nur knapp. Als er durch ein Gedicht von Jewgeni Jewtuschenko vom Nazi-Massaker in Babi Jar und dessen Vertuschung durch die sowjetischen Machthaber erfuhr – »Es steht kein Denkmal in Babi Jar« –, schrieb er seine anklagende 13. Symphonie, die es in der Sowjetunion schwer hatte, aufgeführt zu werden.

Jeremy Eichler ist der vielleicht wichtigste Musikkritiker in den USA, er schrieb für die »New York Times« und jetzt für den »Boston Globe«. Es geht ihm um noch heute durch die Gesellschaften wabernden Antisemitismus, um Vorbehalte gegenüber Pazifisten, um Einschüchterungen durch Diktatoren. Dabei ruft er bewegende Szenen auf, etwa wenn er beschreibt, wie Britten zusammen mit Yehudy Menuhin wenige Wochen nach Kriegsende im KZ Bergen-Belsen vor »Deplaced Persons« spielt – Violine mit Klavierbegleitung. Oder auch an die unglaubliche Welt-Uraufführung von Schönbergs »A Survivor from Warsaw« in einer Kleinstadt von Albuquerque im Wüstenhochland von New Mexiko erinnert. Amateurmusiker hatten das schwierige Stück eingeübt, das Shm’a Jisrael sang ein Chor, in dem auch Cowboys mitwirkten. Eines der großen Orchester der USA sollte diese Uraufführung spielen, aber sie wurde – aus welchen Gründen, darf man rätseln – immer wieder verschoben.

Auf dem Grabstein von Schostakowitsch sind die Noten D EsCH eingraviert, das deutsche Akronym seines Namens: Dmitri SCHostakowitsch.

Jeremy Eichler: Das Echo der Zeit. Die Musik und das Leben im Zeitalter der Weltkriege. A.d. Amerik. v. Dieter Fuchs. Klett-Cotta, 463 S., geb., 32 €.

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