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Der dauerhafte Inflationsschub
Auch wenn die große Teuerungswelle überstanden ist – die Preise für Lebensmittel und Wohnen bleiben sehr hoch
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am Donnerstag erneut ihren wichtigsten Leitzins gesenkt – diesmal um 0,25 Punkte auf 3,5 Prozent. Angesichts gefallener Inflationsraten war der Zinsschritt allgemein erwartet worden. »Ich denke, das Schlimmste haben wir hinter uns«, äußerte Bundesbankpräsident Joachim Nagel kurz vor der Zinsentscheidung in einem Interview. Nachdem die jährliche Teuerungsrate im Euroraum im Oktober 2022 mit rund 10,6 Prozent einen Höchststand erreicht hatte, betrug sie im August 2024 nur noch 2,2 Prozent, in Deutschland sogar nur noch 1,9 Prozent. Damit liegt sie innerhalb des von der Europäischen Zentralbank festgelegten Zielkorridors von zwei Prozent. Weitere Zinssenkungen werden für die kommenden Monate erwartet.
Dennoch ist die Entwarnung von Bundesbankpräsident Nagel mehr als zweifelhaft, denn die zurückliegende Inflationswelle hat viele Lebensmittel, Mieten und andere Güter des täglichen Bedarfs für die Verbraucher deutlich und dauerhaft verteuert. Zudem gibt es auch auf kurze Sicht nach wie vor spürbare Teuerungen, wie die vor wenigen Tagen veröffentlichte detaillierte Preisübersicht des Statistischen Bundesamts (Destatis) in Wiesbaden für den Monat August zeigt. Butter beispielsweise ist heute um ein Fünftel teurer als noch vor einem Jahr. Auch bei Speiseölen und Nahrungsmittelgruppen wie Zucker, Marmelade, Honig und Süßwaren sowie Obst und Gemüse sind spürbar höhere Preise zu verzeichnen. Außerdem habe es »weiterhin überdurchschnittliche Preiserhöhungen bei Dienstleistungen«, etwa von Handwerkern, gegeben, lässt sich Destatis-Präsidentin Ruth Brand in einer Mitteilung zitieren.
Die Nahrungsmittelpreise stiegen in diesem Inflationszyklus um durchschnittlich 32,6 Prozent.
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Wenn die Inflationsrate insgesamt jetzt wieder etwas niedriger ausfällt, liegt dies hauptsächlich an aktuellen Preisrückgängen bei Energie. Und eine gedämpfte Inflationsrate bedeutet auch nicht, dass die Preise wieder auf das alte Niveau fallen. Die detaillierten Zahlen der Bundesstatistiker sprechen Bände: Das letzte Jahr, bevor die Preise zu galoppieren begannen, war 2020. Seither stieg der sogenannte Verbraucherpreisindex (VPI) um sagenhafte 19,4 Prozent. Der VPI gibt an, wie sich ein festgelegter Korb mit repräsentativen Waren und Dienstleistungen entwickelt, die sich ein durchschnittlicher Privathaushalt zu Konsumzwecken kauft.
Der Index ist das gängige Maß für die Inflation in Deutschland und im Euroraum. Die Zusammensetzung des Warenkorbs ist unter Ökonomen dabei sehr umstritten. So geben beispielsweise Familien mit Kindern überproportional viel Geld für Nahrungsmittel und Miete aus, was der Warenkorb nicht vollständig abbildet. Das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in Düsseldorf wies während des Inflationshochs wiederholt darauf hin, dass ärmere Familien und »kleine« Rentner die höchste individuelle Inflationsrate zu tragen hätten, einkommensstarke Singles hingegen die niedrigste.
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Wie dramatisch die Entwicklung ist, zeigt auch ein Blick auf die Nahrungsmittelpreise: Diese sind während des Inflationszyklus um durchschnittlich 32,6 Prozent gestiegen – wir zahlen also für Brot, Fleisch und Gemüse rund ein Drittel mehr als vor der Inflationswelle. Überboten wird dies noch durch die Energiepreise (45,7 Prozent), die Warmmieten und Heizkosten in die Höhe schießen ließen. Löhne, Einkommen und Renten konnten hier in vielen Fällen nicht mithalten. Viele Menschen in Deutschland und Europa sind damit heute deutlich ärmer als noch zu Beginn des Jahrzehnts.
Selbsterklärtes Ziel der Europäischen Zentralbank ist eine »niedrige, stabile und berechenbare« Inflation mit einem jährlichen Preisanstieg von 2 Prozent. Über diese Frage, ob die EZB selbst zu einem stärkeren Anstieg beigetragen hat, ist unter deutschen Ökonomen ein heftiger Streit entbrannt, der unter anderem in der Fachzeitschrift »Wirtschaftsdienst« ausgetragen wird. Um die steigenden Preise zu drücken, hatte die EZB seit Sommer 2022 ihren Leitzins in zehn Schritten bis auf 4,5 Prozent erhöht. Dadurch verteuerten sich jedoch auch die Kredite. Für etwa sieben Millionen Haushalte, die Immobilienkredite – mit einem Gesamtvolumen von 1500 Milliarden Euro – aufgenommen haben, bedeutete dies teilweise drastisch gestiegene Zinsausgaben, wie etwa Johannes Schwanitz, Professor an der Fachhochschule Münster, anmerkt. Die höheren Zinsausgaben der Häuslebauer werden – anders als Mietsteigerungen – jedoch nicht im Warenkorb für den Verbraucherpreisindex berücksichtigt.
Ob nach der weiteren Zinssenkung die Inflation ihren Schrecken verliert, bleibt also abzuwarten. Zwei Jahre nach dem schnellen Anstieg auf das höchste Zinsniveau der EZB-Geschichte kommt der Zentralbankrat zu dem Ergebnis, dass mit einem Anteil von 75 Prozent »Angebotsschocks als Ursache für die Abweichung der Inflationsrate von ihrem Mittelwert gelten können«. Der Angebotsschock bestand in den rasant steigenden Energiepreisen auf dem Weltmarkt, was auch die Preise für Agrarrohstoffe in die Höhe trieb. Auf solche externen Schocks hat aber die Geldpolitik generell keinen Einfluss. Das gilt auch für die Zukunft.
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