Jugendpsychiatrie in Berlin: 20 Anfragen, eine Aufnahme

Kinder- und Jugendpsychiatrien stoßen an ihre Grenzen

Die Wartezeiten für einen Platz in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie sind lang.
Die Wartezeiten für einen Platz in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie sind lang.

Depressionen, Verhaltensstörungen, Suchterkrankungen – nicht nur Erwachsene können an diesen psychischen Krankheiten leiden, sondern auch Kinder und Jugendliche. Die Krankheitsbilder mögen sich ähneln, aber die Behandlung erfordert häufig eigene Ansätze. »Kinder und Jugendliche sind nicht einfach nur kleine Erwachsene«, sagt Tobias Hellenschmidt. Der Oberarzt leitet die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Vivantes-Klinikum Neukölln. Man brauche grundlegend andere Therapieansätze als für Erwachsene, weil die Bedürfnisse und Notlagen der Minderjährigen einzigartig seien.

Hellenschmidt spricht am Montag vor dem Gesundheitsausschuss des Abgeordnetenhauses. Kinder- und jugendpsychiatrische Einrichtungen würden aktuell vermehrt nachgefragt, sagt er. »Wir sehen eine persistiernde Zunahme von Störungen«, sagt auch Thomas Schirmer, Leiter des kinder- und jugendpsychiatrischen Diensts des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. Man beobachte, dass immer mehr Jugendliche an Essstörungen oder Störungen des Sozialverhaltens erkrankten. »Nicht nur die Zahl der Störungen steigt, auch die Schwere der Erkrankungen nimmt zu«, sagt Schirmer.

Die Ursachen seien divers. »Man kann das nicht nur den Pandemie-Maßnahmen zuschreiben«, sagt Schirmer. Gleichwohl zeige Corona noch immer Nachwirkungen bei den Jugendlichen. »Psychische Störungen haben in dieser Zeit begonnen oder sich verschlimmert«, ergänzt auch Psychiater Hellenschmidt. Vor allem pandemiebedingte Schulschließungen hätten vielen Jugendlichen zugesetzt. »Das ist ein wichtiger Lebensraum für die Jugendlichen«, so Hellenschmidt.

Aber auch die Jugendpsychiatrie selbst habe unter der Pandemie gelitten. Kontakte zur Jugendhilfe und zu Familiengerichten seien in dieser Zeit abgebrochen. »Das erschwert natürlich die Behandlung«, sagt Hellenschmidt. Viele Patienten seien deswegen länger in Behandlung gewesen als eigentlich geplant – und verstärkten das Platzproblem so.

Nun stößt die Kinder- und Jugendpsychiatrie an ihre Grenzen. »Alle Praxen haben einen Aufnahmestopp«, sagt Gesine Schwietering. Sie betreibt eine sozialpsychiatrische Praxis und engagiert sich im Berufsverband der Kinder- und Jugendpsychiater. »Bei uns kommen jede Woche 20 Anfragen rein, aber nur eine Person kann neu aufgenommen werden«, sagt sie. Wenn sie Patienten an Fachkliniken weiterleiten wolle, sei eine Aufnahme zumeist nur in akuten Krisensituationen möglich. »Bei geplanten Klinikaufenthalten gibt es Wartezeiten bis zu einem Jahr«, so Schwietering. In der Zwischenzeit müssten die Patienten dann weiter ambulant behandelt werden, wodurch wiederum keine neuen Patienten aufgenommen werden könnten. So entstehe ein Stau.

Damit die Jugendlichen behandelt werden können, müssen sie allerdings selbst einen Arzt oder einen Therapeuten aufsuchen. Häufig geschieht das nicht. »Jugendliche suchen selten professionelle Hilfe«, sagt die Psychiaterin Karolina Leopold vom Urban-Krankenhaus – noch seltener als Erwachsene. Informationsveranstaltungen für psychische Gesundheit orientierten sich häufig an der Lebenswelt von Erwachsenen. »Das ist wie ein Angebot für Gehbehinderte im zehnten Stock eines Hochhauses«, sagt Leopold.

Wie es besser gehe, zeige ein Beispiel aus Kreuzberg, führt die Psychiaterin an: Im »Soulspace« würden verschiedene Angebote zusammengeführt. An dem Projekt seien sowohl Jugend- als auch Erwachsenenpsychiater beteiligt, um die Übergänge in verschiedene Therapieformen mit Erreichen der Volljährigkeit zu erleichtern. In dem Haus seien auch psychosoziale und Berufsberatungen untergebracht. So könne man ein niedrigschwelliges Angebot bieten und Krankheiten früh erkennen. »Wir gucken, ob es nur eine Krise ist oder ob sich eine psychische Krankheit entwickelt«, so Leopold.

Doch auch hier spürt man den Platzmangel. »Wir können uns nicht retten vor Anfragen«, sagt Leopold. Daher gebe es die Überlegung, das Angebot nur noch für junge Menschen aus dem Bezirk offenzuhalten. Oder eine Triage einzuführen – also nur noch schwere Fälle zu behandeln. »Aber das würde dem Präventionsgedanken widersprechen«, sagt Leopold. Denn eigentlich soll sich das Angebot gerade an Jugendliche richten, deren Krankheit noch in einem frühen Stadium verharrt.

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