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Scheinwelten an der Elbe
Elphilharmonie, Reeperbahn und Hafenidyll – die mediale Inszenierung Hamburgs reproduziert immer wieder Stereotypen
Aus einem buchstäblichen »Leuchtturmprojekt«, das Hamburg ein neues Wahrzeichen beschert hätte, wird womöglich nichts. Seit Oktober 2023 stehen die Arbeiten am Elbtower still. Geplant als mit 245 Metern dritthöchstes Hochhaus Deutschlands präsentiert sich nun allen, die sich der Stadt von Süden nähern, eine hundert Meter hohe Ruine, die im Volksmund »kurzer Olaf« genannt wird. »Ich als Bürgermeister möchte, dass die Hamburger sagen, das hat Scholz gut gemacht«, wünschte sich der heutige Bundeskanzler noch im Februar 2018, nachdem er mit René Benko über den Bau des Hochhauses handelseinig geworden war. Es kam anders. Das »Imperium« des Immobilienspekulanten ist inzwischen zusammengebrochen.
Bei der Elbphilharmonie ist das Versagen zum Gelingen geworden. Zwar hat die Konzerthalle am Hafen 866 Millionen Euro verschlungen, 789 Millionen mehr als ursprünglich veranschlagt, aber im Hinblick auf Täuschung und Selbsttäuschung hat sich das Unternehmen ausgezahlt und niemand musste die Verantwortung für die Verschwendung von Steuergeldern übernehmen. Die »Elphi« steht für Hamburg wie der Dom für Köln – und der brauchte immerhin 600 Jahre, bis er fertig war. Inzwischen kommt kein Film des öffentlich-rechtlichen Norddeutschen Rundfunks (NDR) mehr ohne die Elbphilharmonie aus.
Das neue Wahrzeichen am Hafen ist für die mediale Darstellung der Hansestadt von enormer Bedeutung. Mit der Lebenswelt der Hamburger haben solche Inszenierungen aber nur bedingt etwas zu tun. Ihr Alltag spielt sich woanders ab, abseits der Kameras und Reporter, die immer wieder aufs Neue eine künstliche mediale Welt abseits der Lebensrealität erschaffen.
Eine Stadt, die es so nicht gibt
Die Schauplätze der ZDF-Serie »Notruf Hafenkante« sind beispielsweise so gewählt, dass die touristischen Highlights der Stadt ständig im Bild sind, als ob sich die geschilderte angeblich alltägliche Polizeiarbeit der 1,8-Millionen-Einwohner-Stadt nur auf wenigen Quadratkilometern abspielen würde, die auch Auswärtigen geläufig sind.
Das Revier der TV-Polizisten, die von einer Dienststelle direkt am Hafen ihre Einsätze starten, hat dabei einen eigenartigen Zuschnitt. Es umfasst keineswegs nur die umliegende Gegend, die noble Hafen-City und St. Pauli um die Reeperbahn. Immer nur Rotlicht-Kriminalität oder reiche Reeder zu zeigen, wäre auf Dauer recht eintönig. Auch »ganz normale« Verbrechen sollen in der Serie auftauchen, und deshalb haben sich die Drehbuchautoren die Topografie der Stadt so zurechtgestellt, dass die Polizisten auch Einsätze in einer Einfamilienhaussiedlung oder einem Hochhausviertel haben. Die aber gibt es nicht in Hafennähe. In der Realität wäre dafür eine andere Polizeiwache zuständig.
Eine andere ZDF-Serie, »Soko Hamburg«, bezieht ihr Lokalkolorit daraus, dass sie die Kriminalbeamten in die Obstbauernidylle an der Süderelbe schickt. Merkt in Stuttgart oder München keiner, dass die Hamburger Polizei dort nicht zuständig ist, weil die stets malerisch abgebildeten Dörfer in Niedersachsen liegen? Hamburg hat mit den Vierlanden zwar eigene Bauerndörfer, aber die sind den Drehbuchdichtern womöglich nicht niedlich genug.
Früher wurden Filme mit einem Disclaimer versehen, wonach Übereinstimmungen von Personen und Handlungen mit der Wirklichkeit rein zufällig wären. Das wird inzwischen als bekannt vorausgesetzt. Was gegenwärtig fehlt, ist ein Hinweis, dass die Kombination der gezeigten Orte und Handlungen reine Fiktion ist; das Hamburg auf dem Bildschirm sieht zwar aus wie die tatsächliche Stadt, aber bei genauer Betrachtung ist das eine Inszenierung einer Scheinwelt.
Eine wichtige Rolle dabei spielen Sehenswürdigkeiten. Die Elbphilharmonie hat inzwischen die Hauptkirche St. Michaelis als Wahrzeichen abgelöst, das ehedem vor allem auf Postkarten reproduziert wurde. Der Michel hatte den Nachteil, dass er eigentlich nichts mit dem Hafen zu tun hatte. Also wurde er gern von der Elbe aus fotografiert, mit Schiffen und den Landungsbrücken im Vordergrund.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts rühmt sich Hamburg als »Welthafenstadt«. In den 1920er Jahren etablierte sich der Beiname »Tor zur Welt«. Nachforschungen, die von der Pressestelle des Senats im Jahr 1940 angestellt wurden, entdeckten als früheste Erwähnung des Slogans einen Roman von 1916. Das »Tor« ist darin bezeichnenderweise verschlossen, weil durch den Ersten Weltkrieg keine Schiffe mehr aus Übersee den Hafen anliefen. Ein Roman des Bestseller-Autors Frank Thiess mit dem Titel »Das Tor zur Welt« machte 1926 die Hafenstadt populär.
International ist die Reeperbahn zu einem Aushängeschild der Stadt geworden. Das Vergnügungsviertel von St. Pauli wurde auf Postkarten beworben, die seit den 1960er Jahren auch sexuell expliziter wurden. Es folgten zahllose Spielfilme und Dokumentationen, die im Milieu von Prostituierten und Ganoven angesiedelt sind. Das Bild der Reeperbahn und der umliegenden Straßen als Tummelplatz für Seeleute auf Landgang entsprach aber längst schon nicht mehr der Wirklichkeit, als mitten im Krieg 1943/44 der ikonische Film »Große Freiheit Nr. 7.« entstand, der mit Hans Albers das maritime Image von Hamburg geradezu für die Ewigkeit festhielt.
Hafenfolklore zieht immer
»Die Hansestadt kommt mit allen für die Fremdenwerbung wichtigen Plätzen ins kolorierte Breitwandbild«, schrieb »Der Spiegel« 1954 über einen weiteren Spielfilm mit Albers in der Hauptrolle. In dem Streifen »Auf der Reeperbahn nachts um halb eins« spielt er erneut einen Seemann, der sich als »Landratte« durchschlägt. Ihm wurde vier Jahre nach seinem Tod 1964 ein Platz im Rotlichtviertel gewidmet. 1984 kaufte der Düsseldorfer Maler Jörg Immendorff eine Kneipe in der Nähe und stellte vor dem »La Paloma« 1986 eine Statue des »blonden Hans« mit Schifferklavier auf. Die Hafenfolklore floriert noch immer.
Blutige Revierkämpfe um die Reeperbahn machten in den 1980er Jahren deutlich, dass das Milieu nur im Film traulich ist. Bis heute gehören Berichte über gewalttätige Auseinandersetzungen zum Bild von St. Pauli und machen die Gegend für Besucher womöglich durch den Hauch von Gefahr noch anziehender. Der NDR mischt dabei kräftig mit, das Rotlichtviertel als Markenkern der Stadt auszuweisen. Im Juni wurden Stellen für einen Podcast über Sexarbeit ausgeschrieben. »Webcam-Girls, Tantra-Masseurinnen oder Straßenprostituierte« sollten von ihrem Alltag berichten – ein Privileg, das andere Berufsgruppen nicht haben.
Etwa die Hafenarbeiter, denen nur Aufmerksamkeit zuteil wird, wenn sie streiken. Wie aktuell. Die Gewerkschaft Verdi strebt für sie einen Sozialtarifvertrag an, der die rund 6600 Beschäftigten vor sozialen und gesundheitlichen Folgen des geplanten Konzernumbaus der Hamburger Hafen und Logistik (HHLA) schützen soll. Das Stadtparlament, die Bürgerschaft, hat Anfang September beschlossen, 49,9 Prozent des städtischen Logistik-Konzerns der weltgrößten Reederei MSC zu übereignen. Die Beschäftigten stehen wohl vor einer ungewissen Zukunft.
Eine wichtige Rolle bei der medialen Inszenierung Hamburgs spielen die Sehenswürdigkeiten der Stadt.
Für durchschnittliche Hamburger spielt allerdings der Hafen im Alltag kaum eine Rolle. Sie gehen nur zur Elbe oder auf die Reeperbahn, wenn sie Besuch aus der Fremde haben, mit denen sie ein touristisches Programm absolvieren. Diese Hotspots gehören zweifellos auch zur Hansestadt, aber sie leben meistens in Vierteln, die unaufgeregter sind, wo allenfalls alle paar Monate ein Kamerateam des NDR hinkommt, wenn es Sonderberichte über die Stadtteile bringt, die sonst nicht im Programm vorkommen. Das »Hamburger Abendblatt« berichtet als auflagenstärkste Zeitung regelmäßig nur über gastronomische Betriebe aus verschiedenen Stadtteilen. Oder über Skandale.
Niendorf lieferte beispielsweise im Frühjahr einen solchen, nachdem bekannt wurde, dass in einem aufgegebenen Altenheim eine Obdachlosenunterkunft eingerichtet werden sollte – und Anwohner dagegen protestierten. »Wir haben uns gezielt Niendorf ausgesucht, um dort zu leben. Es ist ein Bullerbü-Leben, in dem wir die Kinder frei groß werden lassen können«, wurde eine Bürgerin zitiert. Eine andere Mutter behauptete, sie weine sich jeden Abend in den Schlaf. Das »Abendblatt« schildert das Leben der wohlbehüteten Mittelschicht, die sich nach unten abgrenzen will.
Wer keine Wohnung hat, dem wird oft eine Nähe zur Kriminalität nachgesagt. Der rot-grüne Senat der Hansestadt ist von diesem Vorurteil nicht ausgenommen. Als Quelle des Unheils hat der Innensenator Andy Grote (SPD) den Hauptbahnhof und die angrenzenden Einkaufsstraßen ausgemacht. Dort wurde eine Waffen- und Alkoholverbotszone ausgerufen. Die Zeitungen suchen seitdem nach Schlagzeilen und berichteten über jeden Messerfund.
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Mittlerweile hat die Verdrängung der Ärmsten funktioniert. Am Hauptbahnhof sieht man keine der nach konservativen Schätzungen 2000 Obdachlosen mehr. Sie sind natürlich nicht verschwunden, sondern haben sich über das ganze Stadtgebiet verteilt. Man kann sie in Niendorf ebenso sehen wie am Eppendorfer Baum, in der Hoheluftchaussee oder am Rödingsmarkt. Sie treten nicht wie rund um den Hauptbahnhof in Gruppen auf, sondern drücken sich einzeln in eine Hausecke, was ihre Chance erhöht, von Polizei, Sicherheitsleuten oder besorgten Anwohnern in Ruhe gelassen zu werden.
Am dichtesten an der alltäglichen Wirklichkeit dran sind die kostenlosen Wochenzeitungen, die wie das »Abendblatt« zur Funke-Mediengruppe gehören. Unaufgeregt berichten sie aus den Vierteln, sie bilden den Alltag ab. Weil sie aber durch Anzeigen finanziert werden und ihr personeller Spielraum gering ist, kann man keine eingehende Recherche erwarten.
Vom einstigen Ruf der »Pressehauptstadt« ist in Hamburg dagegen nicht mehr viel übrig. Die in der Stadt ansässigen Verlage von »Spiegel« und »Zeit« werfen zwar noch ein besonderes Augenmerk auf die Ereignisse vor ihrer Haustür. Aber deren Häuser stehen in der Innenstadt und am Hafen. Auch ihr Blick ist beschränkt. Bei »Spiegel-TV« ist Hamburg eine Chiffre für pittoreskes Elend. Reportagen zeigen regelmäßig Szenen aus einem bestimmten Supermarkt auf St. Pauli. Oder sie begleiten wohlwollend Polizeistreifen rund um den Hauptbahnhof. Der Rest der Stadt ist unterbelichtet. Zwischen den medialen Inszenierungen und der Wirklichkeit klafft ein Abgrund.
Gegenwärtig wird als neues Wahrzeichen ein ehemaliger Flakbunker auf dem Heiligengeistfeld etabliert. Der Betonklotz wurde zum Hotel umgebaut und mit einem begrünten Dach versehen, das über einen »Bergpfad« erklommen werden kann. Von dort kann man bei klarer Sicht den »kurzen Olaf« erblicken.
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