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KPÖ-Wahlkampf: Feiern und kämpfen auf dem Klassentreffen
Die KPÖ hat die heiße Phase im Wahlkampf eingeleitet. Abgestimmt wird in Österreich Ende September
Es war ein paar Tage vor den Unwettern, als die Hitze noch in den Straßen Wiens flirrte, die längst mit Wahlkampfplakaten gepflastert sind. An jeder zweiten Ecke grinst Passant*innen Herbert Kickl, Spitzenkandidat der rechten Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), entgegen. Als sei er der Messias, prangt über seinem Wahlslogan »Euer Wille geschehe«. Auf dem Weg Richtung Prater, dem traditionsreichen Naherholungsgebiet der Wiener*innen, wechselt die Posterlandschaft. Immer mehr Spitzenkandidat*innen der Kommunistischen Partei (KPÖ) erscheinen auf Fotos, dazwischen ein Waschbär im Comic-Stil, der die Kürzung von Politiker*innengehältern fordert.
Auf ein vereinzeltes FPÖ-Plakat hat jemand mit Marker »Ob im Himmel oder auf Erden, Hauptsache auf Kickls Pferden« geschrieben – eine Anspielung auf die Zeit, als Kickl sich als Innenminister in den Kopf gesetzt hatte, eine berittene Polizeistaffel einzuführen. Bald darauf leuchtet ein rotes Banner auf. Je näher man der Jesuitenwiese kommt, desto stärker riecht es nach Baumkuchen. Im Prater ist dieses Wochenende »Volksstimmefest«.
Das KPÖ-Fest findet seit 1946 am Wochenende vor Schulbeginn statt. Hier tummelt sich einmal pro Jahr ein Querschnitt der österreichischen Linken, um die 70 000 Menschen – man könnte sagen, es ist ihr Klassentreffen. Dieses Jahr herrscht dort eine besondere Stimmung, was sich in einer neuen Begrüßung abzeichnet. »Bist du auch schon dabei?«, lautet sie an den Essens-, Getränke- und Informationsständen. Damit ist gemeint: Mitglied der kommunistischen Partei. Jahrzehntelang war die KPÖ eine »Null-Komma-Partei«, bei Wahlen kratzte sie an einem Prozent. Auch weil sie es verpasste, mit der Zeit zu gehen. Einzig die steirische KPÖ feiert seit 2005 Wahlerfolge, weil sie charismatische Spitzenkandidat*innen hat und eine geschickte Servicepolitik betreibt.
Neuerdings weitete sich dieser Erfolg jedoch aus. In Salzburg erreichte KPÖ-Spitzenkandidat Kay Michael-Dankl die Stichwahlen um das Bürgermeisteramt; in Innsbruck zog die Partei im Frühling in den Gemeinderat ein. Derzeit steht sie in Umfragen bundesweit bei drei Prozent, und plötzlich macht sich Hoffnung breit: Ob Ende September der Einzug ins österreichische Parlament erstmals seit 1959 klappt? Knackt die KPÖ die Vier-Prozent-Hürde? Oder schafft sie einen Einzug über ein steirisches Grundmandat? Hört man sich auf dem »Volksstimmefest« um, scheinen viele daran zu glauben.
Einer jener Gläubigen ist Michael Graber. Er sitzt mittags in rotem T-Shirt unter einer Plane des Favoriten-Stands im »KPÖ-Dorf«, einem der fünf Bereiche des »Volksstimmenfests«. Favoriten ist einer der ärmsten sowie traditionellen Arbeiter*innenbezirke Wiens, Graber dort KP-Bezirkssprecher. Außerdem ist er Obmann des Zentralverbands der Pensionisten und ein KPÖ-Urgestein. 1967 trat er als 19-Jähriger der Partei bei, seine Mutter war bereits zuvor in der Leitung des »Volksstimmefests« gewesen. »Ich bin faktisch hier aufgewachsen«, fasst es Graber zusammen und sieht sich auf der Jesuitenwiese um.
Er erinnert sich an Zeiten, als das Fest doppelt so groß war, vor den 90er Jahren, als Staaten wie Ungarn, Tschechien und die DDR mit eigenen Ständen vertreten waren. Um die Wiese fand damals jährlich ein Radrennen statt, erinnert Graber sich. Es gab Box- und Judoturniere, zwei Weltrekorde im Gewichtheben wurden auf dem Fest aufgestellt. 1963 drückte Juri Petrowitsch Wlassow auf dieser Grünfläche 190,5 Kilo – heutzutage kennt man ihn als Vorbild von Arnold Schwarzenegger.
Während Graber über die Zeiten sinniert, als er auf dem Fest Tombolalose für Autos, Motorräder und Waschmaschinen verteilte, beginnt um ihn herum geschäftiges Treiben. Auf der Bühne nebenan werden Gitarren gestimmt, ein Schlagzeug wird ausprobiert, jemand singt »Ich habe euch so satt, ihr verdammtes rechtes Pack« beim Soundcheck in ein Mikrofon. Später wird auf der Bühne nebenan die Grazer KPÖ-Bürgermeisterin Elke Kahr das Fest und den Wahlkampf einläuten. Der offizielle Auftakt fand bereits am Vortag vor dem Wiener Parlament statt, weil unklar war, wie präsentabel das »Volksstimmefest« Samstagabend für Journalist*innen sein würde. Deswegen bugsierten die KPÖ-Listenersten bereits freitags symbolische Umzugskartons ins Parlament. Das Hauptthema der Kommunist*innen bleibt im Wahlkampf jenes, auf das sie seit Jahren setzen: »Leistbares Wohnen«. 27 Prozent ihres Einkommens gaben die österreichischen Haushalte 2023 durchschnittlich für Wohn- und Energiekosten aus, 34 Prozent in Wien. Das scheint im internationalen Vergleich niedrig. Doch vor allem in den Städten wächst der Investitionsleerstand und das Verhältnis von kommunalem und privatem Wohnraum verschiebt sich zunehmend.
Damit, und auch mit einem zweiten großen Thema im Wahlkampf, der Kindergrundsicherung, fischt die KPÖ in den Gewässern der Sozialdemokratie (SPÖ). Seit die Grünen in der Regierung jene Reform in der auslaufenden Legislaturperiode nicht umsetzen konnten, schreibt sich auch SPÖ-Spitzenkandidat Andreas Babler das Thema Kinderarmut auf die Fahnen.
Eine Forderung nach einer Energiegrundsicherung sei dagegen bisher Alleinstellungsmerkmal der KPÖ, meint Graber. Die Idee ist simpel: Ein Grundkontingent an Energie soll für alle kostenlos sein, erhöhter Energieverbrauch dafür teurer werden. Auf ein Wahlplakat hat es diese Forderung aber nicht geschafft. Wohl auch, weil Energie derzeit ein heikles Thema in Österreich ist. Denn bis heute bezieht das Land mehr als 80 Prozent seiner Gasimporte aus Russland.
Stattdessen setzt die KPÖ auf die Pflege – vertreten durch die Listen-Zweite und Pflegerin Bettina Prochaska – und auf die Forderung nach niedrigeren Gehältern in der Politik. Letzteres ist ein weiterer Dauerbrenner der österreichischen Kommunist*innen, die seit Jahren auf den Großteil ihrer Bezahlung verzichten. Aus dem bestimmenden Thema des Wahlkampfs, Sicherheit, das spätestens mit einem vereitelten Terroranschlag auf ein Taylor-Swift-Konzert im August an Fahrt aufnahm, hält sich die KPÖ bewusst heraus.
Spaziert man vom Favoriten-Stand in der Nähe des Festeingangs weiter, landet man im »Solidaritätsdorf«, mit Ständen zu Rojava und später auf der »Initiativenstraße«, wo, wie Graber es ausdrückt, alle linken Initiativen vertreten sind, egal, ob sie mit der Kommunistischen Partei einverstanden sind oder nicht. »Wir sind da großzügig«, sagt Graber mit einem Augenzwinkern.
Passiert man das Kettenkarussell des »Kinderdorfs«, erreicht man den Ort, an dem es am stärksten nach Baumkuchen duftet. Dort steht ein Zelt, symbolisch für die linke Einigkeit am »Volksstimmefest« und im Wahlkampf. Unübersehbar wehen die violetten Fahnen von Links im Wind. Die Bewegungspartei entstand 2020 aus dem Widerstand gegen die rechts-konservative Regierung Türkis-Blau. Bei den kommenden Nationalratswahlen tritt Links gemeinsam mit der KPÖ an – um alle linken Kräfte zu bündeln, sagt Graber.
Vor dem Zelt unterhalten sich Anna Svec und Angelika Adensamer, beide in ihren 30ern, beide in bunten Sommerblusen, beide stehen im Herbst zur Wahl. Svec belegt Platz fünf der linken Bundesliste, im Fall eines KPÖ-Einzugs ist ihr also ein Platz garantiert. Ziehen sie ins Parlament ein, wollen auch die Links-Kandidatinnen nur einen Handwerkerlohn behalten. Das sei seit Jahren in den Statuten von Links verankert, so Svec: »Wir wollen uns nicht von den Lebensrealitäten der Menschen entfernen, für die und mit denen wir Politik machen.«
Links hat, trotz gemeinsamer Kandidatur mit der KPÖ, ein eigenes Programm. Und das ist weit gefächert: Umverteilung, Feminismus, Klima, Arbeit, Wohnen, Wahlrecht für alle. Es gebe viele notwendige Kämpfe gegen »dieses ungerechte System«, die miteinander verbunden seien, erläutert Svec. Eine Einschränkung würde die Bandbreite von Links nicht widerspiegeln, ergänzt Adensamer – auch wenn das vielleicht wahltaktisch sinnvoll wäre.
Als es zu dämmern beginnt, halten KPÖ-Spitzenkandidat*innen ihre Reden, danach springt die Vorfeldorganisation Junge Linke zu »The Spark«, einem Hip-Hop- und Drum’n’Bass-Sommerhit irischer Schulkinder, auf die Bühne. Die Junge Linke, bekannt dafür, viel Fußarbeit in den Wahlkämpfen zu leisten, skandiert an diesem Abend »KPÖ auf die Eins«. Gemeint ist damit, die meisten Stimmen der Jungwähler*innen bis 30 erhalten zu wollen, was nicht ganz ernst gemeint war. Aber immerhin erzielte die Partei bei den Europawahlen in dieser Altersgruppe zehn Prozent der Stimmen.
Später wenden sich alle ihren Traditionen des »Volksstimmefests« zu. Manche verteilen Flyer, andere sehen sich Konzerte an oder trinken gemeinsam Bier. Graber moderiert einen Wurfwettbewerb, Svec singt Arbeiter*innenlieder und isst Baumkuchen, Adensamer genießt eine Dragshow. Über Prozenthürden werden sie sich die nächsten Tage wieder Gedanken machen.
Das Hauptthema der KPÖ bleibt im Wahlkampf jenes, auf das sie seit Jahren setzt: »Leistbares Wohnen«.
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