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Die Hits hinter den Hits
Wo sind die guten Lieder? Bestimmt nicht im Radio: Anmerkungen zum neuesten »Fetenhits«-Sampler
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier – eine Weisheit, die jeder DJ, der schon mal auf einer 80er-Party, Ü40-Fete oder einem runden Geburtstag aufgelegt hat, bestätigen wird. Wo Menschen zusammenkommen, deren wilde Discozeiten Jahrzehnte zurückliegen, sind keine neuen Lieder gefragt, sondern bekannte. Sehr bekannte. Hits. Um genau zu sein: Fetenhits. Also Lieder wie »Dancing Queen«, »I will survive«, »99 Luftballons«, »Billy Jean« oder »Sing Hallelujah«, die in der Lage sind, binnen zehn Sekunden eine leere Tanzfläche in eine volle zu verwandeln.
Der weltweit größte Musikkonzern Universal Music hat frühzeitig erkannt, welches Verkaufspotenzial solche Lieder selbst dann noch bieten, wenn ihr Erscheinungsdatum lange zurückliegt. Seit 1995 vertreibt er unter dem Namen »Fetenhits« Sampler, die Titel tragen wie »The Real Classics«, »Essential Disco« und »The Real 90’s«. Die Zusammenstellungen halten, was die Marke verspricht: Hier reiht sich tatsächlich Fetenhit an Fetenhit. Nur selten verirrt sich mal ein Stück wie »Disco 2000« von Pulp oder »Drive« von R.E.M. in die Zusammenstellung – als wollten die Macher in einem Akt von Subversion signalisieren, dass sie viel lieber andere Musik auf den Sampler gepackt hätten.
Songs, wie man sie auf den aktuellen »Fetenhits – The Rare Classics (Edition 2024)« findet. Schon der Titel ist paradox: Ein seltener Klassiker kann nie ein Fetenhit sein. Doch was macht laut dieser Dreier-CD-Box mit 63 Titeln einen »Rare Classic« aus? Es sind Stücke, die damals durchaus Erfolg hatten und im Radio oder in Clubs liefen.
Das können sogar Nummer-eins-Hits sein, die es nicht in den Klassikerkanon geschafft haben, wie beispielsweise »Two tribes« von Frankie Goes To Hollywood, ein Lied, das vermutlich häufig auf 80er-Partys gespielt würde, gäbe es da nicht den Song »Relax« dieser Band, der alle ihre anderen Stücke überlagert hat. »Keep feeling fascination« von Human League, »Promised you a miracle« von Simple Minds und »Single life« von Cameo fallen ebenfalls in diese Kategorie. Eigentlich handelt es sich hier um typische Fetenhits, hätten die jeweiligen Bands nicht ihren Signature Song (»Don’t you want me«, »Don’t you forget about me«, »Word up«), also ihr Erkennungslied, das seit Jahrzehnten auf Partys totgenudelt wird und sich wie eine akustische Finsternis über das übrige musikalische Schaffen gelegt hat.
Auch haben bekannte Musiker nicht immer unter ihrem eigenen Namen veröffentlicht. Auf dem schmissigen »Sidewalk talk« aus dem Jahr 1984 singt zwar Madonna persönlich, doch als Interpret wird ihr erster Produzent und ehemaliger Liebhaber Jellybean angegeben.
Es wimmelt auf »The Rare Classics« von solchen Perlen. Plötzlich erinnert man sich wieder an »Love pains« von Liza Minelli (produziert von den Pet Shop Boys), an »Genius of love« von Tom Tom Club (dahinter verbargen sich zwei Mitgleider der Talking Heads) und an »Love come down« von Evelyn ›Champagne‹ King. Es sind Stücke, die man damals liebte. Über die man sich freute, wenn sie im Radio oder in der Diskothek liefen. Und die man dann doch vergaß, weil sie irgendwann nicht mehr gespielt wurden.
Das kann man den Clubs nicht verübeln (die müssen halt sehen, wie sie ihr Geld verdienen), wohl aber den Oldie-Sendern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dieser verweist, wenn es um seine Existenzberechtigung geht, gern auf seinen Bildungsauftrag. Also auf die Nachrichten und Wortbeiträge, die man in dieser Form bei den auf Marktschreierei getrimmten Privatsendern nicht hört. Leider vergisst man darüber, dass es auch einen musikalischen Auftrag gibt, den man früher, in den 70ern und 80ern, noch beherzigte: den Hörern Vielfalt zu bieten und sie auf Songs aufmerksam zu machen, die nicht in das Schema »Nur die Superhits« passen.
Doch längst haben sich auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender bis auf wenige Ausnahmen dem Formatradio ergeben, bei dem der Computer in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen stets die gleichen Lieder ausspuckt. Deshalb wird man beim zufälligen Einschalten immer wieder mit Blondies »Heart of glass« konfrontiert, aber garantiert nicht der noch vom Punk geprägten Debütsingle »X offender«.
Und das gilt für das Gros der Lieder, die auf »The Rare Classics« zu finden sind. Sie machen einem schmerzlich bewusst, wie überraschungsfrei das derzeitige Radio ist – wir schalten um zu »I will survive«.
V.A.: »Fetenhits – The Rare Classics (Edition 2024)« (Polystar/Universal Music)
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