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Yaghoobifarah: »Queeres Begehren ist politisch«

Hengameh Yaghoobifarah über den neuen Roman »Schwindel«, disziplinierte Schreibarbeit und Erzählen jenseits der Gattungsgrenzen

  • Alieren Renkliöz
  • Lesedauer: 6 Min.
Queere Literatur, sagt Yaghoobifarah, ist stilistisch experimentell. Gattungsgrenzen existieren nicht.
Queere Literatur, sagt Yaghoobifarah, ist stilistisch experimentell. Gattungsgrenzen existieren nicht.

Ihr zweiter Roman »Schwindel« kommt in die Läden. Wie fühlen Sie sich?

Aufgeregt und gespannt. Es gibt diesen Herbst sehr viele tolle Bücher und ich hoffe, dass Leute auch Zeit dafür finden, mein Buch zu lesen. Die letzten Monate und Jahre seit Beginn der Pandemie waren ja politisch und gesellschaftlich sehr heavy. Deswegen freue mich irgendwie auch, dass mein Roman mehr genussvolle Themen mit sich bringt und vielleicht auch für Leute eine kleine Pause geben könnte zwischen der ganzen Schwere, die so allgegenwärtig ist.

Nebst dem Liebesleben der Protagonist*innen geht es auch um Eltern, die einen wegen der geschlechtlichen oder sexuellen Orientierung nicht akzeptieren, die Aids-Pandemie in den 80ern und lesbische Befreiungskämpfe. Wie ist die Beziehung zum Politischen in »Schwindel«?

Einen Roman über vier queere Personen oder vier Lesben, ihre Beziehungen, Wünsche und Freiheiten zu schreiben, ist meiner Meinung nach kaum möglich, ohne dass er politisch wird. Schon allein das queere Begehren ist inhärent politisch. Zudem erfordert die Darstellung der individuellen Geschichten und Hintergründe der Figuren, ihres Aufwachsens und ihrer gegenwärtigen Lebensumstände zwangsläufig eine Auseinandersetzung mit politischen Themen. Daher war mir klar, dass politische Aspekte nicht vollständig ausgeklammert werden können. Es gibt jedoch verschiedene Arten, Politik zu verhandeln. Ich würde sagen, ja, der Roman ist politisch, aber es handelt sich nicht um einen klassischen Politroman. Die politischen Fragen, die behandelt werden, sind ja entweder sehr weit in der Vergangenheit oder eben Sachen, die es schon immer gab und die schon immer verhandelt wurden. Was bedeutet lesbisch sein? Wie befreit man sich aus dem Patriarchat? Das sind ja keine Fragen von heute, das wird seit Jahrzehnten diskutiert.

Interview

Hengameh Yaghoobifarah, 1991 in Kiel geboren, lebt in Berlin. Gemeinsam mit Fatma Aydemir hat Yaghoobifarah 2019 den viel besprochenen Essayband »Eure Heimat ist unser Albtraum« herausgegeben. 2021 erschien der Debütroman »Ministerium der Träume«. Im letzten Jahr kam der Kolumnen-Band »Habibitus« heraus, der auf der Shortlist für den Kurt-Tucholsky-Preis stand. 2024 trat Yaghoobifarah in die Partei Die Linke ein.

Wie können wir uns das vorstellen, wenn Sie an einem Romanprojekt arbeiten?

Ich stelle mir eine Frage und erzähle eine Geschichte, die ich aufschreibe. Dazu gehört viel Lesen, Nachdenken und Umschreiben. Es gibt Phasen, wo ich mehrere Wochen am Stück nur schreibe. Manchmal fällt mir auf dem Fahrrad etwas auf, dann mach ich kurz halt und tipp es in die Note-App und schreibe das dann später erst auf. Es ist ein langer Prozess, der mich durch unterschiedliche Phasen begleitet. Man muss sich fürs Schreiben aber auch disziplinieren, Zeit einplanen und sich an diesen Zeitplan halten. Wenn ich weiß, Dienstag ist Schreibtag, lege ich keine Kaffee-Verabredung auf den Nachmittag, sondern bin nur ans Schreiben committed. Bei »Schwindel« hatte ich das Glück, dass ich Stipendien und Residenzen hatte, wo ich mich nur darauf fokussieren konnte. Sonst ist es der typische Mix aus unterschiedlichen freiberuflichen Jobs und dazwischen am Roman schreiben.

Ihr Buch kennt vier Erzählperspektiven und je nach Figur, ändert sich die Grammatik Ihres Romans. Die nicht-binäre Figur Delia schreibt zum Beispiel ausschließlich klein. Warum?

Die unterschiedlichen Perspektiven haben auch ihre eigenen Stile und Formen. Bei der Figur Delia passt es zum Beispiel, dass alles klein geschrieben ist und die Form sich deutlich von den anderen Perspektiven abhebt, etwa durch lyrische oder grafische Passagen. Delia ist auch eine sehr dissoziierte Figur und hat die größte Distanz zur Realität.

Delia ist die Figur, bei der Ihre Sprache immer wieder das Genre des Romans verlässt und lyrisch wird. Da stehen dann plötzlich Gedichte, die an konkrete Poesie erinnern und Sie arbeiten viel mit eingeschobenen Versen, wählen also auch für die Lyrik experimentellere Formen. Wie kam es dazu?

Der Plot ist sehr simpel: Vier Leute, die romantisch miteinander verwoben sind, landen auf dem Dach, sperren sich aus und müssen irgendwie runterkommen. Da fand ich es interessant, diese simple Geschichte formell experimenteller zu erzählen. Ich habe mich gefragt, wo ich da auch in der Tradition queerer Literatur herumspielen kann. Weil queere Literatur ist nicht nur, worüber wir schreiben, sondern auch eine Art zu erzählen, die sich Genre- und Gattungsgrenzen entzieht. Queerness in der Literatur ist also auch eine Art zu erzählen. Es gibt unterschiedliche Sachen, die sich einmischen. Lyrik haben Sie genannt, aber manche Dialoge sind fast drehbuchartig erzählt. Also formalistische Experimente, eine Mischung unterschiedlicher Gattungen, das Spiel mit dem Absurden. Es gibt auch Fragmente, die fast essayistisch sind. Ich hatte einfach Lust, die unterschiedlichen Quellen der Literatur und Erzähltraditionen miteinander zu vermengen, um eine Geschichte zu erzählen, bei der ich auf diese queeren Traditionen zurückgreifen kann. Und letztlich müssen die Leser*innen darüber entscheiden, ob dieses Buch für sie queer ist.

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Es geht in dem Roman um Sex und Sinnlichkeit. Führt die Unterdrückung queerer Sexualität dazu, dass jemand, der*die darüber schreibt, den Fokus auf das Liebesleben setzen muss?

Es geht in »Schwindel« um Begehren und Beziehungen, weshalb Sexualität dazugehört. Ich würde die Figuren jedoch nicht auf ihr Sexleben reduzieren und queere Menschen sowieso nicht, es gibt schließlich auch queere Menschen, die kein Sex haben und die sind ja trotzdem queer. Queerness kann auch mit Geschlechtsidentität und den Beziehungen, die man pflegt, zu tun haben. Ich würde nicht sagen, dass wir, wenn wir über Queerness sprechen, immer auch Sex thematisieren müssen. In vielen Romanen über queere Menschen wird Sex häufig nicht explizit behandelt – wie in Romanen über heterosexuelle Menschen auch. Oft wird das Thema eher umschifft als direkt angesprochen. Es gibt natürlich Romane, die sich damit befassen, aber das ist nicht die Norm.

Mit Sexualität befassen Sie sich auch als Redakteur*in des »Missy Magazins«. Dort erscheinen nämlich regelmäßig Sex-Kolumnen diverser Autor*innen. Die Edition Nautilus versammelt nun diese Kolumnen unter dem Titel »Fickt euch!« Was unterscheidet diese Texte von herkömmlichen Sex-Kolumnen?

In feministischen Kontexten gibt es diese Tradition, schambefreiter und weniger an der Norm orientiert über Sexualität zu sprechen. Ob man jetzt asexuell ist, Hämorrhoiden hat oder schwanger ist, queer ist oder eine Behinderung hat. Diese Perspektiven sind natürlich die, die uns bei »Missy« interessieren, weil wir so viele Realitäten wie möglich darstellen wollen. Denn in den gängigen Frauenmagazinen, wo es auch mal Sex-Kolumnen gibt, bleibt das oft in einem bestimmten Rahmen. Viele Perspektiven kommen nur sehr selten vor, und es wird dann eher von heterosexuellen cis Frauen ausgegangen, die entweder als Single leben oder in einer Partnerschaft sind – also nicht unbedingt nicht-monogam leben. In unseren Kolumnen schreiben wir über schambehaftete Themen, denn Scham ist ein Kontrollwerkzeug innerhalb unserer Gesellschaft. Und das, was gegen Scham hilft, ist nicht, irgendetwas zu verheimlichen, sondern etwas normalisierend zu besprechen. Zum Beispiel haben wir nach der Veröffentlichung einer Kolumne über Hämorrhoiden viele Leser*innen-Zuschriften bekommen, wo sich Leute gesehen gefühlt haben. Und das zeigt umso mehr, warum es so wichtig ist, diese tabuisierten Themen zu besprechen.

Hengameh Yaghoobifarah: Schwindel. Blumenbar, 240 S., geb., 23 €

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