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Libanesen fliehen panisch in den Norden
Israelische Armee bombardiert den Süden Libanons und die Bekaa-Ebene östlich der Hauptstadt Beirut
Auch am Dienstag gingen die schweren israelischen Luftangriffe auf vermeintliche Raketenstellungen der Hisbollah im Libanon weiter. Während der Alltag in Beirut auf den ersten Blick relativ normal weiterging, herrscht in Kliniken, bei Behörden und in Schulen völliger Ausnahmezustand. Klassenräume werden seit Dienstag für die Aufnahme zehntausender Flüchtlinge genutzt, die gerade auf dem Weg in die Hauptstadt sind. Die Krankenhäuser sind seit der Explosion mehrerer tausend Pager überbelegt, seit vergangener Woche werden dort 2750 Patienten behandelt.
In der Nacht auf Montag hätten Kampfflugzeuge mit 1600 Einsätzen einen unmittelbar bevorstehenden Großangriff der Hisbollah vereitelt, begründet ein israelischer Armeesprecher die Eskalation. Niemals zuvor ist der Libanon so intensiv bombardiert worden. Die innerhalb von 24 Stunden gezählte Opferzahl übersteigt um ein Vielfaches die Anzahl der Toten an einem Tag beim letzten Krieg mit Israel im Jahr 2006.
Martialische Rhetorik israelischer Politiker
Über 500 Tote, darunter 35 Kinder und 60 Frauen, zählte das Gesundheitsministerium in Beirut am Montag, über 1700 Menschen wurden verletzt. Laut israelischen Medien findet der im Libanon bereits »Dritter Krieg« genannte Schlagabtausch zwischen der Hisbollah-Miliz und der israelischen Armee statt.
Doch mehrere israelische Politiker übertragen ihre auf den Gaza-Krieg angewandte Rhetorik bereits auf den nördlichen Nachbarstaat. »Weder die Regierung noch die Bürger im Libanon sind unschuldig«, sagte der für die jüdische Diaspora zuständige Minister Amikhai Schikli am Montag. »Wir sollten für unsere Sicherheit nach dem Krieg gewisse Volksgruppen nicht mehr in das Grenzgebiet des Staates lassen, der sich Libanon nennt.« Radikale Koalitionspartner von Premierminister Benjamin Netanjahu hatten sogar die Errichtung von jüdischen Siedlungen im Libanon vorgeschlagen.
Hisbollah schießt weiter auf Israel
Der israelische Regierungschef hatte am Montag die Bewohner Südlibanons per Fernsehansprache aufgefordert, die Ort zu verlassen, an denen die schiitische Miliz Raketen versteckt hält. »Nach dem Ende unserer Offensive zur Zerstörung der auf uns gerichteten Raketen werden Sie wieder in ihre Häuser zurückkehren können«, sagte Netanjahu.
Auch die Hisbollah setzte ihre Angriffe auf Israel am Dienstag fort. Über 100 Raketen landeten in verschiedenen Städten Nordisraels. Seit dem Tod zweier hochrangiger Hisbollah-Kommandeure durch israelische Präzisionsangriffe auf geheime Offizierstreffen sind Hisbollah-Geschosse erstmals in Vororten von Haifa und Kasernen der Armee und des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet gelandet.
Im evakuierten israelischen Grenzgebiet zum Libanon halten sich die Verbliebenen nur noch in direkter Nähe von Luftschutzbunkern auf. Der israelische Rettungsdienst Magen David Adom berichtet von vier in Haifa durch Granatsplitter verletzten Passanten. Die Intensität der Angriffe erinnerte viele Israelis an den 7. Oktober des vergangenen Jahres, als die Hamas den Süden mit Hunderten Raketen beschoss.
Hisbollah schießt Präzisionsrakete auf Armeebasis
Israelische Regierungskreise behaupten, am Montag sei die Hälfte des Raketenarsenals der Hisbollah in Flammen aufgegangen. Doch erstmals hat Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah moderne Präzisionsraketen auf die Ramat-David-Armeebasis nördlich der größten Stadt Israels, Jerusalem, schießen lassen. Auf dem Gelände lässt der französische Rüstungskonzern Raffael Waffen herstellen.
»Uns hat die pure Angst um unsere Kinder hierhin gebracht.«
Abir Hussein Geflüchtete aus der Bekaa-Ebene
Die erstmals durch Hisbollah-Angriffe entstandenen Schäden und zahlreichen Verletzten auf geheimgehaltene Kasernen waren für Sicherheitskreise in Tel Aviv und Jerusalem ein Schock. Die zunehmende Zahl von Hisbollah-Drohnen, die dem Raketenschutzschirm »Iron Dome« entgehen, sind wohl der Grund für das Flächenbombardement, mit dem die israelischen Luftangriffe den Süden des Libanon und die Bekaa-Ebene belegen. In dem 30 Kilometer östlich von Beirut gelegenen Hochland vermutet die israelische Militäraufklärung offenbar besonders viele in Häusern versteckte Langstreckenraketen, die auch Tel Aviv oder Jerusalem treffen könnten.
Mohammad Hussein ist zusammen mit seinen beiden Töchtern und seiner Frau aus der Provinzhauptstadt Zahla zu Verwandten nach Beirut gekommen. Er sitzt auf der Motorhaube seines Toyotas und versucht, seinen in Beirut lebenden Bruder zu erreichen. Immer wieder bricht das Mobilnetz zusammen. Die Nerven des 44-Jährigen liegen blank. »Auf dem Weg haben wir zahlreiche wie Kartenhäuser zusammengefallene Wohnhäuser gesehen«, sagt der Ingenieur und zieht nervös an seiner Zigarette. Die idyllische Landschaft hat das Bekaa-Tal zu einem Erholungsort für Beiruter gemacht. Eigentlich wollten viele vor den israelischen Luftangriffen dorthin fliehen.
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»Aber offenbar will Israel die schiitischen Grenzdörfer bestrafen, über die Hisbollah-Kämpfer seit Jahren Waffen und Kämpfer nach Syrien bringen«, vermutet Hussein. Ein ebenfalls mit seiner Familie geflüchteter Freund berichtet aufgelöst von der Bombardierung des Ortes Schaat, bei der eine zehnköpfige Familie am Abend starb. Wie lange die Husseinis im Süden von Beirut bleiben werden, wissen sie nicht.
Blechkolonnen schieben sich in die Hauptstadt
»Uns hat die pure Angst um unsere Kinder hierhin gebracht«, sagt Abir Hussein, Mohammads Frau. Die 35-Jährige glaubt wie viele Libanesen, dass Israels Verteidigungsminister Joaw Galant seine Drohung aus dem Juli wahr machen will: Dem Libanon drohe im Kriegsfall das gleiche Schicksal wie Gaza, sagte er in einem Fernsehinterview.
Durch die südlichen Einfallstraßen von Beirut schoben sich am Dienstagmittag Blechkolonnen. Die wenigen Polizisten und Soldaten der libanesischen Armee haben Mühe, das Chaos zu kontrollieren. Sie wirken wie Statisten; als ein lautstarker Streit zwischen Hisbollah-Kämpfern ausbricht, ziehen sie sich zurück. Im Hintergrund, dort, wo die Hafenstadt Tyros liegt, steigen die Rauchsäulen israelischer Luftangriffe auf.
Völlig zerstörte Häuser
Zusammen mit ihren Nachbarn haben sich auch Ali und Noura Qudaibi am Montag mit ihrem Wagen auf dem Weg nach Beirut gemacht. Noura Qudaibi berichtet unter Tränen über die Zerstörungen in ihrer Heimatstadt Houmine. Während sich die Autos mit geschockt wirkenden Insassen im Schneckentempo in Richtung des mehrheitlich von schiitischen Muslimen bewohnten Hauptstadtviertels Dahieh schieben, zeigt sie auf ihrem Telefon Aufnahmen von Dutzenden völlig zerstörten Häusern. »Das ist unsere Straße in Houmine. Ich habe Angst, dass wir nun im Süden von Beirut das Gleiche erleben werden.«
Am Montagnachmittag gab es dann tatsächlich den ersten Luftschlag auf den Süden Beiruts. Ziel soll der Hisbollah-Kommandeur der »Front im Süden«, Ali Karaki, gewesen sein. Noura Qudaibi hat keine Illusionen. »Weder für uns noch für die verantwortlichen Politiker gibt es einen Weg zurück zu dem, was vorher war.«
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