Kunstfreiheit: »Auf die Eigenverantwortung setzen«

Anh-Linh Ngo von der Akademie der Künste über Kunstfreiheit in einer Zeit des Nahostkriegs und des Anstiegs von Antisemitismus

Sorgte bei der Berlinale für Kontroversen, wird von der AdK gezeigt: Der Dokumentarfilm »No Other Land« über Dörfer im Westjordanland, die einem israelischen Truppenübungsplatz weichen müssen.
Sorgte bei der Berlinale für Kontroversen, wird von der AdK gezeigt: Der Dokumentarfilm »No Other Land« über Dörfer im Westjordanland, die einem israelischen Truppenübungsplatz weichen müssen.

Herr Ngo, in der Berliner Akademie der Künste startet eine neue Veranstaltungsreihe zur Kunstfreiheit. Warum gerade jetzt?

Manos Tsangaris, der Präsident der AdK, und ich haben unsere Ämter in diesem Jahr in einer Zeit übernommen, in der die Freiheit der Kunst stark unter Druck steht. Die Kunst- und die Meinungsfreiheit sind als höchste Rechtsgüter der Demokratie durch die deutsche Verfassung garantiert. Sie sind in einem langen zivilisatorischen Prozess mühsam errungen worden, der auch historische Erfahrungen wie die Verfolgung von Künstler*innen im Nationalsozialismus und die staatliche Kontrolle der Kunst in der DDR einschließt. Die Akademie ist laut Gesetz und Satzung verpflichtet, die Freiheit und den Anspruch der Kunst in Staat und Gesellschaft zu verteidigen.

Bei der Auftaktveranstaltung am 27. September sollen auf einem Podium Pro- und Contra-Stimmen hinsichtlich der Notwendigkeit einer staatlichen Regulierung von Kunst und Kultur zu hören sein. Gleichzeitig aber steht die AdK als Institution der vom Bundestag geplanten »Resolution zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland« kritisch gegenüber und hat einen Appell veröffentlicht, der mindestens auf deren erneute Diskussion drängt. Gab es dazu eine Debatte innerhalb der AdK?

Der Kampf gegen Antisemitismus und Diskriminierung ist für die Akademie Teil ihrer Verfasstheit, viele ihrer Mitglieder sind jüdisch. Die AdK hat daher als eine der ersten Kulturinstitutionen in Deutschland den Angriff der Hamas auf Israel klar verurteilt und Deutschlands aktuelle wie historische Verantwortung betont. Sie hat sich auch klar gegen Hass, Antisemitismus und Cancel Culture in Folge des Gazakrieges positioniert. Gleichzeitig sieht sie das Leid auf beiden Seiten des Konfliktes und tritt für einen gewaltfreien Ausgleich zwischen dem Existenzrecht Israels und dem palästinensischen Anspruch auf einen eigenen Staat ein. Natürlich haben die Ereignisse nach dem 7. Oktober auch innerhalb der Akademie zu Diskussionen geführt. Bei 433 Mitgliedern gibt es selbstredend verschiedene Meinungen, und einige werden sich beim kommenden Akademie-Gespräch in Form von »Zwischenrufen« äußern. Generell stellen wir aber nicht die Notwendigkeit des Schutzes jüdischen Lebens in Deutschland infrage, sondern ob die geplante Resolution des Bundestages oder auch Klauseln geeignete Instrumente in diesem Bemühen sind. Die AdK und ihre Mitgliedschaft im Verbund mit einer Vielzahl von Kunst- und Kulturschaffenden, Intellektuellen, Politiker*innen und Institutionen bezweifeln dies.

Interview

Anh-Linh Ngo, Jahrgang 1974 ist seit dem Frühjahr Vizepräsident der Akademie der Künste. Der Architekturtheoretiker ist Chefredakteur und Mitherausgeber der »Zeitschrift Arch+«.

Mit welchen Argumenten?

In der Kritik steht vor allem die Gefahr politischer Einflussnahme, die Rechtsunsicherheit schaffen könnte. Es droht eine Instrumentalisierung des Konfliktes für einen Kulturkampf von rechts. Wir wollen dabei jenseits der Mahnung auch Eigenverantwortung als Instrument aufzeigen, in einer demokratisch verfassten Gesellschaft die Freiheit der Kunst zu bewahren. Die Akademie soll ein Ort offener Debatten und Dialoge sein, wo wir trotz unterschiedlicher Ansichten zu einer Verständigung kommen können. Kunst kann zwar keine politischen Konflikte lösen, aber sie kann mit ihren Sensorien die gesellschaftlichen Debatten beeinflussen und neue Denkansätze eröffnen.

Wie könnte eine solche Instrumentalisierung des Konfliktes für einen rechten Kulturkampf konkret aussehen?

Die Gefahr der Kunstzensur von rechts wächst mit dem zunehmenden Einfluss der AfD. Besonders in Städten und Landkreisen, in denen die AfD die größte Fraktion stellt, geraten Kunst- und Kulturinstitutionen zunehmend unter Druck. Peter Laudenbach hat in seinem Buch »Volkstheater. Der rechte Angriff auf die Kunstfreiheit« das Problem eindringlich beschrieben. Ein Beispiel ist das Osten-Festival in Bitterfeld-Wolfen, das für viele Menschen der Stadt und Region wichtig ist und von der AdK seit Beginn unterstützt wird. In diesem Jahr reichte die AfD Strafanzeige gegen Kunstwerke ein und erreichte, dass einige Arbeiten nicht mehr gezeigt wurden – darunter eines, das ein Hakenkreuz als Teil einer Kritik an der Allgegenwart solcher Symbole im Alltag enthielt. Dies war ein klarer Eingriff in die Kunstfreiheit. Durch politischen Druck verlor das Festival die politische Unterstützung der Verwaltung. Der erschütternde Bericht der Kuratoren Aljoscha Begrich und Christian Tschirner zeigt, wie dringlich wir uns mit der Kunstzensur von rechts befassen müssen.

Besteht aber nicht auch gegenläufig die Gefahr des sich ausbreitenden Autoritarismus durch zum Beispiel Hamas-Sympathisanten, wenn man antisemitische Bildsprache in der Kunst nicht gesetzlich eindämmt?

Ja, es besteht auch eine Gefahr des Autoritarismus von »links«, wie Sie sagen. Die Ausbreitung antisemitischer Bildsprache oder Parolen in der Kunst könnte ein Grund sein, gesetzliche Maßnahmen zu diskutieren. Doch anstelle von Repression setzt die Akademie auf Aufklärung, Dialog und Wissensvermittlung, um extremen Ideologien entgegenzuwirken. Der Staat hat die Möglichkeit und die Pflicht, terroristische Vereinigungen oder verfassungsfeindliche Organisationen zu verbieten. Aber die Debattenkultur muss auf Wissen und Argumenten beruhen, um der Bedrohung von beiden Seiten zu begegnen.

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Die Documenta fifteen im vorletzten Jahr hat gezeigt, dass es in der deutschen wie internationalen Kunst- und Kulturszene ein gravierendes Problem mit Antisemitismus gibt. Schon zuvor hatte es Befürchtungen gegeben, dass die Schau antisemitische Inhalte einschließen würde und so war es dann auch.

Dass es einen dramatischen Anstieg von Antisemitismus in der gesamten Gesellschaft gibt, zeigt der aktuelle Bericht des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung. Der Tabubruch nach dem 7. Oktober betreffe »alle Bereiche«, steht dort, Antisemitismus und antiisraelische Haltungen würden sich in der Mitte der Gesellschaft ausbreiten. Der Bericht weist auch darauf hin, dass neben dem »klassischen deutschen Antisemitismus rechter Prägung« auch ein Anstieg in linken und islamistischen Milieus zu verzeichnen sei. Dieses Phänomen ist jedoch nicht neu. Gerade diese Wandlungsfähigkeit und kontextuelle Vielfalt macht den Antisemitismus so langlebig und so gefährlich. Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass die politische Kritik an den Handlungsweisen der aktuellen israelischen Regierung und ihrer Art der Kriegsführung die Kritiker*innen nicht automatisch zu Antisemiten macht, solange sie nicht auf das Existenzrecht Israels abzielt und Bestandteil der demokratischen Auseinandersetzung ist. Was die Documenta angeht, waren sich wissenschaftliche Expert*innen auch nur bei einem Kunstwerk einig, dass es eindeutig antisemitisch ist – was natürlich schlimm genug ist. Die Debatte war notwendig, doch ihre Heftigkeit zeigte auch, dass wir es mit Projektionen zu tun haben, die als Entlastungsstrategie dient, um davon abzulenken, dass laut repräsentativen Umfragen weiterhin ein Viertel der deutschen Bevölkerung antisemitische Stereotype pflegt.

Die Vorkommnisse auf der Documenta sind für Sie also kein guter Grund für eine gesetzliche Regulierung der Kulturförderung?

Die Forderung nach einer solchen Regulierung unterstellt, dass Künstler*innen und Kulturschaffende besonders anfällig für Antisemitismus und Diskriminierung seien – was nicht der Realität entspricht, wie der Bericht des Antisemitismusbeauftragten zeigt. Außerdem wäre es ein Irrtum zu glauben, dass Klauseln das Problem lösen könnten. Rechtliche Regelungen haben das Problem, so der Rechtswissenschaftler Ralf Michaels, Direktor am Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, dass Kunst sich gerade dadurch auszeichnet, dass sie vieldeutig ist und sich einer zwingenden Interpretation entzieht. Sie lässt sich nicht auf eine Aussage beschränken. Die Grenze dessen, was Kunst darf, wird allein durch die Menschenwürde als oberstes Gebot des Grundgesetzes definiert. Die Schlussfolgerung der Rechtswissenschaft lautet: Wir müssen in einem liberalen Staat auf die Eigenverantwortung der Institutionen und der Künstler*innen setzen.

Die AdK-Reihe startet diesen Freitag mit dem Akademie-Gespräch »Freiheit der Kunst: Grundrecht und Versprechen«. Am 29.10. folgt das Gespräch »Freiheit der Kunst: Erregungsmechanismen«. Am 12.11. wird der palästinensisch-norwegische Dokumentarfilm »No Other Land«, der auf der Berlinale eine Kontroverse auslöste, gezeigt, danach zur Diskussion geladen. Eine Veranstaltung mit dem Netzwerk »Die Vielen« am 28. 11. fragt, inwieweit der Rechtsextremismus in Gestalt der AfD die Kulturpolitik bereits vielerorts unter Druck setzt. Darüber hinaus richtet die AdK am 12. 10. den Blick auf die ungarische Kulturszene, um die Bedrohung der Kunstfreiheit auf europäischer Ebene zu thematisieren.

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