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Durban, Kapstadt und Berlin: Lokal enteignen, global vernetzen

Mietenaktivist*innen aus Berlin und Südafrika diskutieren Strategien gegen die Wohnungskrise

  • Günter Piening
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Durbaner Aktivist*innen von Abahlali baseMjondolo kämpfen gegen Zwangsräumungen und für Versorgung der Barackensiedlungen mit grundlegender Infrastruktur.
Die Durbaner Aktivist*innen von Abahlali baseMjondolo kämpfen gegen Zwangsräumungen und für Versorgung der Barackensiedlungen mit grundlegender Infrastruktur.

Austauschen und voneinander lernen und ein wenig Spaß haben – aus Anlass des gewonnenen Volksentscheids vor drei Jahren hatte die Kampagne »Deutsche Wohnen & Co enteignen« (DWE) zwei Schwergewichte der internationalen Housing-Bewegung eingeladen: Abahlali baseMjondolo (»die Bewohner der Hütten«) und Ndifuna Ukwazi (»Wage es zu wissen«) aus Südafrika. Nach gemeinsamen Workshops und einem Filmabend kamen am Mittwochabend Vertreter*innen von DWE und der südafrikanischen Bewegungen im Kreuzberger Dragonerareal zusammen, um über Gemeinsames und Trennendes zu diskutieren.

Von Durban und Kapstadt ...

Auch 30 Jahre nach dem Ende der Apartheid in Südafrika bestimmt die Segregation die Lebensbedingungen der Schwarzen Bevölkerung. Die meisten von ihnen wohnen in den Barackensiedlungen weit vor der Stadt, die eine Stadt der Reichen und Weißen ist. Aber nicht mehr Apartheidsgesetze halten diese Verhältnisse aufrecht. Es ist der Staat, der sich weigert, Grund und Boden sozial zu nutzen und stattdessen das Privateigentum schützt, das maximalen Profit aus dem Boden ziehen will.

Abahlali baseMjondolo entstand 2005, als durch den Abriss von Barackensiedlungen viele Bewohner*innen in Durban obdachlos wurden. Aus diesen ersten Kämpfen hat sich eine landesweite Bewegung von Hüttenbewohner*innen entwickelt, die gegen Armut, Wohnungsnot und Rassismus aufsteht. Ihre zentrale Forderung ist, Zwangsräumungen zu beenden und Barackensiedlungen sofort mit grundlegender Infrastruktur wie Wasser, Strom und Toiletten zu versorgen. Der soziale Wert städtischen Landes soll Vorrang vor der kommerziellen Verwertung haben. Das ist auch 20 Jahre nach der Wahl von Nelson Mandela gefährlich: Immer wieder kommt es zu gewalttätigen Polizeieinsätzen, 20 Mitglieder wurden seit 2005 ermordet. Ihre Strategie: »Nutze die Macht des Volkes und schaffe Organisationsstrukturen, die jeder verstehen und in denen jeder eine Heimat finden kann«, so heißt es auf der Webseite der Gruppe.

Die historische Verantwortung Berlins

Auf der DWE-Tagung erinnert Buhle Booi von Ndifuna Ukwazi, dass die Armut der Schwarzen Bevölkerung eine Ursache in Berlin hat: »Die Bodenfrage ist das Erbe der Apartheid, und die Apartheid ist das Erbe der Berliner Konferenz von 1884. Damals wurden die völkerrechtlichen Grundlagen für die koloniale Inbesitznahme des Kontinents festgelegt. Bevor die Kolonisatoren kamen, hatte es keinen Privatbesitz gegeben, Land war Ahnenland, auf dem die lokale Bevölkerung kollektiv lebte. Mit der Grenzziehung der Invasoren begann die Geschichte von Verdrängung und Aneignung. Noch heute besitzen knapp 10 Prozent der »Weißen« etwa 70 Prozent des Farmlandes in Südafrika.

Während der Veranstaltung im Dragonerareal berichtet Nthuso Mohapi von Abahlali baseMjondolo, dass den 150 000 Mitgliedern einiges abverlangt wird. »Wir sind keine karitative Einrichtung. Wer nicht bereit ist, zu kämpfen und die Häuser zu verteidigen, sie wieder aufzubauen, wenn sie abgerissen werden, und das immer wieder, der kann kein Mitglied werden.« Organizing sei der Schlüssel, um ein hohes Aktivitätslevel über zwei Jahrzehnte aufrechtzuerhalten, »und Organizing heißt für uns, Beziehungen zwischen Betroffenen herzustellen.« Dauerblockaden von Rathäusern und Besetzungen gehören ebenso zum Instrumentenkoffer wie Öffentlichkeitsarbeit und Gerichtsverfahren, um die Gleichheitsrechte der Verfassung einzufordern.

Für Buhle Booi, der die Arbeit von Ndifuna Ukwazi vorstellt, einer Graswurzel-Organisation im Großraum Kapstadt, hängen Armut und die Wohnungsfrage eng zusammen. »Viele Familien leben 40 Kilometer von der Arbeitsstelle in der Stadt entfernt, und allein der Transport frisst fast die Hälfte des Einkommens.« Die zentrale Forderung der Initiative ist darum, städtischen Boden nicht zu privatisieren, sondern für den sozialen Wohnungsbau und soziale Infrastruktur zu nutzen. »Indem wir für Land und Wohnraum in der Stadt kämpfen und Gemeinschaften der Fürsorge, Selbstversorgung und Solidarität fördern, verteidigen wir die Würde eines jeden Menschen.« Ihre Forderung unterstreichen sie mit Besetzungen städtischer Grundstücke. Manchmal haben sie Erfolg: Kürzlich führte eine Besetzung eines leerstehenden ehemaligen Krankenhauskomplexes dazu, dass dort 2000 preiswerte Wohnungen geschaffen wurden.

... nach Berlin

Und wo steht die Berliner Enteignungsinitiative? Der gewonnene Volksentscheid liegt drei Jahre zurück, der Senat weigert sich bisher, ihn umzusetzen. DWE lässt nun einen eigenen Gesetzesentwurf erarbeiten, der wahrscheinlich Ende 2025 vorliegen soll. In solchen Phasen ist es schwierig, Menschen zu mobilisieren. Um das Tief zu überwinden und wieder mehr Menschen zu ermuntern, sich gegen Mietsteigerungen und Verdrängung zu wehren, setzt auch DWE auf »Organizing« in Nachbarschaften. Dabei kann DWE zwei besondere Stärken ausspielen, sagt Joana Kusiak in der Diskussion mit den Aktivist*innen aus Südafrika. »DWE schafft es, die Wut über die Verhältnisse in Freude und Spaß an Veränderung umzuwandeln.« Und die Kampagne habe das Gesetz hinter sich: »Vergesellschaftung ist im Grundgesetz vorgesehen. Die Menschen wissen, die Enteignung ist kein krimineller Akt, sondern eine gesetzliche Möglichkeit, auf die man sich berufen kann.« Dieser »Tanz zwischen Gesetz und Politik« gelinge in Berlin ganz gut.

Die Berliner Aktivist*innen von Deutsche Wohnen und Co enteignen kämpfen gegen Wohneigentum und für die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen.
Die Berliner Aktivist*innen von Deutsche Wohnen und Co enteignen kämpfen gegen Wohneigentum und für die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen.

Katalin Gennburg, Mitglied der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, zieht die Geschichte des Veranstaltungsortes selbst – das Dragonerareal – heran, um die Verhältnisse in Berlin zu charakterisieren. Zwar konnte die Privatisierung durch eine starke Bewegung von unten verhindert werden, um Freiräume in Selbstverwaltung zu schaffen. Doch die Initiativen wurden entmachtet und staatliche Institutionen übernahmen die Regie. Das zeige: »Es gibt Kämpfe, es gibt auch in Berlin noch Orte, wo der Aufbau sozialer Strukturen möglich ist, aber es gibt keine politische Mehrheit, das umzusetzen.« Der Senat habe entschieden, dass man reiche Leute und Investoren in der Stadt braucht, um sie zu entwickeln. »Wir müssen über Kämpfe und Enteignung reden, aber auch über das antisoziale Mindset der Senator*innen, die solche Erfolge wieder zunichte machen«, sagt Gennburg.

»Ein Stück gelebter Internationalismus«

Was verbindet die Kämpfe in Berlin und Kapstadt und wie gelingt das Zusammenspiel von lokaler Bewegung und Internationalismus? Für Nthuso Mohapi von Abahlali baseMjondolo ist der Austausch selbstverständlicher Teil einer gelingenden linken Strategie: »Internationale Solidarität heißt Austausch über Grenzen hinweg, zusammenstehen, lernen, wie Ungerechtigkeit wirkt und wo sie herkommt. Die Menschen sind hungrig auf Wissen, wie man kämpft, wie man Kämpfe gewinnt.«

»Wenn wir hören, wie Menschen unter sehr unterschiedlichen Bedingungen erfolgreich arbeiten, bekommen wir Ideen, um unsere Strategie zu diversifizieren«, ergänzt Adelaide von DWE. So könne man Ansprechformen für Gruppen finden, bei denen DWE bislang wenig präsent sei, zum Beispiel Arbeiter*innen. DWE sollte, da war man sich einig, beim Organizing mehr auf Communities und Nachbarschaften zugehen. »Dazu kann auch das gemeinsame Essen gehören. Wenn wir Burnout und Resignation verhindern wollen, müssen wir uns die Parole ›von der Wut zur Freude‹ mehr zu eigen machen.«

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Stefan, der die südafrikanischen Aktivist*innen in Berlin begleitete, ist beeindruckt von der Kraft und den Organisationstechniken in den Gemeinschaften Südafrikas. Die Grundlagen für weitere Treffen seien gelegt, man will sich künftig regelmäßig austauschen. Über Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung solle geredet werden, darüber, wie die Beziehungen »zwischen den Genoss*innen und den Kämpfen stabilisiert werden können. Die Perspektive der Vergesellschaftung ist global«.

Diese globale Perspektive hebt auch Janine Walter hervor, Leiterin des Südafrika-Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie erinnert im Telefonat mit »nd« daran, dass es zu Zeiten der Apartheid starke Solidaritätsbewegungen in der DDR und der BRD gab. »Daran wollen wir anknüpfen. Wohnungsnot und Wohnungskämpfe sind eine globale Erfahrung.« Wie man in Südafrika mit aller Brutalität sehe, gehe es um Klassenfragen. »Dieses und die immer mitschwingende Eigentumsfrage bieten ein hohes Transformationspotenzial.« Walter hofft, dass ein internationalistischer Ansatz greifbar und mit Leben gefüllt werden kann.

Zurück im Bewegungs-Alltag

Bathabile Makhoba, Nthuso Mohapi und Buhle Booi sind inzwischen abgereist und für die DWE-Aktivist*innen beginnt nach diesem Ausflug in die internationalistischen Gefilde wieder der Berliner Organizing-Alltag. In den nächsten Wochen schwärmen die Kiezteams mit den lila Westen aus, um mit Späti- und Kneipenbesucher*innen, vor Supermärkten und in Nachbarschaften über Miet- und Wohnungsprobleme ins Gespräch zu kommen. Und wie man versuchen kann, sich dagegen zu wehren.

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