Wein-Doku: Die teuren Lagen

In »Das Land der tausend Weine« unternimmt José Luis López-Linares eine Reise ins älteste Weinanbaugebiet Spaniens: La Rioja

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.
Wein anbauen ist wie ein Kind großziehen: Man wurstelt Jahre lang nach bestem Wissen und Gewissen rum, und weiß am Ende nicht, was dabei rauskommt.
Wein anbauen ist wie ein Kind großziehen: Man wurstelt Jahre lang nach bestem Wissen und Gewissen rum, und weiß am Ende nicht, was dabei rauskommt.

Einen guten Wein erkenne man sofort und das unabhängig von seinem Preis. Das sagt einer, der es wissen muss, ein Winzer aus La Rioja, dem ältesten (seit der Römerzeit) und nördlichsten Weinanbaugebiet Spaniens. Neunzehntausend Winzer arbeiten hier – in Familienbetrieben, Genossenschaften und Großbetrieben – an der Herstellung von Rioja-Wein.

Denn Wein ist ein überaus arbeitsintensives Produkt. Der Weg vom Anbau der Reben über die Weinlese, die Gärung, den Fassausbau bis zur Flaschenreife scheint weit – und risikoreich. In »Das Land der tausend Weine« unternimmt José Luis López-Linares (der bereits Filme über Francisco de Goya und Hieronymus Bosch drehte) eine Reise durch La Rioja, durch das der Ebro fließt und – so heißt es jedenfalls – in dem kein Wein dem anderen gleicht. Wenn es denn keine Missernte gibt, denn Wein ist ein ganz besonderer Saft, ein sehr empfindlicher zumal.

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Das liegt nicht nur am Wetter, auch an Schädlingen wie der berüchtigten Reblaus, die Ende des 19. Jahrhunderts drei Viertel der europäischen Weinreben zerstörte. Chemie hilft nicht gegen diesen Schädling, nur der Einsatz von resistenten Wurzeln, die aus dem Ursprungsland der Reblaus stammen. So wachsen heute 85 Prozent des europäischen Weins auf amerikanischen Wurzeln!

José Luis-Linares führte nicht nur Regie bei »Das Land der tausend Weine«, sondern schrieb auch das Drehbuch und führte die Kamera. Er verbindet auf seiner durchaus originellen filmischen Reise durch La Rioja die kulturgeschichtliche Dimension des Themas Weins mit den alltagspraktischen Komplikationen bei seiner Herstellung. Manchmal wirkt er wie ein überdimensionierter Werbeclip nach dem Motto: Unser Wein ist der beste, kauft unseren Wein, der allerdings noch viel zu billig ist, was sich schnell ändern muss!

Das ist zum Glück nur die eine Facette, hinzu kommen andere, vor allem die Porträts einzelner Winzer, die darüber sprechen, warum sie ihr Leben mit dem Wein verbunden haben und das oft schon in der x-ten Generation. Hört man sie über Wein sinnieren, spürt man die Leidenschaft. Wein herzustellen, ist einerseits schwere Arbeit, die das ganze Jahr andauert – und andererseits eine Kunst, bei der das Resultat, der fertige Wein, ebenso hochindividuell wie derjenige ist, der ihn kreiert hat. Ähnelt der Wein am Ende mehr dem Winzer, von dem er kommt, als dem Wein auf der Nachbarparzelle? Tatsächlich liegen oft Welten zwischen zwei Parzellen.

Dem Wein wohnt die Zeit inne, das macht ihn – anders als Bier – zu einem philosophischen Getränk. Denn die Trauben speichern die Sonnenstunden eines Jahres, ebenfalls die Niederschlagsmengen – das macht jeden Jahrgang unverwechselbar. Sehr gute Weine lassen sich viel Zeit beim Reifen, erst im Stahl- oder Betontank, dann im Eichenholzfass (französische oder amerikanische Eiche, wahlweise neu oder gebraucht), dann in der Flasche. So vergehen leicht fünf bis acht Jahre, bevor ein Reserva oder Grand Reserva in den Handel kommt. Und wer wollte diesem gemächlichen Reifetempo mit eiligem Austrinken begegnen? Guter Wein lehrt den langsamen Genuss, entwickelt einen eigenen Geist, in dem sich Tradition und Sehnsucht nach Zukunft vermischen.

Im Rioja herrschen Kalkböden vor, das macht sie für die Landwirtschaft unbrauchbar, aber der Wein mag diese Böden, der die Trauben nur langsam wachsen und klein bleiben lässt. Aber darum ist der Geschmack um so intensiver. Hinzu kommt, dass hier während eines Jahres sehr verschiedene Winde wehen: kalte vom Atlantik, aber auch warme vom Mittelmeer. Dieser klimatische »Stress« hält die Weinstöcke gesund. Viele sind hier inzwischen sechzig oder sogar achtzig Jahre alt. Je älter ein Weinstock, so die Winzer, desto besser der Wein. Die jungen Weinreben, eben erst gepflanzt, haben da noch einen weiten Weg vor sich.

Immer wieder taucht das Wort »Lage« auf. Es scheint ein Zauberwort zu sein. »Manche Lagen sind einfach einzigartig.« Die Rioja-Weine wollen weg von der Kennzeichnung, die sich allein an der Dauer des Fassausbaus des Weins bemisst: Crianza, Reserva und Grand Reserva. Viele Winzer beginnen jetzt ihre Weine nach der Lage zu vermarkten – und folgen damit dem großen Rivalen aus Frankreich, dem Bordeaux. Dort erzielen manche Lagen bereits astronomische Preise. Wie diese zustande kommen? Das ist wie bei Werken der modernen Kunst oft reine Spekulation, eine Zuschreibung, unterstützt von Weinkritikern und den Sommeliers der Spitzenrestaurants. Manche Flasche kostet so mehrere tausend Euro.

Und wenn sie dann verkorkt ist? Wer haftet für die Qualität eines Naturprodukts wie Wein? Als passionierter Rotweintrinker kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass, wenn man jenseits der großen teuren Marken einen Spitzenwein für besondere Anlässe sucht, ihn in jedem Falle – etwas Kenntnis vorausgesetzt – für etwa dreißig Euro findet. Alles darüber gehört in die Rubrik Abschöpfen von maßloser Kaufkraft.

Dass Wein und Poesie zusammen gehören, lässt beider anregende Wirkung auf Geist und Sinne vermuten. Aber Vorsicht, wer glaubt sich mit Wein stimulieren zu können, setzt oft nur den eigenen kritischen Maßstab herab. Thomas Mann gestand einmal, einige ungeliebte Auftragsarbeiten von Wein »gedopt« hinter sich gebracht zu haben – sie hielten einer späteren kritischen Revision nicht stand. Der Rausch beflügelt die Fantasie, aber setzt Urteilskraft herab.

Über »Tannine«, den »Körper« und den »Abgang« eines Weine könnten man lange reden – und die Wein-Enthusiasten in diesem Film tun es auch. Ebenso über die Rebsorten, die hier in La Rioja bevorzugt werden. Vor allem der Allrounder Tempranillo, der kleine Trauben entwickelt, die schnell reifen, aber auch Garnacha und der traditionelle, besonders ausdrucksstarke, aber gegen Schädlinge anfällige Mazuelo.

Aber über Weine zu sprechen, so sehen wir her, das scheint eine ganze eigene poetische Profession. Marketingtalent allein reicht da nicht und spröde Verweise auf die An- oder Abwesenheit einer »Textur« erhellen wenig. Etwas vom einem Lyriker muss an jedem Sommelier verloren gegangen sein. Von diesem wird ein häufig enorm teurer Wein nicht bloß angepriesen, sondern angedichtet. Dann hat ein Wein schon mal den Charakter von bitterer Aprikose mit einem Hauch von Kaffee auf dunklem Kirschgrund in einem leicht ledrigen Kontext, das Ganze auf der Basis von mediterraner Üppigkeit, kontrastiert von altantischer Strenge. Man könnte ganze Gedichtbände mit den Paradoxa des Weins füllen!

Da wundert es dann schon etwas, hier einen der mächtigen Weinkritiker eher gelangweilt-hochmütig in einer kleinen Bodega sitzen zu sehen und von den angsterstarrten Winzern die drei Spitzenweine des Hause serviert zu kommen. Bei den ersten beiden sagt er gar nichts, was dem Winzer-Ehepaar den Schweiß auf die Stirn treibt, beim dritten jedoch entringt er sich ein knappes »schick«. Ist das das Ende aller Weinlyrik? Immerhin, für diesen Wein ist der Absatz gesichert.

Das Problem, über Wein zu sprechen, ist so alt wie der Wein selbst. Hermann Hesse berichtet in einem kleinen Text über den Versuch, mit Freunden einen Weinführer zu verfassen. Sie ließen sich reichlich Weinproben von Winzern schicken und tranken diese dann höchst vergnügt in reichlichen Mengen. Aber wie ihn beschreiben? Die einen, so Hesse, sahen beim Trinken alle möglichen Farben, die anderen hörten gar Töne. Wie das in Text verwandeln? Dann entwickelten die einen eine Sucht nach immer größeren Mengen, die anderen reagierten allergisch auf jeden neuen Schluck – und der Weinführer blieb ungeschrieben. Der Wein ist eben immer beides: herausfordernd göttlich und teuflisch zugleich.

»Das Land der tausend Weine«, Spanien 2023. Regie und Drehbuch: José Luis López-Linares. 87 Minuten

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