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Wirtschaft mit Bauchschmerzen für Wagenknecht
Unternehmensverbände empfehlen Brandenburgs Sozialdemokraten notgedrungen eine Regierung mit der neuen Partei
Der Vorstand der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) hat sich für eine Koalition der SPD mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ausgesprochen. Bei einer Pressekonferenz im Potsdamer Landtagsschloss rechnete UVB-Hauptgeschäftsführer Alexander Schirp zunächst mit Bundeskanzler Olaf
Scholz (SPD) ab. Dessen Aufruf, die Unternehmen in Deutschland müssten
sich nun als »patriotisch« erweisen, komme bei denen nicht gut an und sei »enttäuschend«, zumal die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft unter diesem Kamzler »extrem bescheiden« geworden seien, sagte Schirp am Montag.
Für das Land Brandenburg sei kennzeichnend, dass nach herausragend guten
Jahren mit der Schaffung von zusätzlich rund 100 000 versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen nun das Schrumpfen der Wirtschaft besonders drastisch ausfalle. »Im Moment sieht es trüb aus«, beklagte Schirp. Während im
ersten Halbjahr im Bundesschnitt die Wirtschaftskraft um 0,2 Prozent zurückgegangen sei, waren es in Brandenburg 0,4 Prozent.
Brandenburg sei inzwischen »Autoland« und die Autobranche habe derzeit besonders zu kämpfen. Der Konsum sei verhalten, auf dem Bau gebe es erste Entlassungen, die zunehmende Kurzarbeit ist laut Schirp ebenfalls »kein gutes Signal«. Bei einem Haushaltsvolumen von 16 Milliarden Euro und Schulden in Höhe von 22 Milliarden seien die finanziellen Spielräume des Landes Brandenburg »überschaubar«.
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Offiziell sind 24 000 Arbeitsplätze in Brandenburg unbesetzt. Weil Firmen offene Stellen zumeist bei der Arbeitsagentur gar nicht mehr melden, schätzte Schirp diese Zahl aber mindestens doppelt so hoch. Die Hoffnung der Wirtschaft auf eine Landesregierung, die fünf Jahre durchhält, könne nach Lage der Dinge nur eine aus SPD und BSW sein – und das, »obwohl wir von dem BSW nicht viel wissen«, sagte Schirp. »An Neuwahlen glaube ich nicht.«
Kritisch sehe die Wirtschaft Forderungen des BSW nach einem Mindestlohn von 14 Euro, allgemeinverbindlichen Tarifverträgen, kostenlosem Mittagessen für Grundschüler sowie nach »leichten planwirtschaftlichen Elementen im Gesundheitswesen«, wie Schirp es nennt. »Dort sehen wir die Prioritäten nicht«, erklärte er. Seine Hoffnung: Unter Wahrung der Maximalforderungen sei »noch nie eine Koalitionsregierung zustande gekommen«. Sprich: Das BSW werde Kompromisse machen und von einigen Forderungen ablassen müssen.
Die aus Sicht der Unternehmen hervorragende Entwicklung der vergangenen
Jahre »ist nicht in der Stimmung der Leute angekommen«, stellte Schirp mit Blick auf das Wahlergebnis fest. Auch die Unternehmensverbände hatten vor der AfD gewarnt. Die Wirtschaft sei »auf Gedeih und Verderb« auf die Zuwanderung von Fachkräften angewiesen, vor allem im Gesundheits- und Pflegebereich, hieß es. Daher sei es schädlich, »ihnen gegenüber zu betonten, dass sie nicht
erwünscht seien«. Im Unterschied zur AfD sei die SPD nicht demokratiezersetzend. »Beim BSW wäre ich mir da nicht so sicher«, merkte Schirp an. Es handle sich um eine »handverlesene Kaderpartei«, über deren Regierungsfähigkeit man schlicht keine Aussagen treffen könne. »Die Bundesvorsitzende strebt einen Systemwechsel an, und das ist etwas, was ich mir nicht wünschen würde«, sagte Schirp.
Die Unternehmer fordern die Entlastung der Schullehrer von administrativen und sozialen Verpflichtungen, ferner eine wirkungsvollere Berufsorientierung. Für jede neue bürokratische Belastung der Unternehmen müsse der Staat zwei alte Belastungen abschaffen. Der in Deutschland vorangetriebene Ausbau der Stromnetze werde die Energiepreise weiter in die Höhe treiben, befürchtete Schirp. Schon der heutige Preis sei nicht mehr wettbewerbsfähig zu nennen. Das müsse geändert werden.
Die DGB-Landesvorsitzende Katja Karger hatte einen Tag nach der Landtagswahl vom 22. September gemeint, der klare Wahlsieg der SPD sei eine gute Grundlage, »um Brandenburg auch in den kommenden Jahren weiter in eine wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft zu führen«. Wachstum bringe den Menschen allerdings nur etwas, wenn es auch im Portemonnaie ankomme. Hier gebe es Nachholbedarf. Karger erinnerte, dass im Jahr 2022 fast 150 000 Brandenburger weniger als 2431 Euro monatlich verdienten.
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