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Ein Drittel aller Arten ist gefährdet
Eine Forschungsinitiative hat den Zustand der Biodiversität in Deutschland untersucht
Es steht nicht gut um die Biodiversität in Deutschland. Dies ließ sich zwar bereits erahnen – einzelne Studien warfen immer wieder Schlaglichter beispielsweise auf den Rückgang der Insekten –, doch mit dem »Faktencheck Artenvielfalt« liegt nun erstmals eine umfassende Bestandsaufnahme auf dem Tisch. Betrachtet werden darin sowohl alle Gruppen von Pflanzen- und Tierarten als auch die verschiedenen Typen von Lebensräumen in Deutschland. 145 Wissenschaftler aus 78 Institutionen haben an dem nun erschienenen, vom Bundesforschungsministerium finanzierten Bericht der Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (Feda) mitgearbeitet.
Ein Drittel aller Arten ist dem Bericht zufolge bestandsgefährdet, das heißt, entweder stark gefährdet oder vom Aussterben bedroht. Und: »60 Prozent der wertvollen Flora-Fauna-Habitat-Lebensräume haben einen unzureichenden oder schlechten Erhaltungszustand. Der Trend der Lebensräume ist negativ. 40 Prozent der Biotop-Typen der Roten Liste haben eine negative Entwicklung«, erläutert der Vorsitzende des Berichts, der Ökologe Christian Wirth, bei einer Vorstellung des Papiers. Dabei gelten erstere als besonders erhaltenswert und stehen bereits gemäß der EU-weit geltenden FFH-Richtlinie unter Schutz.
Die im »Faktencheck Artenvielfalt« unter die Lupe genommenen Lebensräume sind Küsten und Küstengewässer, Binnengewässer und Auen, Wald, Agrar- und Offenland sowie urbane Räume. Besonders im Agrar- und Offenland nimmt die Gefährdung in allen Artengruppen zu. Hier sei es zum einen noch nicht gelungen, die Strukturvielfalt wiederherzustellen, erklärt die Landschaftsökologin Alexandra-Maria Klein, eine der Leitautorinnen des Berichts. Zum anderen sei die Toxizität durch Pestizideinsatz weiterhin hoch, auch wenn die Menge der ausgebrachten Pestizide leicht abgenommen habe.
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Positive Trends zeigten sich nur bei Vögeln und Säugetieren, die im Wald und an offenen Gewässern lebten. Profitieren konnten die Waldtiere davon, dass weniger auf Monokulturen gesetzt wird und damit ein Zuwachs von Totholz im Wald verbunden ist, wie Wirth erklärt: »40 Prozent der Organismen in einem Wald sind auf die eine oder andere Weise vom Totholz abhängig.«
Um die langfristigen Trends zu erfassen, stützte sich die Untersuchung auf 15 000 Langzeitreihen. Dabei handelte es sich zum größten Teil auf von Ehrenamtlichen erhobene Daten. Ein repräsentatives, behördliches Langzeitmonitoring fehle noch immer, kritisiert Wirth.
»Wir haben im Grunde alle Instrumente, die wir brauchen.«
Helge Bruelheide Geobotaniker
Doch der Bericht will nicht nur einen Überblick über die Entwicklung der Artenvielfalt in Deutschland vermitteln, sondern auch mögliche Ursachen benennen und der Politik sowie anderen gesellschaftlichen Akteuren Handlungsempfehlungen geben. »Wir haben in Deutschland und auch auf der europäischen Ebene im Grunde alle Instrumente, die wir brauchen. Es gibt die gemeinsame Agrarpolitik, es gibt die Wasserrahmenrichtlinie, es gibt die FFH-Richtlinie, es gibt die Vogelschutzrichtlinie, es gibt die Meeresstrategierichtlinie«, sagt der Geobotaniker Helge Bruelheide, Ko-Vorsitzender des Berichts. Allerdings seien die Instrumente nicht gut aufeinander abgestimmt und stünden manchmal sogar in Konkurrenz zueinander. Auch würden die rechtlichen Bestimmungen teilweise noch nicht in die Praxis übersetzt. Aktuell drohten Deutschland Strafzahlungen an die EU, weil die Wasserrahmenrichtlinie nicht umgesetzt sei, so Wirth.
Mit Blick auf die Bevölkerung stellt der Bericht fest: »Die bloße Vermittlung von Wissen ist nicht ausreichend für einen transformativen Wandel.« Marion Mehring, Leitautorin des Kapitels »Transformationsprozesse«, rät dazu, Maßnahmen auf die lokale Ebene herunterzubrechen und »Kümmerer« vor Ort zu begeistern. Der Berichtsvorsitzende Wirth sieht die Biodiversität noch immer »zu sehr in der Naturschutzecke«. Im Bericht wird empfohlen, dass auch die Ökosystemleistungen, die durch intakte und artenreiche Ökosysteme erbracht werden, stärker in die Bilanzen von Volkswirtschaften und Unternehmen einfließen.
Auch im Hinblick auf das international vereinbarte Biodiversitätsziel bleibt viel zu tun. Auf der UN-Weltnaturschutzkonferenz in Montreal 2022 haben die Staaten vereinbart, bis 2030 insgesamt 30 Prozent der Land- und Meeresflächen unter Schutz zu stellen und 30 Prozent der geschädigten Ökosysteme zu renaturieren. Deutschland könne hier auch eine Vorreiterrolle spielen, meint Helge Bruelheide. Allerdings nur, wenn sogenannte Leakage-Effekte vermieden würden: »Wenn wir auf Biokraftstoffe umstellen, diese aber Palmöl aus Indonesion produzieren, vernichten wir dort Biodiversität dafür, dass wir unsere Energiewende schaffen.«
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