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Arbeitsrechtler: Der Arbeitgeber muss den Kita-Streik beenden

Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler zum gerichtlichen Verbot des Kita-Streiks

Das Verbot des Kita-Streiks dürfte einer Prüfung in zweiter Instanz nicht standhalten, schätzt Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler.
Das Verbot des Kita-Streiks dürfte einer Prüfung in zweiter Instanz nicht standhalten, schätzt Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler.

Die in der Gewerkschaft Verdi organisierten Erzieher*innen der Kita-Eigenbetriebe wollten ab vergangenem Montag eigentlich in den unbefristeten Streik für personelle Entlastung treten. In einem Eilverfahren hat das Berliner Arbeitsgericht den Streik am Freitag zuvor untersagt. Wie argumentiert das Gericht?

Das Gericht hat sich ja auf zwei Argumente gestützt. Zum einen seien die Streikforderungen teilweise schon in dem geltenden Tarifvertrag der Länder geregelt. Es bestünde also eine sogenannte Friedenspflicht und ein Arbeitskampf zu diesen Forderungen wäre unrechtmäßig. Ob das hier der Fall ist, kann ich nicht beurteilen, weil ich die Forderungen nicht im Einzelnen kenne. Ich bin aber skeptisch, wenn das Gericht ein zweites politisches Argument angeführt. Die Satzung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) besagt, dass das einzelne Land keine separaten Tarifverträge schließen darf. Das Land Berlin müsse das Risiko, aus der TdL ausgeschlossen zu werden, nicht eingehen. Dem müsse Verdi Rechnung tragen. Für Arbeitgeberverbände in der Privatwirtschaft hat die Rechtsprechung einen drohenden Ausschluss nicht als Grund gewertet, um die Rechtmäßigkeit eines Streiks für einen Firmen- oder Haustarif infrage zu stellen. Denn sonst könnte der Arbeitgeberverband durch Ausgestaltung seiner Satzung den Firmentarif unmöglich machen. Die TdL kann tarifrechtlich nicht die Fähigkeit des einzelnen Mitglieds, eigene Tarife für bisher ungeregelte Bereiche auszuhandeln, einschränken. Mit Blick auf dieses Argument ist das Urteil ein grober Verstoß gegen das, was das Bundesarbeitsgericht zur selben Frage entschieden hat. Ich würde deshalb dringend empfehlen, in die Berufung zu gehen.

Interview

Wolfgang Däubler ist Professor im Ruhestand an der Universität Bremen. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Arbeitsrecht, Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht.

Laut »Tagesspiegel« habe bei der Abwägung auch eine Rolle gespielt, dass »dem Land Berlin durch die Warnstreiks ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden entstanden sei, indem bereits über 700 Kinder von den Eltern ›streikbedingt aus der Betreuung in Kita-Eigenbetrieben abgemeldet wurden‹«. Wie beurteilen Sie dieses Argument?

Wenn der Arbeitgeber gegebenenfalls Kunden verliert, weil ein Streik stattfindet, ist das nicht nur eine normale Begleiterscheinung eines Streiks. Es ist vielmehr ein Element dafür, dass der Streik eben gewissen Druck ausübt. Und es ist Sache des Arbeitgebers, den Streik irgendwann zu beenden und zu sagen: »Es ist besser, ich mache einen Kompromiss mit der Gewerkschaft, als dass ich immer mehr Kunden verliere.«

Was können wir davon mitnehmen, dass das Gericht hier nicht ein Hauptargument präsentiert, sondern mehrere Argumente?

Das Gericht schafft dadurch den Verdacht, dass es hier ein bisschen einseitig auf Arbeitgeberseite steht. Normalerweise formulieren Gerichte bei der einstweiligen Verfügung keine langen Begründungen. Wenn sie einmal festgestellt haben, die Friedenspflicht ist verletzt, dann bleibt es dabei und die anderen Fragen bleiben dahingestellt. Dass es im vorliegenden Fall anders lief, ist ein Indiz dafür, dass das Gericht selber nicht so ganz sicher war, dass eine Verletzung der Friedenspflicht vorliegt.

Welche Erfolgsaussichten würden Sie einem Berufungsverfahren ausstellen?

Die Erfolgsaussichten sind unter der Voraussetzung, dass die Friedenspflicht nicht verletzt ist, gut.

Da es sich um ein vorläufiges Verfahren handelt, wäre der Rechtsweg für Verdi nach der Berufung erst mal erschöpft, ein Gang zum Bundesarbeitsgericht ausgeschlossen. Welche Möglichkeiten stehen der Gewerkschaft dann noch zur Verfügung?

Sie können ein Hauptverfahren anhängig machen. Das bringt dem laufenden Arbeitskampf aber wenig, denn bis sie eine Entscheidung in erster Instanz haben, müssen sie ein halbes, dreiviertel Jahr warten. Und dann geht es gegebenenfalls wieder in die Berufung. Wenn ein Verstoß gegen die Friedenspflicht tatsächlich vorliegen sollte, und das scheint mir die einzig realistische Gefahr zu sein, dann muss man die Forderungen dahingehend ändern, dass sie nicht unter bestehende Regelungen fallen. Das ist jederzeit möglich und das wäre die Reaktion, die man sinnvollerweise macht. Dann fordert man den Arbeitgeber noch mal auf, in Verhandlungen einzutreten und dann kann man den Streik durchaus beginnen.

Wie ist das Verfahren in die bisherige Rechtsprechung einzuordnen?

Im Vergleich wird deutlich, dass es sich beim vorliegenden Urteil um einen Ausreißer handelt, der schnell in der Berufungsinstanz korrigiert werden dürfte. Im zurückliegenden Tarifkampf im Einzelhandel haben wir mit wenigen Ausnahmen alle so gelagerten Verfahren gewonnen, die Urteile in den Auseinandersetzungen der DB gegen die GDL deuten in eine gleiche Richtung. Vor den Arbeitsgerichten hat sich die GDL immer gegen die Vorstellung behaupten können, dass Streiks die Rebellion im Kleinformat sind und bekämpft werden müssen. Das zeigt, die Arbeitsgerichtsbarkeit fällt nicht einfach um, nur weil wir derzeit politisch ungünstige Konstellationen vorfinden. In diesem Kontext ist das Berliner Urteil eine gewisse Ausnahme.

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