»The Beast«: In der DNA-Reinigung

Bertrand Bonellos Film »The Beast« ist ein außergewöhnliches Sci-Fi-Kammerspiel über Begehren, existenzielle Ängste und drohende Katastrophen

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
Gabrielle (Léa Seydoux) und Louis (George MacKay) begegnen sich auf drei Zeitebenen, begehren sich, und finden doch nicht zueinander.
Gabrielle (Léa Seydoux) und Louis (George MacKay) begegnen sich auf drei Zeitebenen, begehren sich, und finden doch nicht zueinander.

Was immer Gabrielle (Léa Seydoux) und Louis (George MacKay) auch tun, aus ihrem gegenseitigen Begehren und ihrer romantischen Sehnsucht wird nie eine Liebesbeziehung. Stattdessen enden alle ihre Begegnungen im Desaster. Und das, obwohl sie sich im Arthouse-Science-Fiction-Film »The Beast« sogar auf drei verschiedenen Zeitebenen treffen. Bertrand Bonellos außergewöhnlicher Film, der erstmals 2023 auf den Filmfestspielen in Venedig zu sehen war und nun endlich in die deutschen Kinos kommt, ist aber alles andere als ein klassischer Liebesfilm. Es geht vor allem um die tiefsitzende Angst Gabrielles vor einer nicht näher benannten Katastrophe. Damit ist der Film in Zeiten fortlaufender und sich überlagernder Krisen nah am Puls der Zeit. Die Geschichte basiert lose auf Henry James’ Novelle »Das Tier im Dschungel« (1903), die sich als Inspiration für das Kino gerade großer Beliebtheit erfreut. In den vergangenen Jahren wurde sie mehrfach filmisch umgesetzt, unter anderem von Patric Chiha im Film »Das Tier im Dschungel«, der 2023 auf der Berlinale lief.

»The Beast« erzählt von Gabrielle, die sich im Jahr 2044 einer Prozedur zur Reinigung ihrer DNA unterzieht. In dieser Zukunft regiert eine künstliche Intelligenz. Die Menschen werden wegen ihrer unkontrollierbaren Emotionen und Affekte kaum mehr beschäftigt, so dass es eine Arbeitslosenquote von 67 Prozent gibt. Um etwas anderes machen zu können, als stupide die Temperatur von Schaltkreisen zu messen, lässt sich Gabrielle trotz Bedenken auf die Prozedur der DNA-Reinigung ein, um so ihre Gefühle in den Griff zu bekommen und von der KI für eine andere Tätigkeit zugelassen zu werden. Auch der junge Louis soll diese Prozedur über sich ergehen lassen und zweifelt nicht weniger als Gabrielle. Während der Behandlung, ein Bad in einer schwarz-öligen Masse, reist Gabrielle in verschiedene Bewusstseinszustände von Menschen aus der Vergangenheit und erlebt intensive Momente voller Gefühle und Ängste. Zum einen wird sie zur Pianistin Gabrielle, die 1910 kurz vor der großen Überflutung von Paris lebt, mit einem Puppenfabrikanten verheiratet ist und dem jungen Louis begegnet, der sie verehrt, mit dem sie sich aber nicht auf eine Beziehung einlässt. Zum anderen befindet sie sich plötzlich im Los Angeles von 2014, wo sie als erfolglose Schauspielerin und Model die Villa reicher Leute bewacht und nach einem Erdbeben dem gewalttätigen Incel Louis begegnet.

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Sich in einem obsessiven Begehren zu verlieren und es letztlich nicht ausleben zu können, wird vor allem im Fall des jungen Incel (Involuntary Celibate), der unfreiwillig ohne sexuelle Beziehung quasi zölibatär lebt, zu einer beängstigenden Bedrohung, da seine Obsession in blanke Gewalt umschlägt. Im Jahr 2014 stalkt Louis Gabrielle und verfolgt sie nach dem nicht so starken Erdbeben, das aber kurzzeitig einen Ausnahmezustand herbeiführt, wie in einem Horrorfilm in der einsamen Villa. Das titelgebende Biest, das stets im Verborgenen lauert und im Handlungsstrang zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Form eines Fabrikbrandes und einer historisch wirklich geschehenen Überflutung von Paris plötzlich real wird, zieht sich als roter Faden durch diesen Film. Am Ende kommt es zu einer dramatischen Eskalation. Dabei springt die Handlung wild durch die Zeit. Sie lässt in langsamen Bildern ein bürgerliches Paris des frühen 20. Jahrhundert entstehen, dann geht es in ein Los Angeles des frühen 21. Jahrhunderts, in dem Gabrielle zwar in einer Villa, aber letztlich unter prekären Umständen lebt. Im Paris der Zukunft sind kaum mehr Menschen auf den Straßen, alle tragen Gasmasken. Die Interieurs sind kalt und minimalistisch, wenn Gabrielle nicht gerade in einen Club geht, in dem Musik und Mode verschiedener Jahrzehnte ständig wechseln, mal im souligen 70er-Stil gehalten sind, mal den wilden Post-Punk der nuller Jahre zitieren.

Obwohl als Science Fiction gelabelt, ist »The Beast« kein gängiger Genre-Film, sondern ein stilisiertes, kammerspielartiges Drama, das vor allem von der eindringlichen Darstellung von Léa Seydoux lebt. Die Schauspielerin drückt die tiefsitzende Angst vor einem schrecklichen Ereignis, die mitunter in blanke Panik umschlägt, in drei Jahrhunderten ungemein überzeugend aus. Ist die große Sorge, sich auf eine Liebesbeziehung einzulassen, zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch eine Praxis bürgerlicher Selbstkontrolle, werden die Begegnungen von Gabrielle und Louis im 21. Jahrhundert letztlich zu politischen Auseinandersetzungen. Die antifeministische Gewalt des Incels lässt sich als Allegorie auf die globale rechte Mobilisierung lesen. Dabei ist die Skepsis der beiden jungen, einander begehrenden Menschen in der dystopischen Zukunft von 2044, sich einer Reinigung ihrer DNA zu unterziehen, ein existenzieller Kampf um Selbstbehauptung.

»The Beast«: Frankreich/Kanada 2023. Regie: Bertrand Bonello. Buch: Bertrand Bonello, Guillaume Bréaud, Benjamin Charbit. Mit: Léa Seydoux, George McKay, Guslagie Malanda, Elina Löwensohn, Dasha Nekrasova u. a. Ab 10. 10. im Kino.

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