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Janis Ehling: »Wir haben Entwicklungen verpasst«
Janis Ehling kandidiert als Linke-Bundesgeschäftsführer. Was will er erreichen?
Die Linke steckt tief in der Krise – wie kommt man da auf die Idee, Bundesgeschäftsführer werden zu wollen?
Ich hatte eigentlich andere Pläne. Aber ich bin ein Parteisoldat und ich renne nicht weg, wenn es schwierig wird. Und schwierig ist es nicht nur in der Linken. Auch durch die Ampel-Politik, durch Grüne und SPD ist linkes Denken und Handeln auf Bundesebene wahrscheinlich auf Jahre diskreditiert. Die Konservativen sind zwar in der Opposition, sitzen aber längst mit am Regierungstisch. Der Neoliberalismus kommt verstärkt zurück. Auf den gesellschaftlichen Rechtstrend hat die sogenannte politische Mitte nicht die richtigen Antworten. Deshalb wird eine möglichst starke Linke gebraucht. Ich bin gefragt worden, ob ich kandidiere, und würde es mir immer vorwerfen, wenn ich jetzt Nein sagen würde.
Wenn Sie auf dem Parteitag gewählt werden – was ist Ihr politisches Projekt?
Es geht nicht um mich allein. Mit Ines Schwerdtner und Jan van Aken haben wir zwei Kandidaten für den Parteivorsitz, die in zentralen Fragen Glaubwürdigkeit für Die Linke zurückgewinnen können. Das ist das A und O. Denn bei den letzten Wahlkämpfen haben wir erlebt, dass das Vertrauen in uns tief erschüttert ist. Weil wir in den letzten Jahren fast nur innerparteilich gedacht und diskutiert haben. Dadurch haben wir einige Entwicklungen verpasst.
Janis Ehling, geboren 1985 in Rostock, war von 2014 bis 2017 Bundesgeschäftsführer des Studierendenverbandes der Linken. 2022 wurde er in den Parteivorstand gewählt. Auf dem Parteitag im Oktober in Halle kandidiert er als Linke-Bundesgeschäftsführer.
Zum Beispiel?
Viele Menschen haben in Krisenzeiten ein großes Sicherheitsbedürfnis. Dazu hatten wir kaum etwas anzubieten, wofür eine Linke stehen müsste: Hoffnung zu machen auf Verbesserung. Das heißt, wir müssen uns wieder viel stärker den großen gesellschaftlichen Fragen widmen, weniger der innerparteilichen Logik. Und wir haben organisatorisch und methodisch den Anschluss an andere Parteien verloren. Bei den jüngsten Landtagswahlen war Die Linke am schlechtesten in den sozialen Medien präsent. Vor sechs, sieben Jahren hatten wir unter den Parteien auf Facebook die meisten Follower. Heute haben wir einen ziemlich kleinen Kanal auf Tiktok, wo die AfD eine riesige Wirkung erzielt. Und unsere Wahlkämpfe sind seit Jahren nicht mehr aus einem Guss, da haben Parteivorstand und Bundestagsfraktion in verschiedene Richtungen gearbeitet. Das kann man mit Schnellschuss-Aktionen nicht ausgleichen; Wahlkampfkampagnen brauchen einen langen Vorlauf.
Das wird schwierig – nach dem Oktober-Parteitag sind es noch elf Monate bis zur Bundestagswahl.
Es ist ein bisschen eine Operation am offenen Herzen: Die Partei muss neu aufgestellt werden, während erste Wahlvorbereitungen schon laufen. Wir müssen uns bald auf eine Agentur für den Wahlkampf einigen. Und wir müssen uns auch noch mal in zentralen Punkten programmatisch verständigen. Etwa bei Fragen von Krieg und Frieden, von Migration oder beim Klimaschutz, die in unserer Wählerschaft unterschiedlich beantwortet werden und die wir beim Europawahlkampf etwas versteckt haben. Wobei wir aufhören sollten, einander das Linkssein abzusprechen, wenn man nicht einer Meinung ist. Das macht den Laden kaputt. Klar ist, dass wir um mindestens fünf Prozent kämpfen und das mit Direktmandaten absichern wollen, damit die Wähler wissen: Keine Stimme für Die Linke ist verschenkt.
Das BSW sagt, links und rechts sind Begriffe von gestern.
Das kann ich ihnen am wenigsten verzeihen: Dass sie in einer Situation, in der die gesellschaftliche Linke europaweit in der Defensive ist, alles Linke in Frage stellen. Natürlich haben wir ein Problem, wenn Die Linke bei den letzten Wahlen unter den einkommensschwachen und arbeitenden Schichten schwächer geworden ist. Wenn wir nicht mehr als eine Kraft wahrgenommen werden, die ihre Interessen vertritt. Darüber müssen wir nachdenken, eben weil linke Politik hochaktuell ist.
Die Linkspartei ist in einer paradoxen Situation: miserable Umfragewerte und Wahlergebnisse, aber ein verblüffender Zustrom neuer Mitglieder, etwa 12 000 seit etwa einem Jahr. Wie kann daraus etwas Produktives entstehen?
Das ist eine große Herausforderung. Da gibt es viel Lust, sich zu engagieren, und viel Hoffnung, aber wenig Organisationserfahrung. Wir brauchen unter anderem Schulung, beispielsweise im digitalen Bereich, und dabei können wir von anderen Linksparteien in Europa, etwa in Belgien und Schweden, einiges lernen. Da passiert auch schon einiges; etwa, wie man Parteigliederungen mit einer App organisiert.
Praktisch das Gegenmodell ist das BSW: sehr viele Anhänger und Wähler, aber kaum Mitglieder. Kann Die Linke vom BSW etwas lernen?
Man kann sich abgucken, wie sie in großen gesellschaftlichen Fragen klar Position beziehen. Dahin müssen wir auch zurückkommen, denn sonst ist unklar, wofür Die Linke steht. Anders als das BSW bleiben wir eine Mitgliederpartei, weil wir Politik nicht nur für Menschen machen wollen, sondern auch mit ihnen.
Kann es sein, dass Die Linke vor allem erst mal den Wagenknecht-Hype überleben und hoffen muss, dass der sich irgendwann abnutzt?
Wir sollten nicht immer auf das BSW starren, auch wenn sich dort schon Bruchlinien andeuten. Wir sind in der Talsohle und müssen das durchstehen. Die neuen Mitglieder zeigen, dass uns eine gesellschaftliche Relevanz zugeschrieben wird. Wenn ich mir die Entwicklung bei SPD und Grünen ansehe – da bleibt links viel Platz. Den müssen wir wieder besetzen und inhaltlich stärker zuspitzen. Es kann ja nicht sein, dass die Hauptkritik an der Ampel immer nur von rechts kommt. Deshalb beobachte ich auch mit Interesse die Entwicklung bei der Grünen Jugend.
Sollte der nächste Parteivorstand weniger von einer Strömung dominiert sein als der amtierende?
Wichtige Teile der Partei waren im aktuellen Vorstand nicht vertreten. Das hat dazu geführt, dass der Vorstand nicht die Autorität hat, die er braucht. Ich habe die begründete Hoffnung, dass dem nächsten Vorstand wichtige Leute aus den Landesverbänden und den unterschiedlichen Teilen der Partei angehören.
Wie kann an der Parteibasis die Arbeit organisiert werden, wenn nach den jüngsten Wahlen Strukturen inklusive Wahlkreisbüros und Mitarbeitern schrumpfen oder ganz verschwinden?
Ich habe in Marburg studiert und war dort auch politisch aktiv. Im Westen war es die Partei schon immer gewohnt, mit wenig Personal und ein paar Teilzeitstellen relativ große Kreisverbände zu managen. Wir werden mehr auf ehrenamtliche Arbeit setzen müssen, auf eine bessere Ausbildung unserer Leute. Die vielen Aktiven in der Partei müssen das Parteileben organisieren. Anders wird es nicht gehen.
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