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Wohnungsbau: Nur befristet sozial
Der soziale Wohnungsbau siecht in Deutschland seit Jahrzehnten vor sich hin
Ob auf Kongressen, in wissenschaftlichen Arbeiten oder als politische Agitation: Die gängigste Metapher dafür, in Deutschland bezahlbaren Wohnraum zu finden, ist inzwischen »einen Sechser im Lotto« zu haben. Und das, obwohl der soziale Wohnungsbau durch den Staat seit den 1950er Jahren bezahlbaren Wohnraum schaffen soll, die SPD leistbares Wohnen zur »sozialen Frage unserer Zeit« auserkoren hat und die Ampel tatsächlich einige ambitionierte Projekte im Koalitionsprogramm festgeschrieben hat. Die Fakten sprechen eine andere Sprache.
Das Bündnis Soziales Wohnen aus Deutschem Mieterbund (DMB), der Gewerkschaft IG BAU und dem Bundesverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie vermeldete Anfang des Jahres 910 000 fehlende Sozialwohnungen bundesweit. Von den durch die Ampel-Regierung jährlich 400 000 anvisierten neuen Wohnungen waren 100 000 als Sozialwohnungen veranschlagt. De facto neu gefördert wurden vergangenes Jahr 49 430 soziale Einheiten. 2023 gab es sogar 15 300 weniger Sozialwohnungen als im Vorjahr, wie eine Anfrage der Gruppe Die Linke im Bundestag ergab.
Das Wohnproblem erklärt sich im Wesentlichen, so schreibt es der Experte für gemeinnütziges Wohnen Jan Kuhnert von der Kommunal- und Unternehmensberatung GmbH, dadurch, dass sich »sowohl die Mieten als auch die Immobilienpreise von der Einkommensentwicklung und der Mietzahlungsfähigkeit einer wachsenden Zahl an Haushalten abgekoppelt haben«. Dahinter stecke eine Reihe politischer Fehlentscheidungen.
Das Bündnis Soziales Wohnen fordert zwei Millionen Sozialwohnungen bis 2030.
Die wohl bekannteste ist jene, die Kuhnert als »Philosophie des Übergangs« bezeichnet: Durch befristete Förder- und Bindungszeiträume kam es demnach in den vergangenen Jahren zu einem immer größeren Verlust staatlich geförderter Sozialwohnungen. Allein zwischen 2007 bis 2017 ging die Zahl der gebundenen Wohnungen um 40 Prozent auf 1,2 Millionen zurück. In Berlin, neben Nordrhein-Westfalen und Bayern das Land mit den meisten Sozialwohnungen, werden sich die gebundenen Wohnungen ohne Eingriffe von 2020 bis 2030 um 55 Prozent verringern.
In den 1960er Jahren entschied man sich zudem in der BRD, anstatt in den sozialen Wohnungsbau zu investieren, verstärkt auf individuelle Unterstützung in Form von Wohngeld zu setzen. Inzwischen zahlen Jobcenter, Bund und Länder Zuschüsse zu Wohn- und Unterkunftskosten, die deutlich über der Durchschnittsmiete liegen. Während die Ausgaben laut einer Studie des Pestel-Instituts dafür 2023 bei 20 Milliarden Euro lagen, finanzierten Bund und Ländern den sozialen Wohnungsbau mit 2,5 Milliarden Euro.
Ein weiterer Faktor war die Privatisierungswelle des Wohnmarkts ab den 1990er Jahren. Das damals »selbsternannte Ziel«, wie es die Sozialwissenschaftler*innen Jan Niklas Mayer und Elena Mayeres nennen: die Eigentumsquote in ostdeutschen Bundesländern radikal zu erhöhen. »Die Folge dieser Politik war massiver Leerstand und der große Aufkauf von Wohnungen durch renditeorientierte Eigentümer*innengruppen«, schreiben sie. Damals wurde die Wohnungspolitik der Deregulierung auf die ostdeutschen Länder ausgeweitet, gemeinwohlorientierte Unternehmen verloren an Marktmacht. Im gleichen Jahrzehnt wurde die Wohngemeinnützigkeit abgeschafft.
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Spätestens seit dem 2023 in Kraft getretenen Gebäudeenergiegesetz werden zusätzlich soziale und klimapolitische Faktoren gegeneinander ausgespielt. Das zeigt sich zum Beispiel in der dritten Säule der staatlichen Wohnbauunterstüzung, dem Programm »Klimafreundlicher Neubau im Niedrigpreissegment«. Dieses wollte ursprünglich den Bau bezahlbarer, umweltfreundlicher Kleinwohnungen unterstützen. Ein angekündigter Mietpreiskorridor sollte dabei die Wohnkosten am Mietspiegel festmachen. Als er entfiel, unterblieb auch der soziale Aspekt der Förderung. Die Ampel scheint dafür noch keine Lösung gefunden zu haben.
Unzureichender Neubau, eine lückenhafte Mietpreisbremse, die nachlässige Verfolgung von Mietbetrug und eine niedrige Einkommensentwicklung taten das ihre. Heute ist eine Faustregel der Wohnpreisberechnung: Eine Wohnung sollte maximal 30 Prozent des Haushaltseinkommens betragen. Eine neue DIW-Studie zeigt, dass der Anteil jener Haushalte, die mehr als 40 Prozent ihres Einkommens aufbringen, innerhalb von 30 Jahren von fünf auf 14 Prozent der Bevölkerung gewachsen ist. Zugleich geht die Schere zwischen Arm und Reich weiter auf. 2021 zahlten die 20 Prozent mit den niedrigsten Einkommen mehr als ein Drittel für ihre Miete, die einkommensstärksten 20 Prozent nur ein Fünftel.
Das SPD-geführte Wohnministerium hält diesem Problem diverse Maßnahmen wie die erwähnten Neubauwohnungen entgegen – sie reichen aber nicht. Ein weiteres Beispiel: Die Wiedereinführung der Wohngemeinnützigkeit im Juni. Durch sie sollen sozial orientierte Unternehmen, Vereine und Stiftungen Steuererleichterungen erhalten, wenn sie Wohnraum unter der marktüblichen Miete anbieten. Der DMB zeigte sich bei der Diskussion des Gesetzes im Bundestag diese Woche nicht überzeugt – vor allem, da die ursprünglich im Koalitionsvertrag vereinbarten Investitionszulagen fehlen. Steuererleichterungen würden nicht ausreichen, damit der gemeinnützige Wohnungsbau an Dynamik gewinne, sagte Mieterbund-Direktorin Melanie Weber-Moritz.
Das Bündnis Soziales Wohnen fordert mindestens zwei Millionen Sozialwohnungen bis 2030. Mit diesem Mindestbestand lasse sich die Wohnproblematik lösen. Dafür müssten aber jährlich mindestens 100 000 neue sozial geförderte Wohnungen entstehen und zusätzlich 75 000 Bestandswohnungen Preis- oder Belegungsbindungen erhalten.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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