• Kultur
  • Extreme Rechte in Europa

Die Crux der Augenauswischerei

Anton Stengl liefert eine profunde Analyse der europäischen Rechten

Demonstration in Berlin gegen die AfD Berlin statt.
Demonstration in Berlin gegen die AfD Berlin statt.

In Österreich, Niederlande und Italien sind die Ultrarechten die stärksten Parteien. In Frankreich wird gerade eine konservative Regierung vom ultrarechten Rassemblement National (RN, Nationale Sammelbewegung; bis 2018 Front National) toleriert, obwohl dort bei den Parlamentswahlen eigentlich ein linkes Parteienbündnis die relative Mehrheit gewonnen hat. Auch in Deutschland scheint sich mit der AfD eine ultrarechte Partei dauerhaft in der Parteienlandschaft zu etablieren. Grüne und Linksliberale begegnen dieser Rechtsentwicklung meistens nur mit moralischen Aufrufen zur Verteidigung demokratischer Werte.

nd.Kompakt – unser täglicher Newsletter

Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.

Das Buch von Anton Stengl hebt sich wohltuend von einer hilflosen Antirechts-Rhetorik ohne Analyse ab. Anton Stengl ist ein Alias-Name, hinter dem sich ein jahrzehntelanger Beobachter der rechten Szene verbirgt, die Anonymisierung dient dem Selbstschutz. Das Buch ist eine Sammlung von Aufsätzen zu verschiedenen Aspekten und Facetten der neuen Rechten, unterfüttert mit profunden historischen Kenntnissen. Das zeigt sich besonders in den Kapiteln, in denen der Autor auf wichtige Stichwortgeber der aktuellen Rechten eingeht. Mit Kurzporträts von Ernst Jünger, Ernst Niekisch und Armin Mohler widerlegt er linksliberale Augenauswischerei, wonach die extreme Rechte nichts mit der bürgerlichen Gesellschaft, insbesondere dem Konservatismus, zu tun habe.

Jünger bekam in der BRD zahlreiche Preise, obwohl er seine guten Kontakte in die ultrarechte Szene nie verheimlichte. Bei seiner Beerdigung trauerten auch CDU-Politiker. Für verschwommene Grenzen zwischen Konservativen und Neuen Rechten zeugt auch das Beispiel Armin Mohler. Der Schweizer kam als 20-Jähriger 1942 illegal nach Deutschland, um sich der Waffen-SS anzuschließen. Später wurde er Privatsekretär von Jünger und schrieb für konservative Zeitungen in Westdeutschland und der Schweiz, aber auch für das rechte Blatt »Junge Freiheit« und die »Deutsche Nationalzeitung«. Er verfasste Reden für den CSU-Chef und Unionskanzlerkandidaten Franz Josef Strauß und engagierte sich Mitte der 1980er Jahre für die rechte CSU-Abspaltung »Die Republikaner«. Bis zum Lebensende blieb Mohler ein Bewunderer Hitlers, dem er bescheinigte, »eine richtige Führung geschaffen« zu haben.

Statt moralischer Empörung über die Rechten liefert Stengl Beiträge für eine tiefere Analyse. Wie aus dem Untertitel ersehbar, blickt er auch in die Ukraine. »Terroristen« nennt er die Angehörigen des Asow-Regiments, dem er ein ganzes Kapitel widmet. Darin verweist er auch auf deren enge Kontakte zu deutschen Neonazis wie der Kleinstpartei »Der III. Weg«. Stengl übersieht nicht die rechte Szene in Russland und geht auf prorussische Positionen bei Rechten in Deutschland ein. Der im Untertitel aufgeführte »italienische Showmann« ist Diego Fusaro, ein rechter Intellektueller, der in seiner Heimat eine große Reichweite hat und auch bei Rechtsintellektuellen in Deutschland viel Zuspruch bekommt.  Fusaro versucht dreist, den italienischen Kommunisten Antonio Gramsci und sogar Karl Marx für die Rechten vereinnahmen, wobei er natürlich deren staats- und kapitalismuskritischen, emanzipatorischen Aussagen ausblendet beziehungsweise missdeutet.

Ein spezielles Kapitel widmet sich der Kritik des Kommunitarismus, einer Ideologie, die bei Wirtschaftsliberalen ebenso populär ist wie bei Ultrarechten. Stengl zeigt auf, dass die Vorstellung vom Leben in kleinen überschaubaren Gemeinschaften für beide Lager kompatibel ist. Wenn Michael Walzer, ein bekannter Theoretiker des Kommunitarismus, sagt, »gute Zäune ergeben gute Gesellschaften«, dann bekommt jener sowohl bei Sozialdemokrat*innen als auch bei Rechtsaußen-Politiker*innen Applaus. Kurzum, Stengls Buch empfiehlt sich für alle, die sich mit Rechten und Rechtsextremen auseinandersetzen müssen und wollen.

Anton Stengl: Ungleicheit und Hass. Die europäische »Neue Rechte« – vom italienischen Showman zum ukranischen Terroristen. Die Buchmacherei, 225 S., br., 16 €.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -