Gewalt im Fußballstadion: Alle Jahre wieder der gleiche Blödsinn

Christoph Ruf kritisiert die Forderungen des »Sicheheritsgipfels« zum Fußball

Berlin-Derby zwischen dem 1. FC Union und Hertha BSC im Stadion An der Alten Försterei vor mehr als vier Jahren
Berlin-Derby zwischen dem 1. FC Union und Hertha BSC im Stadion An der Alten Försterei vor mehr als vier Jahren

Wer an den Fortschritt der Menschheit glaubt, tut gut daran, sich nicht mit den Sicherheitsdebatten im Fußball zu beschäftigen. Die werden fast immer von Politikern angestoßen, haben die immergleichen Blödsinnsideen zum Thema und fallen dadurch auf, dass ihre Protagonisten nicht die geringste Ahnung haben, wovon sie sprechen. Und das alle Jahre wieder.

März 2010: Fans von Hertha BSC Berlin stürmen nach einer Niederlage gegen Nürnberg den Platz, einige von ihnen haben »Eisenstangen« in der Hand. Der Boulevard hat es gesehen. Kurz darauf sind alle wieder im Block, niemand wurde verletzt. Während sich die Stangen, die schon auf den ersten Blick durch ihre an (gekochte) Maccaroni erinnernde Biegsamkeit auffallen, als PVC-Stangen herausstellen, kommen gleich die ersten Politiker mit Vorschlägen um die Ecke, wie diese »Gewaltexzesse« zu beenden seien. Nämlich durch reine Sitzplatzstadien. Ein interessanter Vorschlag. Zumindest, wenn man nicht weiß, dass das Olympiastadion seit Menschengedenken ein reines Sitzplatzstadion ist.

Heuer, 14 Jahre und gefühlt 140 Sicherheitsgipfel später, ist die Politik kein bisschen schlauer. Wieder wurden am vergangenen Freitag bei einem solchen Gipfel in München Sitzplätze gefordert. Und auch ein anderer Rohrkrepierer kam wieder auf das Tableau: »personalisierte« Eintrittskarten. Abgesehen davon, dass es die wegen des Datensammelwahns und E-Tickets bereits jetzt schon fast flächendeckend gibt: Was sollen die bringen in einem mit 15 000 Leuten gefüllten Stehplatzblock?

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.

Wobei: Komisch an den immer wiederkehrenden Debatten ist sowieso, dass sie komplett anlasslos sind. Oder habe nur ich nicht mitbekommen, was genau der Grund für den vergangenen Sicherheitsgipfel war? Die vielen Polizisten, die sich um Fußball kümmern? Das Beispiel Karlsruhe, wo seit fast zwei Jahren viele tausend Arbeitsstunden in die Ermittlung eines Pyrotechnik-Vorfalls fließen, bei dem niemand Anzeige erstattet hat, ist hier der Bumerang. Ich jedenfalls möchte nichts mehr davon hören, wie überlastet die Polizei ist, so lange sie genug Zeit für eine solche Beschäftigungstherapie hat. In Karlsruhe ging es übrigens um Pyrotechnik. Mein Verdacht: Genau die meinen die Law-and-Order-Politiker, wenn sie von Gewalt sprechen.

Menschen, die sich selbst als Fans bezeichnen, sind meist fassungslos, wenn sie die muntere Abfolge von »Sicherheitsdebatten« beobachten. Irgendwie leben sie alle noch, trotz 34 Spielen im Jahr. Und wenn man sie fragt, wann sie sich zum letzten Mal im Stadion bedroht gefühlt haben, erzählen sie ein paar Anekdoten. Von wilden Kerlen, die mit Scheren durch den Block gingen und jene Aufnäher von der Kutte schnitten, die nicht genehm waren. Und von wilden Prügeleien zwischen Hooligans, die sich mitten im Stadion verwamst haben. Nur dass diese Geschichten allesamt in einer Zeit vor 30 oder 40 Jahren spielen.

Gewalt im Stadion? Selbst die fantasiereichsten Innenminister haben da keine aktuellen Beispiele parat. Aber darum geht es nicht. Denn noch sicherer als das Amen in der Kirche ist nur der nächste Sicherheitsgipfel.

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