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Das wahrnehmende Auge
Radikale Sprachskepsis – Samuel Becketts Fernsehspiele im Württembergischen Kunstverein
Die Ausstellung »Über Fernsehen, Beckett« ist ein Projekt des Künstlers Gerard Byrne und der Kuratorin und Beckett-Expertin Judith Wilkinson. Beide haben sich dem irischen Schriftsteller Samuel Beckett (1906–1989) über die bildende Kunst genähert. Präsentiert werden alle sieben wegweisenden Fernsehspiele, die jener zwischen 1966 und 1985 für den Süddeutschen Rundfunk (SDR, heute SWR) in Stuttgart produzierte: »He Joe« (1966), »Geistertrio« (1977), »… nur noch Gewölk …« (1977), »Quadrat I« (1981), »Quadrat II« (1981), »Nacht und Träume« (1982) und »Was Wo« (1985). Zudem ist Becketts für die BBC produzierte Fernsehfassung seines Stücks »Not I« (1975) zu sehen, die erst auf seinen Druck hin am 1. November 1977 vom SDR gemeinsam mit »Geistertrio« und »… nur noch Gewölk …« unter dem Titel »Schatten« ausgestrahlt wurde. Beckett war die bestmögliche technische und organisatorische Unterstützung zugesagt worden, ein Versprechen, das gehalten wurde. 1966 erlaubte das Aufnahmeverfahren weder nachträgliche Korrekturen noch Schnitte.
Für »He Joe« machte Beckett genaueste Vorgaben zu Kulissen, Kostümen und Kamerawinkeln. Das Geschehen sollte auf Graunuancen beschränkt werden. Beckett hatte mit Winkelmesser und Lineal jede Einstellung ausgeklügelt, Text und Pausen zwischen den einzelnen Passagen gestoppt. Zu sehen ist ein älterer Mann, der durch das Grau schlurft, während eine weibliche Stimme raunt: »Das Beste kommt noch … Du hattest recht, das eine Mal, am Ende.«
Nach der Ausstrahlung am 13. April 1966 schrieb Anneliese de Haas in der »Welt«: »Neuland für die routineerstarrte, programmschematisch eingezwängte Television.« Bei »Geistertrio« und »… nur noch Gewölk …« verzichtet Beckett weitgehend auf gesprochene Passagen. In »Geistertrio« tritt ein Largo von Beethoven als wiederkehrendes Zitat als Sprache auf. Und in »… nur noch Gewölk …« ist von dem Nichts als Fundgrube die Rede, und der sitzende Mann zitiert die Schlussverse aus William Butler Yeats’ Gedicht »The Tower«: »… nur noch Gewölk in den Höh’n …/bald kein Horizont mehr …/müdes Vogelgestöhn …/dunkelnde Schatten umher.«
Bei »Quadrat I« und »Quadrat II« verzichtet Beckett ganz auf Sprache: »Die Schauspieler durchschreiten den begrenzten Bereich, wobei jeder seinen eigenen Gang geht.« Der Titel »Nacht und Träume« ist dem gleichnamigen Schubert-Lied entlehnt, dessen letzte sieben Takte den Traum eines am Tisch eingeschlafenen Mannes begleiten: »Holde Träume kehret wieder …« Die letzte Stuttgarter TV-Arbeit Becketts war die Adaption des für den Steirischen Herbst in Graz entstandenen Bühnenstücks »Was Wo«. In diesem »Endspiel nach dem Ende« (Peter Goßens) erscheint Schuberts »Winterreise« in der Verneinung: »Es ist Winter. Ohne Reise.«
Im Fernsehen sah Beckett, für den Visualität und Performance stets eine große Rolle spielten, eine eigenständige Ausdrucksform.
Im Fernsehen sah Beckett, für den Visualität und Performance stets eine große Rolle spielten, eine eigenständige Ausdrucksform, die er in seinen Stücken, angetrieben von einer radikalen Sprachskepsis, experimentell zu erkunden suchte. Immer mehr gewann das Bild für ihn überragende Bedeutung. In seinen Werken fürs Fernsehen, so Gilles Deleuze in seinem Text »Erschöpft« später über die nahezu vollständig textlosen Produktionen, »erschöpft Beckett zweimal den Raum und zweimal das Bild. Worte wurden für Beckett immer unerträglicher. Und den Grund dafür, dass er sie immer schlechter ertrug, kannte er von Anfang an: Es ist die besondere Schwierigkeit, ein ›Loch nach dem anderen in die Sprachoberfläche zu bohren‹, damit endlich ›die dahinterliegenden Dinge‹ sichtbar würden.«
Beckett arbeitete daran, dass das Fernsehen das Versprechen hält, das – so Theodor W. Adorno in ›Prolog zum Fernsehen‹ (1952/53) – in dem Wort immer noch mitschwingt und nicht »die Idee des Großen Glücks verrät ans Warenhaus fürs kleine«. Tag für Tag beweisen die heutigen deutschen Fernsehanstalten, wie recht schon Frank Zappa hatte mit seinem Song ›I’m the slime oozing out of your TV set‹ (»Ich bin die Rotze aus deiner Glotze«). Die avancierten technischen Möglichkeiten bleiben ungenutzt, einen Beckett würde heute kein TV-Sender mehr ins Studio holen.
Ausgehend von Adornos Satz, dass diejenigen, die im Fernsehen mit Menschenstimmen reden, Zwerge sind und kaum in demselben Sinn ernst genommen werden wie Filmfiguren, werden die »crazy TV inventions« (Beckett) im Württembergischen Kunstverein nicht auf TV-Bildschirmen gezeigt, sondern als Kinoprojektionen in vier an TV-Studios gemahnende Projektionskojen – eine Versuchsanordnung von Miniatur zum Close-up.
Diese Kojen sind so positioniert, dass sie in der Mitte einen fünften, leicht versetzten quadratischen Raum ergeben, in dem mit Pritsche, Sitzmöbel und Andeutung von Tür und Fenster auf das Set von »Geistertrio« verwiesen wird. Um von Koje zu Koje zu gelangen, bewegen sich die Besucher*innen kreuz und quer durch den bühnenartigen Raum und werden so zu Akteuren eines imaginären Stückes. Dazu präsentieren Byrne und Wilkinson ein ästhetisch und inhaltlich gelungenes Fries mit Fotos von Archivalien zur Arbeit von Beckett in Stuttgart. Und auf Monitoren sind Filme zu »Deutschland im Herbst« sowie »Film« (1965) von Alan Schneider und Beckett zu sehen. Dieser Streifen mit Buster Keaton als Darsteller kommt ohne Dialoge oder Begleitmusik aus. Es ist ein Film, so Schneider, »über das wahrnehmende Auge, über den Wahrgenommenen und den Wahrnehmenden – zwei Aspekte desselben Menschen«.
»Über Fernsehen, Beckett«, bis 12. Januar 2025. Württembergischer Kunstverein, Stuttgart.
www.wkv-stuttgart.de
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