Albanien-Modell: Meloni gegen ein Gerichtsurteil

Italienische Regierung will Albanien-Modell für Geflüchtete mit neuem Erlass retten

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 4 Min.
Italiens Premier Giorgia Meloni steckt in Schwierigkeiten.
Italiens Premier Giorgia Meloni steckt in Schwierigkeiten.

Nun sind die italienischen Gefangenenlager in Albanien wieder leer. Zwei Tage lang waren sie – wenn auch äußerst reduziert – in Betrieb, jetzt herrscht dort wieder Totenstille. In den Lagern, die theoretisch 3000 Migranten und Asylsuchende aufnehmen könnten, gab es zwei Tage lang erst über 16, dann über 12 »Gäste«.

Wenn es nach der italienischen Regierung geht, wird das nächste Schiff mit menschlicher Fracht schon in den nächsten Tagen in Albanien eintreffen. »Wir machen weiter« und »Wir lassen uns nicht einschüchtern« sind die Durchhalteparolen, die Italiens Premier Giorgia Meloni und ihre Minister pausenlos über alle ihnen zur Verfügung stehenden Kanäle verbreiten lassen. Aber so einfach ist das nicht.

Warum mussten die zwölf verbliebenen Ägypter und Bangladescher – die ersten vier Migranten waren sofort aus Alters- und Gesundheitsgründen nach Italien überführt worden – in einer Blitzaktion über die Adria gebracht werden? Die Antwort ist einfach: Die ganze »Operation Albanien« widerspricht nicht nur italienischem, sondern auch europäischem Recht. In den letzten Monaten war festgelegt worden, wer überhaupt in das zweifelhafte Vergnügen der Lager in Albanien kommen durfte: Gesunde, volljährige Männer, die von italienischen Behörden, also der Küstenwache oder Marineschiffen, in internationalen Gewässern aufgegriffen worden waren und die – das ist eine der ganz wichtigen Bedingungen – aus »sicheren Herkunftsländern« stammen.

Nun hat der Europäische Gerichtshof erst am 4. Oktober bekräftigt, was ein »sicheres Herkunftsland« ist. Nämlich ein Staat, in dem überall und für alle Menschen keine Gefahr besteht, aufgrund der sexuellen Orientierung, Religion oder politischen Überzeugung verfolgt zu werden – Ägypten und Bangladesch gehören sicher nicht dazu. In Afrika, so sagen Politikwissenschaftler, kann man allein den Inselstaat Kap Verde dazu rechnen. Und in Bangladesch kann Homosexualität mit lebenslanger Haft bestraft werden.

Das hat ein italienisches Gericht wenige Stunden nach Beginn der »Operation Albanien« wiederholt und die sofortige Rückführung angeordnet. Da brachen bei der neofaschistischen Regierung alle Dämme. Meloni und ihre Minister schäumten vor Wut, sprachen von »kommunistischen« Richtern und einer »voreingenommenen« Justiz, von dem Versuch, einer demokratisch gewählten und vom »Volk gewollten« Regierung Steine in den Weg zu legen, sie zu behindern, um den eigenen politischen Willen durchzusetzen.

»Wenn eine der zwölf Personen, die nach Italien gebracht wurden, eine Frau vergewaltigt oder umbringt, müssen die Richter dafür bezahlen.«

Matteo Salvini 
Stellvertretender Ministerpräsident Italiens

Solche Worte hatte man zuletzt vor 15 Jahren von Silvio Berlusconi gehört, wenn er wegen Steuerhinterziehung oder Ähnlichem angeklagt wurde. Der stellvertretende Ministerpräsident Matteo Salvini erklärte in einem langen Fernsehinterview: »Die Richter sind die Einzigen, die nie zur Rechenschaft gezogen werden. Wenn jetzt eine der zwölf Personen, die ihretwegen nach Italien gebracht wurden, eine Frau vergewaltigt oder umbringt, müssen die Richter dafür bezahlen!«

Die italienische Regierung will ihr Modell zur Unterbringung von Mittelmeer-Flüchtlingen außerhalb der EU jetzt mit einem neuen Erlass retten. Vor einer Sondersitzung des Kabinetts am Montag beriet die rechte Dreier-Koalition in Rom darüber, wie die beiden Lager in Albanien trotz der juristischen Niederlage weiterarbeiten können. Nach Informationen der Tageszeitung »La Repubblica« gehört zu den wesentlichen Neuerungen, dass die Liste sicherer Herkunftsländer künftig im Regierungssitz festgelegt wird – also im Hause Meloni direkt. Bislang ist dafür das Außenministerium zuständig. Die Sondersitzung des Kabinetts war für den Nachmittag terminiert, und die Regierung hat schon angekündigt, gegen die Entscheidung des für Einwanderungsfragen zuständigen Gerichts in Berufung zu gehen.

Nun fragen sich viele Beobachter, warum die ultrarechte Regierung Melonis diese ganz offensichtlich exaltierten und übertriebenen Töne anschlägt, obwohl Umfragen zufolge die »Migrantenfrage« schon lange nicht mehr die Sorgenliste der Italiener anführt. Ganz oben steht heute die deutliche Schieflage im öffentlichen Gesundheitssystem. Es fehlen Ärzte und Pflegepersonal, die Wartelisten für Termine bei Fachärzten, für Röntgenaufnahmen oder andere Untersuchungen sind extrem lang. Nur wer sich eine Zusatzversicherung leisten kann, kommt relativ schnell dran.

In diesen Tagen ist die Regierung damit beschäftigt, den Haushalt für das kommende Jahr auf die Beine zu stellen, und es ist offensichtlich, dass das Geld vorne und hinten nicht reicht, überall Kürzungen anstehen – auch im Gesundheitssektor. Es sieht so aus, als wolle man absichtlich einen Nebenschauplatz eröffnen und bei einem »Problem« hart durchgreifen, das der Großteil der Italiener nicht als solches empfindet. Ein alter Trick.

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