»Zeitzeugen erinnern immer anders«

Eric Strohmeier-Wimmer über Museumsarbeit und die Lebenswelt in der DDR

  • Interview: Anita Wünschmann
  • Lesedauer: 6 Min.
DDR-Geschichte – »Zeitzeugen erinnern immer anders«

Wie sind Sie zu Ihrer Tätigkeit am DDR Museum gekommen?

Ich bin Militärhistoriker und habe zehn Jahre am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam gearbeitet. Ich hatte mich mit der Geschichte der Bundeswehr in den 50er-Jahren befasst und als es keine Verlängerung mehr für die befristete Stelle gab, musste ich mich umorientieren. Ich entschied mich für die Museumsarbeit zuerst am Stadtmuseum in Neukölln. Nach zwei Jahren bewarb ich mich für die Leitung der Sammlung hier.

Was haben Sie empfunden, als Sie in das Museumsdepot kamen?

Was mich als Erstes sehr beeindruckte, war die Sammlung generell. Ich sah diese immense Aufgabe, die da auf mich zukam. Es machte mich auch glücklich. Mich begeisterte sofort der historische Gegenstand, das Thema. Ich wertschätze bis heute, dass es für die Sammlung eine museale Konzeption gibt und nicht alles einfach verschwindet.

Und die erste Begegnung mit einzelnen Artefakten?

Beim Anblick einiger Dinge war ich erst einmal sehr von Erinnerungen getrieben.

Positiv oder negativ?

Ich sah hier ganz viele Sachen, die ich noch von meinem Zuhause her kannte oder von meiner Oma. Es kamen so viele Kindheitserinnerungen hoch und die sind dann ja doch immer wieder positiv.

Woher kommen die Exponate für das Museum?

Die meisten Dinge erhalten wir als Spenden.

Zum Beispiel?

Letztens kam ein Angebot für einen »Spee«-Waschmittelkarton aus den USA. Sehr viel erhalten wir aus Berlin. Darüber hinaus bekommen wir auch aus dem gesamten einstigen DDR-Gebiet sowie aus den westlichen Bundesländern Spenden. Gerade Letzteres kommt häufiger vor als man glaubt. Es sind vor allem Dinge, die Design und Sport betreffen.

Das Museum wurde 2006 gegründet, hat sich seitdem etwas verändert?

Man merkt den Generationsumbruch. Es wird uns wahnsinnig viel angeboten, aber die Leute, die uns Objekte anbieten, sind jetzt zumeist schon die Enkel und die Kinder.

Was soll oder kann das Museum für die jüngeren Generationen leisten?

Das Wichtige ist, sich überhaupt mit Geschichte und der eigenen Herkunft zu befassen.

Wie erzählt man mit Dingen von der Schrankwand bis zu den Lampen aus dem Palast der Republik Historie, ohne dass dies klischeehaft wird?

Unser Motto ist ja »Geschichte zum Anfassen«. Man muss natürlich große Linien vereinfachen. Es geht darum, auf eine anschauliche Art die verschiedenen Facetten der Gesellschaft und des Staates näherzubringen. Sowohl mit der Dauerausstellung als auch mit Sonderschauen. Wie gerade jetzt zum »Urlaub in der DDR«. Im Übrigen haben wir aber die Anfangsausstellung, die etwas nostalgisch daherkam, überarbeitet.

Die Identitätsdebatten um den Osten verlaufen ebenso kontrovers wie intensiv. Wie positioniert sich da das Museum?

Wir verfolgen diese Debatten und hatten hier auch Gespräche im Haus, zum Beispiel mit Katja Hoyer, aber wir stellen das nicht in den Mittelpunkt unserer Arbeit. Es geht hier eher darum, Lebenswelten für ein möglichst breites Publikum abzubilden. Dafür werden wir dann allerdings auch oft kritisiert, mal als zu pointiert oder dann wieder als zu nostalgisch.

Sie sind Jahrgang 1979 und waren zur Wende zehn Jahre alt. Was hat Sie in dieser Zeit geprägt?

Das sind zehn Jahre Kindheit, also fast die komplette Kindheit. Was ich ganz aktiv wahrgenommen habe, sind natürlich die Schule und die erste Pionierzeit. Die Jungpioniere erlebte ich als eine Art vormilitärisches Instrument mit ihren Ordnungsritualen und der Uniformierung. Als Teil der sozialistischen Wehrerziehung wurde hier schon das positive Bild des NVA-Soldaten geprägt. Mein Vater war selbst Offizier der NVA, deswegen habe ich eine relativ gute Erinnerung, weil das ein Teil unseres Alltags war.

Was war noch wichtig und hat Spuren hinterlassen?

Natürlich die Chemiegegend, aus der ich komme. Wolfen und Bitterfeld mit dem alltäglichen Rauch. Und natürlich die Wende und der Exodus auch in unserem Wohngebiet, das sich dadurch rasant verändernde Milieu. Ich habe das als sehr feindliches Umfeld empfunden, gerade wenn man als einfacher Jugendlicher zerrieben wird zwischen unterschiedlichen Jugendsubkulturen. 1998 kurz vorm Abitur hatte ich dann mit Neonazis ein unschönes Erlebnis.

Wie haben Sie mit Ihrer Familie den 9. November erlebt?

Ich habe nur bedingte Erinnerungen an diesen November 1989. Ich weiß noch heute, dass ich ganz dringend die Parade zum Jahrestag der Oktoberrevolution sehen wollte. Das muss am siebten oder achten November gewesen sein. Den Fall der Mauer habe ich erst mitbekommen, als wir dann tatsächlich mit unseren Eltern mal nach West-Berlin gefahren waren und ein paar Tage später die familiären Beschränkungen, Westfernsehen zu gucken, wegfielen.

Wie lebten Sie mit Ihrer Familie?

In einer der WBS-70-Wohnungen. Das war eine Vierraum-Wohnung in Wolfen-Nord, einem Stadtgebiet mit sehr viel Plattenbau.

Gab es die berühmte Schrankwand?

Genau diese Schrankwand, die Sie hier sehen, hatten wir auch. Als meine Eltern 1988 eine »Karat«-Anbauwand mit dunklem Nussbaumimitat bekamen, wanderte diese erste typische mit dem hellen Furnier als Jugendmöbel in das Kinderzimmer meiner Schwester.

Was war bei Ihnen zu Hause das Andere, das Individuelle?

Gute Frage! Es waren, obwohl es das ja auch bei anderen gab, die vielen, vielen Bücher auch in Regalen unter der Küchendurchreiche. Weiter gab es den orangefarbenen Schallplattenspieler und eine interessante Auswahl an Platten, die mein Vater als Politoffizier und Kulturverantwortlicher erwerben konnte, darunter außer DDR-Musik auch Tina Turner und Michael Jackson. In der Durchreiche standen zahlreiche Gläser mit Aufdrucken von Manövern, Sportveranstaltungen und Parteitagen. 1989 haben wir noch für viel Geld einen Kassettenrekorder gekauft.

Gibt es bei Ihnen selbst auch noch Dinge aus der DDR?

Es gibt Fotos, Bücher und die Medaillen und Orden meines Vaters und kleinere Abzeichen der Pioniere. Aber Stofftiere zum Beispiel leider nicht mehr. Die musste ich wegwerfen.

Haben Sie durch die Tätigkeit hier und die Einblicke, die Sie bekommen, interessante Gespräche mit Ihren Eltern?

Je nachdem, in welcher Stimmung ich meine Eltern antreffe, können wir miteinander debattieren. Mit meinem Vater kann ich sehr intensiv und kritisch gerade über das Thema Militär diskutieren, weil es in seinem Leben selbst einen großen Raum eingenommen hatte und er an neuem Wissen interessiert ist. Aber es gibt auch emotionale Situationen, wo einer der beiden sagt: »Du hast keine Ahnung, so war es nicht!«

Was empfindet da der Historiker in Ihnen?

Das ist das, womit man als Historiker ja immer zu tun hat, also Zeitzeugen erinnern immer anders. Das hängt auch mit der Art und Weise, wie sich Erinnerungen gestalten, zusammen und weil wir über Medien und Literatur nur ein bedingtes Bild bekommen. Zeitzeugenberichte sind dennoch immer eine wichtige Quelle. Aber man muss sie interpretieren können.

Interview

Eric Denis Strohmeier-Wimmer, geboren 1979, wuchs in Wolfen auf und studierte an der Universität Potsdam Geschichte, Jüdische Studien und Religionswissenschaft. Von 2008 bis 2018 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Seit April 2022 ist er wissenschaftlicher Leiter der Sammlung im DDR Museum. (ddr-museum.de, Öffnungszeiten: täglich von 9 bis 21 Uhr)

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