DDR-Philosoph Peter Ruben: Mathematiker und Marxist

Zum Tode des DDR-Philosophen Peter Ruben

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.
Peter Ruben (1933–2024)
Peter Ruben (1933–2024)

Er war der bekannteste Unbekannte unter den DDR-Philosophen. Das 1982 im (Ost)Berliner Dietz Verlag erschienene »Philosophenlexikon«, durchaus weit verbreitet auch außerhalb akademischer Kreise, nennt Peter Rubens Namen nicht. Kein Wunder, im Jahr zuvor war dieser wegen »Revisionismus« aus der SED ausgeschlossen worden, mit Lehr- und Publikationsverbot belegt worden, das bis 1989 andauerte.

Natürlich kannten wir Philosophiestudenten der Humboldt-Universität seinen Namen, aber eher als Gerücht. Da ist einer, der versucht, der marxistisch-leninistischen Philosophie jenen Dogmatismus auszutreiben, wie er in Stalins »Über dialektischen und historischen Materialismus« von 1938 begründet worden ist. Mit dieser Schrift sollten die bis dahin herrschenden »chaotischen Zustände« innerhalb des Marxismus beseitigt werden, so hieß es damals. Statt eigenem Denken und schöpferischem Streit war nun Nachbeten vorgefertigter ideologischer Hülsen angesagt. Wer sich nicht darin hielt, wurde zum Dissidenten erklärt. So brachte man Nikolai Bucharin mittels Schauprozess um (ebenfalls 1938). Lenin hatte ihn, der die »Neue Ökonomische Politik« (NÖP) erfand, noch »Liebling der Partei« genannt.

Auch die DDR-Philosophie ist nicht unabhängig davon zu begreifen, wie Ruben notiert: »Sie ist daher kein Fremdkörper in der deutschen Geistesgeschichte, sondern eine ihrer Nachkriegsgestalten, also Ausdruck des Geistes einer Zeit, die nun am Ende ist.« Die Schicksale starker Persönlichkeiten bestätigen jene tragische Tendenz, die er aus eigener Erfahrung so beschreibt: »Wer sich in der DDR der Philosophie verschrieben hat, in der Regel im jugendlichen Alter aus ganz gewöhnlichen Gründen des Erkenntnisgewinns, dem haben sich Karrieremöglichkeiten eröffnet, die vom Mitglied des Zentralkomitees der SED bis zum Insassen eines Zuchthauses reichten.«

Im geschichtlichen Kontext ihrer Entstehung habe »DDR-Philosophie gar nichts anderes mehr als eine Philosophie auf Knien« sein können. Ruben selbst – und einige andere – gingen jedoch nicht in die Knie und mussten den Preis dafür bezahlen. Zu ihnen gehörten moralische Autoritäten des kommunistischen Widerstands wie Robert Havemann, von den Nazis 1943 wegen »Hochverrats« zum Tode verurteilt. Er hielt 1963/64 an der Humboldt-Universität seine Vorlesungen über naturwissenschaftliche Aspekte philosophischer Probleme, die später als »Dialektik ohne Dogma« für Furore sorgten. Im selben Jahre wurde er aus der SED ausgeschlossen und erhielt Lehrverbot. 1977 verurteilte man Rudolf Bahro für »Die Alternative« mittels unsinniger Spionagevorwürfe zu acht Jahren Zuchthaus, von denen er zwei absaß.   

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Es zeigt sich ein erschreckendes Bild: Die Kommunisten stalinistischer Prägung gingen mit originellen Köpfen in ihren eigenen Reihen um wie mit Feinden, die es unschädlich zu machen galt. Darin erkennt Ruben schon früh ein kardinales Entwicklungsproblem der DDR-Gesellschaft. Immer wieder denkt er über Arbeit als Form des Stoffwechsels des Menschen mit der Natur nach.

1933 in Berlin geboren, beginnt Peter Ruben 1955 hier und nicht in Leipzig bei Ernst Bloch (dieser erschien ihm als nicht »wissenschaftlich« genug), Philosophie zu studieren, mit den Nebenfächern Mathematik und Physik, die ihm wichtig werden, um mittels mathematischer Modelle gesellschaftliche Prozesse abbilden zu können. 1956 scheint vieles möglich zu werden, auch dass Stalin nach dem XX. Parteitag der KPdSU nun endlich »den Raum verlässt«, wie Stefan Heym die Illusion des »Tauwetters« ins Bild bringt. Dem kurzen »Tauwetter« folgt jedoch neuerlich Frost. Die Verurteilung von Wolfgang Harich und Walter Janka zu langen Zuchthausstrafen zeigt: Es geht weiter im alten Stil. Jede Opposition wird unterbunden.

Ruben gerät 1958 in eine Kampagne gegen Abweichler hinein, wird aus der SED ausgeschlossen, exmatrikuliert und zur »Bewährung in der Produktion« als Hilfsarbeiter zum Bau des Flughafens Berlin-Schönefeld geschickt. Drei Jahre später darf er sein Studium an der Humboldt-Universität fortsetzen, promoviert 1969 am Institut für Philosophie mit der Arbeit: »Mechanik und Dialektik. Eine wissenschaftstheoretisch-philosophische Studie zum physikalischen Verhalten«. Die »allgemeine Arbeit«, die bei Marx eine Form realer Wiederaneignung der eigenen Entäußerung, also tätiges Eigentümerbewusstsein meint, mündet für Ruben in Wissenschaft. Das ist durchaus neu akzentuiert: Eigentümerbewusstsein als aktiver Prozess der Durchdringung ist keine bloße Zuschreibung. (Ruben sieht sich durch die Nichteigentümer-Rolle der Arbeiter während der Wende 1989 in seiner Auffassung bestätigt.)

Als er 1977 diese Überlegungen mit dem DDR-Ökonomen Hans Wagner in einem gemeinsamen Projekt konkretisieren will, nimmt die SED-Spitze dies nicht als innovativen Anstoß, sondern beginnt ein Kesseltreiben gegen Ruben, setzt eine Kommission ein, deren vorhersehbarer Schuldspruch lautet: Revisionismus. Die üblichen Folgen: Parteiauschluss, Lehr- und Publikationsverbot, Entlassung. Die absurde Situation: Die Wirtschaftskrise, an der auch die sich rasant verteuernden Rohstoffe aus der Sowjetunion ihren Anteil haben, setzt der DDR-Wirtschaft immer stärker zu. Man erhält aus dem Westen hilfreiche Kredite und zieht gleichzeitig die ideologischen Zügel im Lande an – unterbindet so jede eigene Innovation in der Gesellschaft.                

Nach internationalen Protesten wird Ruben dann – fernab von Studenten – am Akademieinstitut weiterbeschäftigt, doch erhält er quasi Kontaktverbot und nennt später diese Jahre bis zur Wende seine »innere Emigration«. Eine paradoxe Situation: Er kann sich ungestört mit Fragen moderner Entwicklungstheorie beschäftigen, für die er etwa eine Verbindung von Marx zum »Kontratjew-Zyklus« der »Langen Wellen« von 1926 (gemeint sind Konjunktur- und Krisenzyklen von mehreren Jahrzehnten) herstellt. Oder sich mit dem Ökonomen Joseph Schumpeter auseinandersetzt, der technische Innovation als gesellschaftliche Destabilisierung begreift, der Chancen und Bedrohungen gleichermaßen innewohnen.          

Die »Geschichte der kommunistischen Philosophie«, schreibt Ruben, sei ein »Prozess mit vielen schwarzen Löchern und weißen Flecken.« Die PDS rehabilitiert ihn nach der Wende. Im Juni 1990 wählen die Mitarbeiter des Akademieinstituts ihn zum Direktor – im Herbst wird es abgewickelt. Doch Ruben ist nun endlich in der Öffentlichkeit präsent, gründet die Zeitschrift »Berliner Debatte INITIAL«, wird Mitarbeiter an der Europa Universität Viadrina Frankfurt (Oder), publiziert viel.

Doch leider wurde ihm zu einer entscheidenden Zeit seine Wirkung genommen, er unsinnigerweise bei der Suche nach Innovationskräften der Gesellschaft kaltgestellt. Vieles was nun nach 1990 kam, war zwangsläufig retrospektiv, etwa sein empfehlenswerter Aufsatz: »Über den Platz der DDR in der Deutschen Geschichte« von 1998. Ulbricht, der das Kunststück fertigbrachte, zugleich der Mann Stalins und ebenso des Entstalinisierers Chruschtschow zu werden (aber nicht Breschnews), forciert in den 60er Jahren jene Wirtschaftsreform, durch die die DDR zu einem modernen Industrie- und Wissenschaftsstaat hätte werden können. Dass er damit an Bucharins NÖP anknüpft, wird nicht laut ausgesprochen, aber die alten Funktionäre wissen genau, dass es gegen sie geht. Ruben notiert: »Ulbricht beharrt eisern auf der ›revisionistischen‹ Annahme, dass der Plan durch den Markt geprüft wird, begeht obendrein den Fundamentalfehler, den sowjetischen Genossen auf ihrem Parteitag von seiner Begegnung mit Lenin zu erzählen und verschwindet damit endgültig von der Bühne der kommunistischen Führungsfunktionäre.«

Welch ein Glück war es zu erleben, dass im Frühjahr vergangenen Jahres die von der Clara-Zetkin-Stiftung unterstützte Ausgabe von Peter Rubens »Gesammelten philosophischen Schriften« in vier Bänden, erschienen im Verlag am Park, präsentiert werden konnte – zusammen mit Peter Ruben, seiner Frau Camilla Warnke und zahlreichen Mitstreitern. Eine historisch-philosophische Fundgrube, aus der es nun zu schöpfen gilt.

Am 20. Oktober ist Peter Ruben, seit Langem schwer krank, im Alter von 90 Jahren in Berlin gestorben.  

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