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Sein und Schein in Inklusionsfragen
Die Ministerpräsidentenkonferenz bekennt sich am Papier zu Teilhabe. Tatsächlich ist noch viel zu tun
»Wir wissen, dass eine Gesellschaft nur gerecht sein kann, wenn sie inklusiv ist«, sagte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) vergangene Woche vor Beginn der Ministerpräsidentenkonferenz in Leipzig. Darüber scheint, hört man sich in den Parteien um, Konsens zu herrschen. Um dem Ausdruck zu geben, trafen sich die Regierungschef*innen vor der Konferenz mit den Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern. In der Praxis mangelt es jedoch an der Umsetzung jener Grundsätze.
In Deutschland leben 13 Millionen Menschen mit Behinderungen, ungefähr acht Millionen davon mit schweren Behinderungen. Drei Prozent davon sind angeboren, überwiegend entstehen sie im Laufe des Lebens durch Unfälle oder Erkrankungen. Behinderungen können also, das bemüht sich die Konferenz der Beauftragten von Menschen mit Behinderungen (KBB) zu betonen, jede*n jederzeit treffen.
Behinderungen sind zudem vielfältig und, laut UN-Behindertenrechtskonvention ein »Wechselverhältnis zwischen individueller Beeinträchtigung und den bestehenden Einstellungs- und Umweltbarrieren«. Erst aus dieser Wechselbeziehung entstehen Teilhabebeschränkungen. In Deutschland aber, das bemängelt die KBB, werden Behinderungen immer noch als »etwas Defizitäres« betrachtet.
In Deutschland werden Behinderungen immer noch als »etwas Defizitäres« betrachtet.
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Das bescheinigte auch der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen im vergangenen Jahr. Er prüft die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Vor allem im Bereich der Förderschulen habe Deutschland Aufholbedarf, so das Fazit. Förderschulen gehören zu den sogenannten Sondersystemen, die Inklusion qua Definition erschweren.
Auf Basis der Konvention sei viel vorangegangen, so die KBB. »Bis zur Verwirklichung einer inklusiven Gesellschaft ist es aber noch ein weiter Weg«, schreibt sie weiter in der »Leipziger Erklärung«. Anlässlich der Ministerkonferenz forderte sie deswegen, Inklusion als Querschnittsthema in allen Politikfeldern mitzubetrachten. Die Erklärung verdeutliche den »enormen Handlungsbedarf« den es in dem Bereich gebe, ordnet Antje Welke von der inklusiven Organisation Lebenshilfe die Situation gegenüber »nd« ein. Die Priorisierung des Themas auf der Ministerkonferenz mache aber »in gewisser Weise Mut«, so Welke weiter.
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Am Ende der Konferenz stand ein Beschluss, in dem die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen als »Motor einer gesellschaftlichen Entwicklung hin zu mehr Diversität, Stabilität und gegenseitiger Bereicherung« anerkannt wurde. Bis mindestens Ende 2026 solle die KBB nun in diesbezügliche Debatten einbezogen werden.
Kritik äußerte die Ministerkonferenz zum Bundesteilhabegesetz. Es wurde 2016 verabschiedet. Es soll mehr Teilhabe und Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen schaffen und zugleich Kommunen und Länder entlasten. Grundsicherungs- und Eingliederungshilfeleistungen sollen getrennt sowie teilweise vom Bund übernommen werden. Die Eingliederungshilfe umfasst unter anderem Rehabilitationsmaßnahmen und Leistungen zur Teilhabe an Arbeitsleben, Bildung und Sozialem.
Der damit einhergehende Personalaufbau habe zu einer Mehrbelastung in den Kommunen und gestiegenen Kosten geführt, so die Ministerkonferenz. Auch deswegen ist die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes wohl acht Jahre nach seiner Verabschiedung immer noch nicht abgeschlossen. Die Konferenz appelliert diesbezüglich an den Bund.
»Ein trauriger Befund«, kommentiert Welke. Das Bundesteilhabegesetz habe für viele Menschen, die Leistungen der Eingliederungshilfe beziehen, zu einer Verbesserung ihrer Lebenssituation geführt. Insbesondere dadurch, dass sie weniger als zuvor zur Eigenbeteiligung an den Leistungen herangezogen würden. Die Lebenshilfe bedauere, dass es vielerorts noch nicht geglückt sei, Leistungen entsprechend den individuellen Bedürfnissen zu vereinbaren und zu vergüten. Das Stocken von Leistungsverhandlungen in vielen Bundesländern betrachte die Organisation mit großer Sorge.
Die Fachverbände für Menschen mit Behinderung sprechen sich besonders für die Behebung des Fachkräftemangels in der Behindertenhilfe aus. Sie erhielten wöchentlich Problemanzeigen, denen zufolge Angebote reduziert oder Einrichtungen aufgrund von Personalmangel schließen müssten, wie es Janina Jänsch vom Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen beschreibt. In den nächsten Jahren sollen bis zu 25 Prozent der Mitarbeiter*innen das Rentenantrittsalter erreichen.
Die Fachverbände fordern deswegen eine Gesamtstrategie für in- und ausländische Personalgewinnung und die stärkere Nutzung von Arbeitszeit für die Arbeit am Menschen, ergo Entbürokratisierung. Praktische Schritte wären eine Harmonisierung des Ausbildungsstandards, die Vereinfachung von Anerkennungsverfahren und mehr und bessere Sprachkurse.
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